Pater Daniel Hörnemann: Das Lamm ist der Hirte

Auslegung der Lesungen vom 4. Sonntag der Osterzeit / Lesejahr C

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Das Lamm Gottes ist eines der ältesten Symbole für Christus. Doch wie ist es in der Vergangenheit dargestellt worden und welche zentralen Eigenschaften sind noch heute gültig? Damit beschäftigt sich Pater Daniel Hörnemann und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Für die Sint-Bavo-Kathedrale in der ostflandrischen Stadt Gent haben die Gebrüder Jan und Hubert van Eyck das wohl umfangreichste Werk der frühen niederländischen Malerei geschaffen.

Der Flügelaltar wurde um 1435 dort aufgestellt. In einer paradiesischen Landschaft nach der Johannesapokalypse wird das göttliche Lamm angebetet durch neun Gruppen von Engeln und Heiligen. Das mystische Lamm auf dem Altar unter freiem Himmel, das aus seiner Brust Blut in einen Messkelch vergießt, ist eines der ältes­ten Symbole für Christus. Unter dem Lamm befindet sich der achteckige „Brunnen des Lebens“. Hier öffnet sich jedem Betrachter die himmlische Welt als größere Wirklichkeit.

Versteckte Sensation

Die Lesungen vom 4. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Der fast 600 Jahre alte Altar wurde wiederholt restauriert und erforscht. Dennoch hat man in all den Jahren nicht alle Rätsel des Meisterwerks gelöst, das wegen seiner wirklichkeitsgetreuen Darstellung als revolutionär gilt. Das gesamte Gemälde wurde mehrfach übermalt. Bei der Restaurierung ab 2012 wurden viele Schichten abgetragen und eine Sensation zeigte sich. Im wiederhergestellten ursprünglichen Zustand des Meisterwerks offenbaren sich mehr Details und eine größere Tiefenwirkung als zuvor: Gesichter spiegeln den Seelenzustand der Menschen wider, Stoffe und Pelze wirken täuschend echt, Ritterrüstungen blitzen, Juwelen funkeln. Die van Eycks stellten die Welt im 15. Jahrhundert in einem fast fotografisch genauen Realismus dar.

Spektakulär ist allerdings vor allem eines: Das originale Lamm van Eycks hat etwas überraschend Menschliches und scheint mit dem Betrachter in Kommunikation zu treten. Der vermenschlichte Lammkopf wurde rasch Gesprächsthema in den Medien. Die van Eycks hätten keine Schafsgesichter malen können, nur menschliche Antlitze, spotteten manche. Ein Kunst­experte hingegen vermutet, dass die Übermalungen vorgenommen wurden, um den intensiven und vermenschlichten Ausdruck des Lammes in ein ausdrucksloses Tier umzugestalten.

Das Lamm als Retter und Heiland

Fachleute genauso wie die Verantwortlichen der Kathedrale begrüßen die Art der Restaurierung. Das Lamm käme nun als Repräsentation Jesu Christi wieder voll zur Geltung und spräche die Menschen direkt an.

Die Betrachter können sich direkt einreihen in die „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm“, wie sie Johannes sah. Das Lamm ist der Retter und Heiland. Es ist zugleich der Hirte, der die Seinen zu den Quellen des Lebenswassers führt. Dort haben alle Mühsal, Trauer und Leid keinen Platz mehr. Alle Tränen sind ausgeweint.

Hirt-Herde-Beziehung

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSB
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von „Kirche+Leben“. | Foto: Markus Nolte

Die Hirt-Herde-Beziehung ist eine besondere Beziehung, allerdings immer auch eine belastete, durch Enttäuschung, Entfremdung, Feindseligkeit deformierte Beziehung. Und doch kündigte Gott diese Beziehung nicht auf, vielmehr konnte Israel sagen: „Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich“ (Ps 18). Hier geht es nicht um romantische Hirtenpoesie, sondern um eine Befreiungstheologie: Gott will die Versprengten und Verzweifelten aus ihrer Identitätskrise und ihrer nationalen wie religiösen Depression herauszuholen.

Im Neuen Testament wird Gott an keiner Stelle als Hirte bezeichnet, diese Rolle ist ganz klar von Jesus besetzt. Das heutige Evangelium ist keine Sonntagsrede, sondern einge­rahmt von zwei Versuchen, Jesus zu Tode zu steinigen. Dass er der Gute Hirte ist und wie er es ist, beweist er durch die Hingabe seines Lebens. „Ich und der Vater sind eins“ – letztlich also kümmert sich Gott selbst in Jesus um seine Schafe. Jesus nimmt Menschen in Dienst für die Fortsetzung seiner Hirtenaufgabe.

Gottes Wort wirkt nicht überall gleich

Beim heutigen „Weltgebetstag um geistliche Berufe“ mag einen angesichts der derzeitigen desolaten Kirchenlage der Gedanke beschleichen, dass Gott vielleicht mit der Erfüllung unserer Bitten und mit der weiteren Berufung von Menschen zuwartet, bis etwa das Priestertum und weitere geistliche Ämter Form und Bedingungen angenommen haben, die der heutigen Zeit entsprechen.

Gottes Wort wird nicht überall gleich und gerne aufgenommen werden. Paulus und Barnabas mussten sich auf ihren Missionsreisen an das Wort Jesu halten: „Wenn man eure Worte nicht hören will, dann geht weg und schüttelt den Staub von euren Füßen“ (Mt 10,14). Das hielt sie nicht davon ab, der „Gnade Gottes treu zu bleiben“ und andere darin zu bestärken (Apg 13,43.52).

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr C) finden Sie hier.

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