Pater Daniel Hörnemann über den blinden Bartimäus und ein besonderes Bild

Auslegung der Lesungen vom 4. Fastensonntag / Lesejahr A

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Die Heilung des blinden Bartimäus gehört zu den bekanntesten biblischen Wunderberichten Jesu. Nach seiner Heilung sieht er mehr als alle anderen, sagt Pater Daniel Hörnemann aus der Benediktinerabtei Gerleve in seiner Schriftauslegung.

Die Otto-Dix-Stadt Gera erhielt 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Gemälde, das der Künstler in französischer Kriegsgefangenschaft gemalt hatte. Otto Dix (1891-1969) war noch zum Volkssturm eingezogen worden, dem letzten Aufgebot ausgerechnet des Nazi-Reichs, das ihn verfemt und inhaftiert hatte. Er griff Anregungen seiner Mitgefangenen im elsässischen Hungerlager Logelbach bei Colmar auf und erfüllte Bilderwünsche, so auch die des damaligen Lagerarztes Lambert Heussen, der sich ein Bild wünschte mit „Christus als Arzt“. 

Dix malte die Heilung des Blinden auf ein weißes Leinenbettuch. Er stellte den Moment dar, wo sich Chris­tus mit sanft segnender Geste dem um Heilung bittenden Bartimäus zuwendet, der in der verfluchten Stadt Jericho ein erbärmliches, trauriges Dasein fristet. 

Der Maler gibt Bartimäus seine Züge

Die Lesungen vom 4. Fastensonntag (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Dem blinden Bettler mit den weit aufgerissenen und jetzt noch leblosen Augen hat Dix seine eigenen individuellen Züge verliehen und in der verhärmten Gestalt ein Selbstbildnis geschaffen. Die Lichtgestalt Christi durchdringt bereits das Dunkel, in dem Bartimäus sich noch befindet. Die Darstellung ist ein Bekenntnisbild des Malers, dass das göttliche Licht stärker ist als alle Dunkelheit.

Nach der Entlassung im Februar 1946 nahm der Arzt das Gemälde aus dem Lager mit. Aus Furcht vor Entdeckung und Fortnahme bei den obligatorischen Kontrollen hatte er das für ihn so wertvolle Leintuch eng um seinen Leib gebunden und brachte es so sicher nach Hause. Seiner Tochter blieben das Wiedersehen mit dem lange entbehrten Vater und dessen geheimnisvolle Leibbinde unvergesslich. 

Bartimäus sieht mehr als alle anderen

Nach dem Tod des Arztes Heussen wurde das kostbare Bildwerk 2010 Teil der Geraer Kunstsammlung und erstmals öffentlich ausgestellt. Am französischen Ort von Not und Tod war ein Bild des Lebens und der Heilung entstanden, am Ort des Fluches ein Segen. Eine Wende – genau wie in der Evangeliumsgeschichte aus dem Unheilsort Jericho. Der Blinde saß jahrelang am Rande, buchstäblich und im übertragenen Sinn. In den Augen vieler Menschen war seine Blindheit seine eigene Schuld. So wurde er ausgestoßen.

Er, der einst Finsternis war, ist nun durch den Herrn Licht geworden (zweite Lesung). Der Blinde im Evangelium ist der Einzige, der wirklich sehend wird. Bartimäus sieht Jesus nicht nur als Wunderheiler, er erkennt ihn darüber hinaus als den Propheten und Gesandten, er glaubt an ihn als den Messias und Menschensohn. Im Umkehrprozess werden die angeblich Sehenden fortwährend blinder. 

Die Pharisäer klammern sich an Regeln

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann.
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Sehen hat mit Einsehen zu tun. Bartimäus erhält immer mehr Einblick, wer ihn geheilt hat und wie die Begegnung mit dieser Person sein Leben verändert. Er will unbedingt sehen, darum kommt er zur Einsicht und Erkenntnis. Die Pharisäer hingegen schauen nur oberflächlich auf Jesus und deklarieren ihn rasch zum Übertreter des Sabbatgebotes, sie versehen ihn mit dem Etikett „Sünder“, somit kann er unmöglich aus Gottes Kraft heraus heilen. 

Denn was nach ihrer Meinung nicht sein darf, das kann auch nicht sein. Sie bleiben verstockt-blind für die tiefere Wirklichkeit Jesu. Glauben aber heißt, von der Oberfläche immer mehr in die Tiefe zu dringen, mehr und weiter zu sehen. Aus geistig-geistlicher Blindheit zum Sehen zu kommen. Jesus wirkt als Augenöffner, kann das aber ausschließlich bei dem, der für ihn offen ist.

Jesu Licht kann in tiefste Nacht scheinen

Das Evangelium will bezeugen, dass das Licht Jesu in die tiefste und dunkelste Nacht scheinen kann. Er sieht auf das Innerste, nicht auf die Äußerlichkeiten (erste Lesung). Zeiten wie diese bringen das Beste auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Schlimmste in Menschen hervor, Einsicht und Verblendung. Die einen agieren in blinder Ichsucht, als Kriegstreiber, Profiteure und Partygänger auf Teufel komm raus, mit aggressiver Raffgier und Hamsterwut, die anderen in großer Solidarität und Hilfsbereitschaft. Das gefährlichste Virus ist der Egoismus. Die Selbstbescheidung hingegen hat bereits jetzt positive Wirkung auf die Natur und das Klima.

Möge unser Glaube stark genug sein, gerade in Zeiten von Dunkelheit und Not: ein Glaube, dass Gott alles zum Guten führt, dass er das Unerwartete für uns bewirken wird, gerade auch wenn wir menschlich nichts zu erwarten haben oder keine Lösung wissen wie in diesen Zeiten der Ungewissheit und Ratlosigkeit. In unserer Dunkelheit entzünde er das Feuer, das niemals erlischt! 

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Fastensonntag (Lesejahr A) finden Sie hier.

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