Traditionelle Silvesterpredigt in Münsters Lambertikirche

Bischof Genn ruft zu „Priorisierung der Schwachen“ und weniger Egoismus auf

  • Zu einer „Priorisierung der Schwachen“ und weniger Egoismus hat Münsters Bischof Felix Genn in seiner Silvesterpredigt aufgerufen.
  • Mit Blick auf den assistierten Suizid mahnte Genn in der Lambertikirche zu Wachheit angesichts einer Ökonomisierung der Gesellschaft.
  • Auch in der Kirche brauche es die Bereitschaft und Fähigkeit, eigene Positionen nicht absolut zu setzen.

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Zu einer „Priorisierung der Schwachen“ hat Münsters Bischof Felix Genn in seiner Silvesterpredigt aufgerufen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe gekippt hat, nehme er einen gesellschaftlichen Druck auf Menschen wahr, die „angesichts ihrer Situation und der Belastung für ihre Angehörigen eine solche Möglichkeit erwägen“, sagte Genn. Angesichts der Tendenz zur Ökonomisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens sei christliche Wachsamkeit gegenüber dem „nicht mehr produktiven Leben“ geboten.

Genn ermutigte zu Bescheidenheit und zu der Bereitschaft, sich von „bestimmten Standards meines Lebens“ zu lösen. Es könne auch ein Ausdruck von Freiheit sein, „nicht total autonom zu sein, sondern eingebunden in die Fürsorge für andere und durch andere“: „Freiheit bedeutet, den Blick für den Nächsten so zu behalten, dass ich mich in meiner Freiheit auch dadurch einschränken lassen kann“. Das sei „wahres Quer-Denkertum“, betonte der Bischof.

 

Brisante Kirchenthemen

 

Auch in der Kirche brauche es die Bereitschaft und Fähigkeit, eigene Positionen nicht absolut zu setzen. Genn fragte: „Können wir damit leben, in einer Diskussion alle Positionen benannt zu haben, die von meiner eigenen Verantwortung her zu benennen notwendig sind, und dennoch die Entscheidung derer anzunehmen, die tatsächlich die Entscheidungen zu fällen und die Verantwortung dafür zu tragen haben?“

Darüber nachzudenken, lohne sich auf im Blick auf manche Auseinandersetzungen und manchen „Shitstorm in den sozialen Medien“ auch zu aktuellen kirchenpolitischen Entscheidungen. Genn nannte als Beispiele „Schwierigkeiten um sexuellen Missbrauch und Missbrauch anderer Art“ und aufgrund von Veränderungen zerstrittene Gemeinden. Er erwähnte zudem Fragen, die „zum Teil höchst kontrovers diskutiert werden, an denen sogar die Einheit der Kirche zerbrechen kann“, und Befürchtungen, die Kirche in Deutschland löse sich aus der Einheit mit der universalen Kirche.

 

Verantwortung für kommende Generationen

 

Am Beginn des neuen Jahres sei es eine enorme Herausforderung, „die globale Welt, Eu­ropa, unser Land, aber auch die Kirche und nicht zuletzt die Schöpfung nicht scheitern zu lassen durch die Konzentration auf das eigene Ich“. Genn rief dazu auf, sich beschränken zu lassen, Verzicht anzunehmen und „bereit zu sein, über den Horizont des eigenen Lebens hinaus an die kommenden Generationen zu denken“. 

Mit Blick auf die Corona-Pandemie gelte es, sich der Wirklichkeit zu stellen: Viele Menschen seien gestorben, viele litten noch an den Folgen, ökonomische und soziale Langzeitwirkungen seien noch nicht absehbar. 

 

„Es geht uns trotz allem gut.“

 

Gleichwohl könne man im Vergleich zu anderen Ländern sagen: „Es geht uns trotz allem gut.“ Genn würdigte politisch klare Richtlinien und die Möglichkeiten durch ein hohes Niveau an finanziellen Mitteln, auch wenn damit nicht gesagt sei, dass alle Entscheidungen richtig gewesen seien.

Ausdrücklich dankte der Bischof all jenen, die sich „über Gebühr“ für die Kranken eingesetzt haben. Den Gläubigen rief er zu: „Bleiben Sie behütet und gesund, insgesamt positiv, im Blick auf das Corona-Virus negativ.“

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 sowie 116 123 täglich rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Der Mailverkehr läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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