Altabt Laurentius Schlieker OSB: Wenn der Herr kommt, stellt er alles auf den Kopf

Auslegung der Lesungen vom 19. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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Wenn der Herr kommt, wird er alles auf den Kopf stellen, sagt Altabt Laurentius Schlieker OSB von der Abtei Gerleve in seiner Auslegung der Schriftlesungen dieses Sonntags. Sie enthalten Worte Jesu, die wie ein Trompetenstoß in der sommerlichen Siesta wirken.

Zum Wesen des christlichen Lebens gehört es, den wiederkommenden Herrn zu erwarten, und der Gedanke, dass wir uns im Blick auf die endgültige Begegnung mit Jesus Christus in einer Bewährungszeit befinden. Zum Schluss der Sommerferien, in einer Atmosphäre von Urlaub und entspanntem Leben können die Worte Jesu wirken wie ein Trompetenstoß mitten in der Siesta.

Der Evangelientext mutet uns einiges zu. Wir werden in die Nacht geführt! Im Dunkel der Nacht ereignet sich die Befreiung Israels (1. Lesung) und die Auferweckung Jesu. Gott geht nicht wirkungslos vorbei. Deshalb dürfen wir vertrauensvoll hineingehen ins Wahrhaftige und auch dem Beispiel Jesu folgen, der sich allen Ängsten gestellt hat.

Klarheit über uns selbst

Die Lesungen vom 19. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Was Jesus „Nacht“ nennt, kann Klarheit über uns selbst vermitteln, sie kann auch zur Freiheit verhelfen, von den Illusionen loszukommen, die wir über uns selbst und andere, vielleicht über Gott haben, an denen wir festhalten.

Die Zeit der Gemeinde Jesu ist nach seinem Wort eine Zeit der Erwartung und des Dienens. Auf dem Hintergrund einer brutalen Sklavenhalter­gesellschaft beschreibt Jesus, wie die Diener des Herrn ihren Dienst versehen.

Licht der Wahrheit

So ähnlich ist auch das christliche Leben zu verstehen. Die Regel des heiligen Benedikt sieht vor, dass während der Nacht im Schlafraum der Mönche ein Licht brennt – nicht nur aus praktischen Erwägungen.

Das Licht der Wahrheit soll über das eigene Leben leuchten, über unsere Erfolge und Verluste, es soll über uns leuchten und uns hinweisen auf den im glaubenden Herzen bereits gegenwärtigen Herrn, damit wir alles, was „Nacht“ ist, besonnen ertragen und dankbar mit unserem Lobpreis den Tag noch im Dunkel beginnen können. Christsein bedeutet Schicksalsgemeinschaft mit Jesus Christus und sie schließt mit ein, den eigenen Tod anzunehmen, um aufzuerstehen.

Der Herr kommt gewiss

Der Autor
Altabt Laurentius Schlieker ist Altabt der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: Markus Nolte
Altabt Laurentius Schlieker ist Altabt der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: Markus Nolte

In der Gleichnisrede Jesu wird die Rückkehr des Herrn erwartet, der in der Nähe auf einer Hochzeitsfeier ist. Auch wenn er die ganze Nacht lang auf sich warten lässt: Er kommt gewiss. Und dann wird er alles auf den Kopf stellen: Der Herr wird sich zum Diener machen, zum Bediener. Er ist so frei, so zu handeln, er ist so frei und unabhängig, mitten in den Nächten die Sehnsucht derer zu erfüllen, die ihn erwarten.

Die Nachfolge Jesu, unser Versuch, dem Evangelium gemäß zu leben, das Streben nach dem Reich Gottes verdirbt die Freude und die Genüsse des Daseins nicht. Es geht um ein tieferes Genießen, um nachhaltigere Freude, darum, das Leben in Fülle zu leben. Jesus erinnert uns daran, dass der einzig wahre Schatz der Schatz ist, nach dem sich unser Herz sehnt, und er bedeutet „mehr als alles“.

Beten ist Wachsam-Sein

Wacht und betet! Beten ist Wachsam-Sein und bereit, das Flüstern von Gottes Geist zu vernehmen. Beten ist wie das Füllen der Lunge mit Gottes Atem.

Unsere tiefste Sehnsucht, sagt Jesus, ist es, das Liebesmahl zu teilen, das Jesus mit seinem Vater feiert und an dem er uns beteiligt. Er steht an der Tür unserer Seele und klopft an – wenn er uns die Kraft zur Versöhnung anbietet und zum Helfen, dort an unserer Stelle, wo wir gebraucht werden. Wir sind berufen, Christus zu bezeugen, indem wir uns von Herzen öffnen, den Schrei der Armen besser zu hören und denen beizustehen, die keine Stimme haben.

Wir haben nichts zu befürchten

Ich bin kein Musterbeispiel für einen mit den Armen solidarischen Menschen. Aber das Verlangen danach macht den Unterschied, der Schritt in Richtung „Bereit-Sein“ im Sinn Jesu.

Nicht aus Angst und nicht mit Angst. Wir haben nichts zu befürchten. Freilich leben wir mit vielen Ängsten. Sie entspringen teilweise unserer Sorge um liebe Menschen, um die Kirche und angesichts heilloser Zustände in der Welt. Andererseits befinden wir uns oft in einem Selbstschutzmodus, als ob wir „kontrollieren“ könnten, wie sicher wir sind. Jesus lädt uns ein, freier zu leben, weil unser Leben in seinen Händen liegt und weil wir das Leben Gottes in seinem Lebensraum für immer genießen werden.

Hoffnungsvoll auf dem Weg

Glauben bedeutet eben, mit Hoffnung weiterzugehen, auf Wanderschaft zu bleiben, sich auf die Herausforderung des mitwanderden Gott einzulassen – eher in einem Zelt statt in einer Trutzburg zu wohnen. Es geht immer darum, sich beschenken zu lassen. Was dir geschenkt wird, gehört dir wirklich erst dann, wenn du es aktiv angenommen hast. Und das dauert ein Leben lang.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 19. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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