Stefan Böntert: Liebe, auf die Spitze getrieben

Auslegung der Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr A

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Auch nach schweren Fehler ist Umkehr und Neuanfang immer möglich. Diese Perspektive wird von Jesus Christus selbst eröffnet, erklärt Stefan Böntert und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Nobody is perfect, niemand ist vollkommen, sagt ein Sprichwort und drückt damit eine wichtige, wenn auch manchmal schmerzhafte Wahrheit aus. Etwas falsch zu machen oder sogar schuldig zu werden, gehört zu den Erfahrungen unseres Lebens, von denen sich wohl niemand ernsthaft freisprechen kann. Diese Einsicht bedeutet jedoch nicht, gleich die moralische Keule zu schwingen. Es geht auch nicht darum, sich und anderen ein schlechtes Gewissen einzureden. Aber Schuld zu leugnen oder zu verdrängen, wäre der falsche Weg. Wer sie ausblendet, belügt nicht nur andere, sondern auch sich selbst.

Auch Institutionen, sogar ganze Staaten können Fehler machen und schwere Schuld auf sich laden, wie aktuelle tagespolitische Ereignisse oder die Debatten innerhalb der Kirche um die richtigen Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal in bedrückender Weise zeigen.

Umkehr als Ausweg

Die Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Das Gleichnis Jesu von den zwei Söhnen, die im Weinberg ihres Vaters arbeiten sollen, greift diesen Gedanken auf. Jesu Sympathie gilt eindeutig dem Sohn, der sich zunächst weigert, der Bitte des Vaters nachzukommen, dann aber seine Entscheidung bereut und umkehrt. Hier wie an anderen Stellen der Bibel geht es natürlich in erster Linie um Gott, der auf die Umkehr des Menschen wartet.

In einem größeren Zusammenhang betrachtet enthält dieses Gleichnis aber auch einen wertvollen Impuls für den Alltag. Umkehren und neu anfangen, ist ein unverzichtbarer Schlüssel für ein gelingendes Zusammenleben. Die erste Lesung aus Ezechiel drückt diesen Zusammenhang mit drastischen Worten aus: „Wenn sich der Schuldige von dem Unrecht abwendet, das er begangen hat, und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er sein Leben bewahren.“ Nicht immer geht es um Leben und Tod, wenn ein Mensch umkehrt. Aber verweigerte Umkehr kann tatsächlich in Abgründe führen.

Wenn Beziehungen auf die Probe gestellt werden

Kaum etwas ist zerstörerischer als eine Haltung, die stur und ohne Rücksicht auf Verluste auf dem eigenen Recht beharrt, aber für die eigenen Schattenseiten völlig blind ist. Von dieser Erfahrung können zum Beispiel Eheleute berichten, die seit Jahrzehnten miteinander verbunden sind und in dieser Zeit etliche Konflikte durchlebt haben, die ihre Beziehung auf eine harte Probe gestellt haben. Wie oft mögen sie umgekehrt sein und einander verziehen haben!

Wo ein Mensch sich weigert, einen Fehler einzugestehen, umzukehren und neu anzufangen, da endet jedes Vertrauen sehr schnell in einem Scherbenhaufen. Das gilt für den persönlichen Alltag genauso wie für die große Politik.

Gott freut sich, wenn ein Mensch umkehrt

Der Autor
Stefan Böntert ist Professor am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität Bochum. | Foto: RUB, Marquard
Stefan Böntert ist Professor am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität Bochum. | Foto: RUB, Marquard

Vom Kirchenvater Augustinus ist ein schönes Zitat überliefert, das von der Sehnsucht Gottes nach den Menschen spricht: „Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch.“ Dieses Wort fasst zusammen, was das Gleichnis Jesu und der gesamte Evangelienabschnitt des heutigen Sonntags über Gott aussagen. Gott schaut mit anderen Maßstäben auf schuldig gewordene Menschen, als dies sonst der Fall ist. Für die Zeitgenossen Jesu muss es fast unerträglich gewesen sein zu hören, dass er Zöllnern und Dirnen die Möglichkeit eröffnete, in das Reich Gottes zu kommen. Diese beiden Gruppen galten damals als die größten Sünder, die sich durch ihr Verhalten den Zorn Gottes verdient hatten. Diesem Denken setzt Jesus einen Gott entgegen, der mit einem liebevollen Blick auch die ansieht, die als abgeschrieben gelten.

Gott reduziert niemanden auf seine Fehler und seine Schuld, so schwer sie auch sein mögen. Er ist davon überzeugt, dass ein Mensch immer mehr ist als die Summe seiner Unzulänglichkeiten, seiner Fehler und seiner Schuld. Deshalb traut er jedem Menschen zu, zur Einsicht zu kommen, unabhängig davon, wie schwer die Schuld auch wiegen mag. Mit dieser Geduld treibt Gott seine Liebe auf die Spitze – manchmal bis hart an die Grenze des Erträglichen, wenn sogar Zöllner und Dirnen eine Chance bekommen, obwohl sie es nicht verdient haben.

Gottes kühne Hoffnung

„Gott, du offenbarst deine Macht vor allem im Erbarmen und im Verschonen“, heißt es im Tagesgebet dieses Sonntags. Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingt, enthält eine tröstliche Botschaft, die Mut macht, die Umkehr zu wagen. Gott hat die kühne Hoffnung, dass ein Mensch, der sich verirrt hat, doch noch die Bremse zieht, den falschen Weg verlässt und einen Neuanfang wagt. Was für eine faszinierende Perspektive!

Sämtliche Texte der Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

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