Pater Daniel Hörnemann: Kleiner Glaube, göttliche Macht

Auslegung der Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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In Zeiten der Krise wird die Glaubenstreue auf die Probe gestellt. Doch der Glaube, so sagte Jesu bereits, kann Erstaunliches bewirken, berichtet Pater Daniel Hörnemann und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„Gewalt und Misshandlung, Zwietracht und Streit, wohin ich blicke.“ Was der Prophet Habakuk im 7. Jahrhundert vor Chris­tus beklagt, ist immer noch Realität. Er erlebt Rechtlosigkeit, Korruption, Ausbeutung, Götzendienst, Ungerechtigkeit, einen religiösen und politischen Niedergang im Volk. Gegen seinen Gott erhebt er die Anklage-Frage: „Warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben und siehst der Unterdrückung zu?“

Resigniert stellt er fest, dass er noch so lange und intensiv rufen kann: „Hilfe! Gewalt! Aber du hilfst nicht.“ Gott schweigt. Er scheint passiv der Misshandlung, Unterdrückung und brutalen Gewalt selbst im Gottesvolk zuzusehen. Warum lässt er es zu, dass die Menschen derart ihre Freiheit missbrauchen? Habakuk erhält keine Zusage von Gottes heilendem, rettendem Eingreifen. Sein Gebet wird nicht sofort erhört, allen Erwartungen zum Trotz. Gott zeigt sich von seiner dunklen und geheimnisvollen Seite, er bleibt der ganz Andere. Der Mensch soll seine Hoffnung darauf setzen, dass nur das Gute, nicht das Böse eine Zukunft haben wird. Leben wird nur der erlangen, der an der Glaubens­treue zu Gott festhält.

Glaubenstreue wird auf Probe gestellt

Die Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Diese Glaubenstreue wird gerade in Zeiten der Krise auf harte Proben gestellt. Wie lassen sich die Zustände in dieser Welt mit Habakuks Bild von einem Gott zusammenbringen, der sich dem Menschen zuneigt und ihm Gutes will? Der Mensch bleibt für sein Tun und Lassen verantwortlich, er hat dafür die Konsequenzen zu tragen, auch wenn sich nicht vorhersehen lässt, wann der Zeitpunkt dafür gegeben ist. Das Böse und der Böse haben jedoch keine Zukunft, leben wird nur, wer an Treue und Glauben zu Gott festhält.

Wenn jedoch eine Wende sich nicht einstellen will, liegt die Versuchung nahe, sich müder Verzagtheit zu ergeben, wovon der Brief des Apostelschülers Timotheus spricht, der in einer Art Testament des Paulus aufruft: „Gott hat uns einen Geist der Kraft, der Liebe und Besonnenheit gegeben.“ Dieser Geist befähigt ihn, für das Evangelium mit Leidenschaft und im Leiden einzutreten und beim Glauben zu bleiben. Das Erbe der Apostel soll nicht verschleudert, sondern das schon erlöschende Feuer muss neu entfacht werden. Darum hatten die Apostel selbst bereits ihren Meister gebeten: „Mehre, stärke unseren Glauben!“ Sie hatten zu kämpfen mit Angst und Zweifeln, mit Kleinglauben und Resignation.

Glaube kann Erstaunliches vollbringen

Jesus formuliert ein Bildwort der Extreme: vom winzigen, stecknadelkopfgroßen Senfkorn bis zum mächtigen Maulbeerbaum mit seinen tiefen und starken Wurzeln, der kaum aus der Erde auszureißen ist. Nach bestimmten Traditionen reichen dessen Baumwurzeln sogar bis zur Urtiefe hinab und beziehen von dort ihr Wasser. Die Krone erstreckt sich in den Himmel.

Tatsächlich verfügt der Maulbeerbaum über ein äußerst aggressives Wurzelsystem, das sich dicht unter der Oberfläche ausbreitet und selbst Steine, Mauern und Fundamente beiseite drücken kann. Wo die widerspens­tigen Bäume einmal Halt gefunden haben, sind sie so gut wie unmöglich wieder zu entfernen. Einen solchen Baum ins Meer zu verpflanzen ist eine ähnlich paradoxe Vorstellung wie die vom Kamel, das durch ein Nadelöhr gehen soll. Sie ist keinesfalls wörtlich zu nehmen, sondern soll plastisch, übertreibend veranschaulichen, dass der Glaube imstande ist, Erstaunliches zu vollbringen.

Winziger Glaube kann Großes bewirken

Der Autor
Daniel Hörnemann OSB
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von „Kirche+Leben“. | Foto: Markus Nolte

Jesus überrascht gerne seine Zuhörer mit seinen ungewöhnlichen Bildern. Er spielt mit den Effekten. Ein Glaube im winzigen Maß eines Senfkorns kann kaum einen robusten Widerstand wie den Maulbeerbaum überwinden, geschweige denn auf den Meeresgrund verpflanzen.

Doch die Lehrlinge Jesu und genauso wir Christen sollen von ihrem Meister annehmen, nicht von vornherein zu kapitulieren und der angenommenen Ohnmacht zu erliegen angesichts der uferlosen Sendung und Aufgabe in diese Welt. Bereits ein ganz kleiner Glaube trägt göttliche Macht in sich und vermag für unmöglich Gehaltenes umzusetzen. Aus einem winzigen Anfang kann eine gewaltige Wirkung werden.

Es ist die Herausforderung, in scheinbar aussichtslosen Situationen den Glauben daran nicht aufzugeben, dass Gott stärker ist als alles Böse. Mit unserem vielleicht sehr geringen Glaubensvermögen müssen wir in keiner Olympiade antreten und nach Schneller, Höher, Weiter trachten. Wir brauchen keinen „großen“ Glauben, sondern einen Glauben an den großen Gott. 

Sämtliche Texte der Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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