Robert Vorholt: Kurzer Prozess mit einem Geist

Auslegung der Lesungen vom 4. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B)

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Was hat Macht über uns? Was hat uns im Griff? Und wie viel Macht geben wir dem? Das Evangelium dieses Sonntags erzählt von einem Menschen, der von einem unreinen Geist besessen ist. Jesus heilt ihn. Das ist mehr als "nur" eine Wundergeschichte, sie sagt vor allem etwas darüber, wer Jesus ist, erläutert Robert Vorholt, Professor für Neues Testament, in seiner Schriftauslegung.

Es ist nicht mehr lang hin, dann werden an der Nordseeküste nahezu allerorts die sogenannten Biikefeuer entzündet. Es handelt sich um oft meterhohe Lagerfeuer, die traditionellerweise in geselliger Runde am Vorabend des Petrifestes an den Stränden entzündet werden.

Der Brauch des Biikebrennens ist mehr als 2000 Jahre alt. Ursprünglich ging es darum, mit hohen Flammen, die den Nachthimmel emporklettern, die bösen Geister des Winters zu vertreiben. Die Angst vor numinosen Unheilsmächten war damals mit Händen greifbar. Die Menschen wähnten sich über viele Jahrhunderte hinweg nicht nur guten, sondern auch bösen Mächten preisgegeben.

Heute haben die meisten – zumindest in der modernen westlichen Welt – solch einen Geisterglauben weit hinter sich gelassen. Das heißt aber nicht, dass sie keine Angst mehr hätten.

 

Angst vor Ungewissheit

 

Die Lesungen vom 4. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Vor allem das Unberechenbare, das Ungewisse bereitet nach wie vor Kopfzerbrechen. Und die Angst der Menschen vor allem Lebenswidrigen bricht sich auch heute noch vielfach Bahn. Nicht zuletzt die Schrecken der gegenwärtigen Pandemie offenbaren dies auf horrende Weise.

Jesus kennt die Not der Menschen und stellt sich ihr in den Weg. Das Markus-Evangelium skizziert ihn, wie er mit der Vollmacht Gottes ausgerüs­tet kraftvoll dem Leben dient. Der Gottessohn aus Nazareth heilt Kranke, durchbricht Isolation und überwindet tiefe Vorurteilsgräben. In Kafarnaum trifft er auf einen Mann, der – in der Sprache der Bibel und mit dem diagnostischen Blick der damaligen Zeit – „von einem unreinen Geist besessen“ war. Eine heimtückische Unheilsmacht hatte sich seiner bemächtigt. Sie kommt aus dem Nichts und will Leben kaputt machen, indem sie dem Sterben Vorschub leistet. Vor allem aber will sie Menschen von Gott trennen, von seiner Schöpferkraft und seiner Liebe.

 

Kampfansage gegen Jesus

 

Deshalb weiß der „unreine Geist“ auch nur allzu genau über Jesus Bescheid. Indem er ausruft „Du bist der Heilige Gottes!“, liegt darin kein Glaubensbekenntnis, sondern eine Kampfansage. Das Böse will das Gute niederringen. Das macht es gefährlich und undurchschaubar.

Zum Zuge kommt es gleichwohl nicht. Die Lebensfeindschaft bleibt chancenlos. Jesus macht mit dem unreinen Geist kurzen Prozess. Dazu reicht ihm ein einziger Satz. Zuerst entzieht er ihm das Wort, danach schickt er ihn buchstäblich zum Teufel. Sein machtvoller Befehl setzt dem unheilvollen Treiben ein Ende. Das Böse ist der große Verlierer dieser Episode.

 

Ein besonderer Ort

 

Der Autor
Robert Vorholt
Robert Vorholt ist Priester des Bistums Münster und Professor für Neues Testament an der Universität Luzern.

Dass der Vollzug seiner Niederlage den Leidenden fast zu zerreißen droht, zeigt noch einmal die Ausmaße der Bedrohung. Aber sie hat keine Kraft mehr. Der Schrei ist nichts anderes als Wutgeheule eines Ungeistes im Untergehen.

Wichtig ist der Ort des Geschehens. Die Szene spielt an einem Sabbat in einer Synagoge. Unmittelbar zuvor hatte Jesus an diesem geheiligten Tag und an diesem geheiligten Ort die Tora ausgelegt, machtvoll und überzeugend wie niemand sonst. Die Lehre Jesu bringt das Evangelium auf den Punkt. Sie erschließt das Gottsein Gottes für die Menschen und lässt sie erahnen, was es heißt, von ihm geliebt zu sein.

 

Lehre bannt alles Lebensfeindliche

 

Die dann folgende Heilung des Besessenen kann nicht davon losgelöst betrachtet werden, sondern muss als augenfälliger Beleg dessen gelten, was Jesus zuvor verkündet hatte. Sein Wort und seine Tat gehören zusammen.

Die Menschen, die Zeugen dieser Ereignisse sind, bekommen eine handfeste Ahnung: „Eine neue Lehre mit Vollmacht!“, die alles Lebensfeindliche bannt und in der Begegnung mit dem lebendigen Gott neue Perspektiven eröffnet.

 

Jesus ist mehr als ein Therapeut

 

Jesus ist im Spiegel des Markus-Evangeliums nicht nur ein vorbildlicher Mensch. Es reicht auch nicht aus, in ihm einen Therapeuten zu sehen. Aus der Warte des Evangeliums ist Jesus vielmehr der Messias Gottes. Macht- und kraftvoll in Wort und Tat.

In ihm erfüllt sich nach christlicher Lesart die alte Verheißung der Tora, deren fünftes Buch (Dtn 18, 15-20) die endzeitliche Hoffnung des Mose für das Gottesvolk erinnert: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte erstehen lassen“.

Das Johannes-Evangelium verkündet diesen Messias Jesus als das Licht der Welt, das alle Finsternis vertreibt. In den Augen des Glaubens kann so sogar das alljährliche Biikebrennen zu einem Event der Hoffnung werden.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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