Weihbischof em. Dieter Geerlings: Der Mensch wird zu Gott geführt

Auslegung der Lesungen vom 32. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr A

Anzeige

Weisheit ist ein Wert an sich, der in unserer Gegenwart oft verkannt wird. Dabei wird sie in der Heiligen Schrift selbst Gold und Silber vorgezogen. Das ist absolut gerechtfertigt, sagt der emeritierte Weihbischof Dieter Geerlings und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Kehr erst vor der eigenen Tür. Jemandem den Stuhl vor die Tür setzen. Zwischen Tür und Angel sprechen. Meine Tür steht dir offen. Die Tür ist ein Bild für vieles, für Übergang, für eine Schwelle zu anderem. Ort der Begegnung ist die Tür und macht neugierig für das Dahinter, wenn sie verschlossen ist.

„Am frühen Morgen… er findet sie vor der Tür sitzen.“ Die Weisheit. Suchen muss man sie kaum, nur die eigene Tür öffnen. So die erste Lesung. Aber wer sucht Weisheit? Lebt in mir der Wunsch, weise zu sein? Zunächst nicht? Aber wenn ich in Kontakt komme mit meinen inneren Wünschen, dann vielleicht doch: mich nicht treiben lassen, mich nicht leben lassen, einen nüchternen Blick auf das haben, was im Leben, in der Welt los ist, Gottvertrauen nicht verlieren, ein Mensch der Gerechtigkeit sein…, wenn ich das wünsche, lebt in mir der Wunsch nach Weisheit, wie das Buch der Weisheit sie versteht. Worauf kommt es im Ganzen meines Lebens an? Die Antwort auf diese Frage sitzt vor der Tür!

Weisheit will Menschen zu Gott führen

Die Lesungen vom 32. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

„Über die Weisheit nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit.“ Wie nötig wäre sie doch in der heutigen Welt! Die weltweiten Probleme sind oft nicht eindeutig, sind kompliziert und komplex. Da sind die Erscheinungsformen von Bösem, weit weg und ganz nah, auch in der Kirche, auch im persönlichen Leben. Wo hat das abwägende Urteil der Weisheit seinen Platz? Wir schätzen Menschen wegen ihrer Weisheit, die tiefer als die Oberfläche schauen können, die trotz schlimmer Lebenserfahrungen nicht bitter werden, die nicht penetrant rechthaberisch auftreten.

Wer öffnet solchen Menschen nicht gern die Tür? Eigenartig, dass ihr Urteil in der Öffentlichkeit selten eine Rolle spielt. Gehört Weisheit eher zu einer naiv vom Leben abgeschirmten Sonderwelt? Im Buch der Weisheit wird sie Gold und Silber vorgezogen, ja sogar der Gesundheit und Schönheit. Der Glanz der Weisheit überstrahle alles. Da ist die Verbindung mit dem Göttlichen gemeint. So ist das Wort Weisheit ein anderes Wort für das Wirken Gottes am Menschen. Sie will den Menschen zu Gott führen.

Lebenslanger Prozess, um Weisheit zu erlangen

 

Als Weihbischof ist es für mich ein bewegender Moment, wenn ich bei der Firmung mit der Gemeinde um die Gabe der Weisheit für die Jugendlichen bete, dass sich nämlich durch diese Gabe des Heiligen Geistes manches relativiert, was sich normalerweise in unserer Welt in den Vordergrund drängt. Ich muss nicht mehr glauben, alles aus der Welt für mich herausholen zu müssen. Es ist wohl ein lebenslanger Prozess, solche Weisheit zu erlangen.

Das tägliche Geschehen zeigt uns: Wir Menschen sind verwundbar. Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen. Wir leben in einer Welt, in der bis auf Weiteres der Tod das Regiment führt. Das ist unsere existentielle Situation. In dieser unserer Endlichkeit liegt auch ein Schmerz. Der treibt Menschen nicht selten zur Empörung gegen und zur Ablehnung von Gott, gegen das himmelschreiende Unrecht, dass Schönheit und Schrecken immer so gleichzeitig sein können. Die Weisheit, der mündige Glaube sagt: Nur Gott rettet, gibt Leben für immer. Diese Hoffnung will in allen Lebenslagen tragen. Dafür gilt es zu wachen und die Tür zu öffnen. Weisheit ist diese Hoffnung. Sie öffnet die Tür zum Wort des Paulus in der zweiten Lesung: „nicht zu trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben.“

Hoffnung gründet auf Schöpfermacht Gottes

Gott hat von sich her die Grenze überschritten und unser Dasein zum Tode auf sein ewiges Leben hin geöffnet. Er tat es, indem er unser Leben in Jesus Christus annahm bis ans bittere Ende. Unsere Hoffnung gründet also allein auf die Schöpfermacht Gottes. Warum Gott diesen Weg unserer Hoffnung so gewählt hat, werden wir erst in der Vollendung verstehen. Im Angesicht des Schreckens in dieser Welt spricht die Weisheit vor unserer Tür so: Ostern ist erst der Anfang der Auferstehung für uns, der Anfang der Vollendung der Schöpfung ohne Tod und ohne Übel. Der Tod, der Schrecken der Welt, hört erst auf bei der Vollendung der Welt in der neuen Welt Gottes.

Das gehört zur Substanz des Glaubens, zum Öl, das erleuchtet. Wo mein Glaube nichts hat, was ihn lebendig hält, wo er nicht unterstützt wird und sich entwickeln kann, da kann er auch kein Licht geben. Das zeigen die törichten Jungfrauen im Gleichnis des Evangeliums. Sie kommen nicht hinein in den Bereich Gottes auf Erden („Himmel“). Tür zu. Und doch wieder geöffnet von dem, der sagt: Ich bin die Tür.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 32. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

Anzeige