Diakon Alexander Rolfes: Wunden prägen Lebensgeschichten

Auslegung der Lesungen vom 14. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr A

Anzeige

In unserer Gesellschaft sind Fehler und eigenes Versagen oftmals unerwünscht. Doch Jesus selbst ist es, der im Scheitern eine mögliche Erfüllung sieht, erklärt Diakon Alexander Rolfes und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„War irgendwie ja auch klar, dass ich hier lande – bei meiner Geschichte.“ Das sagte mir vor ein paar Jahren während eines Besuchs in einer Justizvollzugsanstalt ein 17-jähriger inhaftierter Jugendlicher. Wegen mehrfachen Drogenhandels verurteilt worden, büßte er dort seine Haftstrafe ab. „Ich komme aus schlechten Verhältnissen, das haben andere auch immer schon gesagt. Hab‘ eben schon früh alles versaut.“

Diesen Charakterbogen hatte er sich wie selbstverständlich ausgestellt. Ein Justizvollzugsbeamter fragte mich im Anschluss: „Würden Sie so einen einstellen? Mit der Geschichte?“ Zwei schnell gefällte Urteile: Der eine urteilt über sich selber, der andere über den anderen. Die Perspektive in beiden Fällen: Keine! 

Wunde Punkte: Fehler unerwünscht

Die Lesungen vom 14. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Derartige Urteile werden täglich unzählige Male gefällt. In einer Gesellschaft, in der es um ständige Selbstoptimierung geht, sind Fehler oder Versagen unerwünscht. Es sind wunde Punkte, die manchmal lebenslang stigmatisierend wirken können. Also versuchen wir immer und ständig mit anderen mitzuhalten, sogar noch besser zu sein als sie. Fotofilter und Face-Apps helfen dabei, sie kaschieren die empfundenen Unstimmigkeiten des Gesichts und des Körpers.

Die Texte des heutigen Sonntags weisen hingegen in eine andere Richtung, sie stellen die wahre Seelenruhe in Aussicht. Sacharja zeigt in seiner Vision das Bild eines Königs, dessen Herrschaftszeichen Demut ist: Der kommende König wird nicht in pompösem Prunk und mit weltlicher Macht auftreten. Stattdessen wird er auf einem Esel reiten, einem bescheidenen und demütigen Tier. Er ist verletzlich und verwundbar.

Ächtung und Selbstvorwürfe

Das ist das Gottesbild Jesu. Er lebte als Mensch und aus der menschlichen Gewissheit, dass das Leben sich nicht anhand der Kategorien von Erfolg und Ansehen bemisst. Mehr noch: Jesus zeigt, dass sogar im Scheitern Erfüllung liegen kann. Er befreit uns von dem schrecklichen Zwang zur Selbst­optimierung. Er befreit uns zudem von dem Zwang zu glauben, für das eigene Unglück immer und ständig selbstverantwortlich zu sein.

Unsere tief verinnerlichten, selbst gesetzten Maßstäbe von richtig und falsch, Recht und Unrecht, schwarz und weiß, Gut und Böse erfordern, so denken wir, eine Bestrafung, wenn diesen Idealen nicht entsprochen werden kann, sei es durch die Ächtung aus dem Umfeld, sei es durch Vorwürfe, die wir uns selbst machen. 

Gott lässt Zeigen von Wunden zu

Alexander Rolfes
Alexander Rolfes ist Ständiger Diakon in Heilig Kreuz Cloppenburg-Stapelfeld. | Foto: privat

Jesus hingegen vertraut auf einen Gott, der zulässt, dass wir unsere Wunden zeigen. Schwächen, Ängste, seelische Verwundungen entwerten uns nicht, sie lassen uns nicht an göttlichem Ansehen verlieren. 

Paulus erinnert im Brief an die Römer an genau diese Befreiung von den alten, nicht mehr gültigen Gesetzmäßigkeiten. Gottes Geist hat Jesus von den Toten auferweckt, er prägt auch das Leben der Getauften als neue Menschen. Der alte „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ ist durch Jesus überwunden. Aber nicht wegen einer archaischen Opfertod-Vorstellung, wegen einer Sühne-Leistung, sondern weil er seine Wunden zeigt.

Schlichte Menschlichkeit

Das ist das sanfte Joch Jesu, das Matthäus beschreibt: Hab‘ keine Angst vor der Wunde – nicht vor den Wunden der anderen und nicht vor den eigenen. Mit seinen Wunden weist sich Jesus in den österlichen Berichten immer wieder vor den Jüngerinnen und Jüngern aus. Die Wunden bezeugen ihn vor ihnen. 

Seine Wunden sind Identitätsmarker, und dies gilt auch für uns: Die Verletzungen, die wir in unserer Lebensgeschichte erfahren, bestimmen und prägen uns. Das hat nichts mit falscher Leidensmystik zu tun, sondern mit schlichter Menschlichkeit. 

Wir kommen nicht unbeschadet durch das Leben; in unseren Wunden erkannt und geachtet zu werden, heißt, als die unverwechselbaren Personen anerkannt zu werden, die wir sind. Deshalb: Achte die Wunde. Obwohl das Bild eines Jochs normalerweise mit Anstrengung und Last verbunden ist, beschreibt Jesus sein Joch als sanft und seine Last als leicht. Diese Haltung verspricht echten Frieden und Ruhe.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 14. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

Anzeige