Pater Ralph Greis OSB über uns Menschen als Gottes veredelte Ebenbilder

Auslegung der Lesungen vom 5. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B)

Anzeige

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben: Im Evangelium dieses Sonntags spricht Jesus von der tiefen Verbundenheit mit seinen Jüngern - auch mit uns. Pater Ralph Geis OSB von der Abtei Gerleve erläutert in seiner Schriftauslegung, was es mit diesem Bild auf sich hat.

Weinstöcke und Weinberge mögen im Bistum Münster noch kein alltäglicher Anblick sein, doch das Wort von Christus als dem Weinstock und den Jüngerinnen und Jüngern als den Rebzweigen ist auch uns gesagt. Es ist ein vielschichtiges Bild, das sich genauer anzuschauen lohnt.

Ist Christus der Weinstock, dann gehört zu ihm auch die Wurzel: Christus verschafft uns Halt, auch in steilen Lebenslagen, durch ihn erhalten wir Nahrung und die metaphysischen Mineralstoffe, die wir zum Leben brauchen. So mag das Bild eine Ermutigung zu einer recht verstandenen Radikalität im Wortsinn sein: Für eine feste Verwurzelung in einer lebendigen Gottesbeziehung, durch die „radix“, die Wurzel der Person Christi. Wenn wir festen Stand haben, bekommen wir den Blick frei – füreinander und miteinander für Gottes gute, verletzliche und verletzte Schöpfung. Und wir bekommen die Hände frei, um das Richtige und Gute zu tun.

 

Radikal statt extrem

 

Die Lesungen vom 5. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Radikal ist etwas anderes als extrem. Wer fest in der Mitte und in der Tiefe verwurzelt ist, kann sich auch einmal zu den Extremen bewegen, ohne gleich über den Rand zu fallen. Am Weinstock Christi dürfen wir uns die radikale, verantwortliche Freiheit der Christenmenschen leisten.

Wo Weinstock und Rebzweige erst unterschieden und dann verbunden werden, klingt die Veredelung mit – dass der Unterlage ein Edelreis aufgepfropft wird. Hier mag mancher Theologe mahnend die Hände heben, dass man das Bild nicht überfordern dürfe. Natürlich darf sich niemand anmaßen, Christus „veredeln“ zu wollen. Aber nicht wir sind an dieser Stelle unsere eigenen Winzer, sondern der Vater. Schauen wir einmal umgekehrt, was Gott uns anmaßt, nach welchem Maß er uns Menschen erschaffen hat: Nach seinem eigenen Ebenbild – darunter tut Er es nicht.

 

Gott teilt als Mensch unsere Ebenbildlichkeit

 

Ist auf der Ebene des Geschöpflichen etwas Edleres vorstellbar? Selbst wenn wir in aller Freiheit dieses Ebenbild in uns und in unseren Mitmenschen verletzen und entstellen, ist Gott es nicht leid mit seinem Geschöpf: Er selbst wird Mensch, um in der Menschen­natur Christi unsere Ebenbildlichkeit zu heilen. An eben dieser Schnittstelle des gemeinsamen Menschseins kann der Vater als der Winzer uns seinem Sohn aufpfropfen, kann Christi göttliche Natur von der Wurzel her wieder durch unsere Gefäße fließen, kann uns veredeln und zu dem machen, was wir von der Schöpfung her immer schon sein sollten: Gottes geliebte Ebenbilder.

Das Bild vom Weinstock ist nicht statisch. Es reicht nicht, sich selbstgenügsam darin einzurichten, ein paar grüne Blätter zu schieben und damit wäre es gut. Es geht vielmehr ums Wachsen und Fruchtbringen, für alle, für die Gemeinschaft der Kirche.

 

Frei für das Wesentliche

 

Der Autor
Pater Ralph Greis.
Ralph Greis ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: privat

Es ist Gottes Sorge, dass unser Leben Frucht tragen möge: Der Vater als der Winzer reinigt uns, damit wir mehr Frucht bringen. Wenn er die trockenen Zweige oder Wassertriebe herausschneidet, dann geht es nicht darum, die „Anderen“ abzuschneiden, die sich vielleicht nicht regelkonform verhalten, sondern dass wir selbst uns das je eigene Unfruchtbare an Ansichten und Angewohnheiten entfernen lassen, um frei zu werden für das Wesentliche.

Die meisten Gleichnisse Jesu lassen sich so verstehen, dass sie nicht zwischen den einen und den anderen unterscheiden, sondern dass die Trennlinie – so auch zwischen Weizen und Unkraut – mitten durch die eigene Person verläuft.

 

Unermessliche Früchte

 

Jesus spricht vom Weinstock. Nicht vom Apfelbaum, nicht von Tomaten oder Kartoffeln. Nicht, weil es die damals im Nahen Osten noch nicht gab, sondern weil es eben um den Wein geht: „Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude erschaffen wurde?“ (Sir 31,27). Wo in Christus das Reich Gottes schon mitten unter uns ist, darf der Wein nicht fehlen. So braucht die Eucharistie aus Jesu eigener Einsetzung heraus das Brot und den „Wein, der das Herz des Menschen erfreut“ (Psalm 104,15).

Saulus, der sich zum Paulus bekehrt, muss dem Weinstock Christi nicht erst aufgepfropft werden – anders als wir „aus den Heiden“ gehört er als Jude schon zur Wurzel. Er erfährt seine Reinigung. Die Frucht, die er für uns alle gebracht hat, ist kaum zu ermessen. Mit dem ersten Johannesbrief sollen wir an den Namen Jesu glauben, aus seinem Gebot und seiner Liebe heraus einander lieben. So dürfen wir den Vater verherrlichen, Frucht für unsere Mitmenschen bringen – und frohe Jüngerinnen und Jünger Jesu werden.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 5. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B) finden Sie hier.

Anzeige