Von Planungssicherheit, Präsenzunterricht und den Folgen der Impf-Debatte

Corona: Was sich Lehrer für das neue Schuljahr wünschen

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Das neue Schuljahr in Nordrhein-Westfalen beginnt in eineinhalb Wochen – wieder unter Corona-Bedingungen. Wie bewerten Lehrkräfte die Lage? Antworten von Marcus Hoffmann (41), Lehrer für Katholische Religionslehre und Erdkunde am Ratsgymnasium in Münster. Als Fachleiter für Katholische Religion und überfachlicher Ausbilder am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Münster besucht er viele Schulen und kommt mit Lehrkräften ins Gespräch. Zudem ist er Vorsitzender des Verbands katholischer Religionslehrerinnen und -lehrer an Gymnasien und Gesamtschulen im Bistum Münster (VKRM).

Herr Hoffmann, was wünschen sich Lehrkräfte zu Beginn eines weiteren Corona-Schuljahrs?

Vor allem längerfristige und klarere Planungsvorgaben. Es ist klar, dass auch Politik und Verwaltung einen schwierigen Job machen. Aber es ist im vergangenen Jahr beispielsweise mehrfach so gewesen, dass am Freitagabend Regelungen kamen, die ab Montagmorgen gelten sollten. Dass das für Frust und Probleme gesorgt hat, bestätigen mir auch Kolleginnen und Kollegen bei Schulbesuchen an anderen Schulen. Es geht hierbei nicht nur um Herausforderungen des technischen und organisatorischen Ablaufs – so kurzfristig kann man auch keine sinnvollen Lernprozesse planen. Es würde uns sehr helfen, wenn es klarere Szenarien gäbe: Wenn diese oder jene Corona-Marke erreicht ist, gelten folgende Vorgaben. Wir kommen mit vielen Situationen klar, müssen aber frühzeitig wissen, was wann dran ist.

Halten Sie Präsenzunterricht für die beste Lösung?

Ja. Schulische Bildung ist ja mehr als Wissensvermittlung. Es ist auch wichtig, dass Jugendliche etwa mit Gleichaltrigen Zeit verbringen und sich austauschen können. Zudem geht es um Chancengleichheit. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben zu Hause die gleichen Voraussetzungen – technisch, aber auch mit Blick auf familiäre Unterstützung. Auch mein erzieherischer Einfluss als Lehrperson ist beim digitalen Lernen sehr eingeschränkt.

Falls Präsenzunterricht nicht möglich wäre – fühlen sich die Lehrkräfte ausreichend vorbereitet?

Wir haben Erfahrungen mit Digital- und Wechselunterricht gesammelt, und die Schulträger haben viel Geld in die Hand genommen, um die Ausstattung mit Tablets zu verbessern. Es gab auch Fortbildungen zu digitalen Lernprogrammen. Aber dieser erste Schritt macht noch keinen auf Dauer ertragreichen Unterricht. Zudem ist versäumt worden, von Beginn an für einheitliche, praktikable und zuverlässige Software-Plattformen zu sorgen. Ich selber muss zum Beispiel mit fünf unterschiedlichen Systemen arbeiten. Manche sind nicht kompatibel. Es gibt auch organisatorische Fallstricke: Wer installiert die Programme auf den Schul-Tablets, wer wartet sie? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Und unter welchen Bedingungen erhalten die Schülerinnen und Schüler schuleigene Tablets? Viele Eltern haben beispielsweise Bedenken bei den Ausleihverträgen, die Eigenanteile bei Beschädigung vorsehen.

Wie ist der Stand bei Impfungen?


Marcus Hoffmann | Foto: privat.

Mein Eindruck ist, dass die allermeisten Kolleginnen und Kollegen die Angebote wahrgenommen haben. Falls eine Impfpflicht für Lehrkräfte kommt, hätte sie wohl nur noch für eine Randgruppe Konsequenzen. Ich fürchte aber, dass die gesellschaftliche Impf-Debatte auf die Schulen durchschlägt und die alltäglichen Abläufe wieder völlig durcheinanderbringt: Welche Angebote können wir für welche Gruppe machen? Darf es Klassenfahrten nur noch für Geimpfte geben? Müssen demnächst Schülerinnen und Schüler, die „nur“ getestet sind, in einem anderen Raum Klausuren schreiben als Geimpfte? Auch hier braucht es schnell klare Vorgaben für Schulleitungen und Lehrkräfte – auch für Gespräche mit möglicherweise impfskeptischen Eltern.

Wie sinnvoll wäre es Ihrer Ansicht nach, Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten?

Das kann ein Baustein sein. Aber Corona hat auch in Erinnerung gerufen, dass die „Baustellen“ fundamentaler sind: Dass Fenster vernünftig funktionieren und Schultoiletten in Ordnung kommen müssen, dass es überall Seife und Papier geben sollte, dass vielleicht häufiger geputzt werden muss. Zudem würde ein Spender mit Desinfektionsmittel in jedem Klassenraum helfen. Die Kosten dafür wären hoffentlich überschaubar.

Frage an den Vorsitzenden des Religionslehrer-Verbands VKRM: Es heißt, in Zeiten von eingeschränktem Unterricht sei Religion oft ausgefallen. Wie bewerten Sie die Lage Ihres Faches?

Zum Teil war Präsenzunterricht nur im Klassenverband erlaubt, konfessionelle Lerngruppen über mehrere Klassen waren nicht möglich. Es gab mehrfach ein Hin und Her. Ganz pragmatisch hat es dann an vielen Schulen Querschnitts-Projekte zum Beispiel der Fächer Religion und Philosophie gegeben. Es wäre aber schon sehr gut, wenn Religion wieder regulär angeboten werden könnte. Das Fach kann auch helfen, Erfahrungen der Corona-Zeit und der Distanz zu verarbeiten – und das sollte natürlich nicht auf Distanz geschehen.

Das können auch andere Fächer. Worin sehen Sie den Wert des konfessionellen Unterrichts?

Es stimmt, auch Fächer wie Philosophie diskutieren Sinnfragen. Im Religionsunterricht geschieht das aber stärker mit der Hypothese, dass es einen Gott gibt. Und neben das Sachwissen über Glaubensinhalte, unsere Kultur und die christliche Prägung der Gesellschaft und neben das Erlernen von Urteilskompetenzen tritt auch das persönliche Zeugnis. Das bedeutet keine Katechese oder Glaubensunterweisung, aber, dass Lehrende und Lernende Erfahrungen einbringen und sagen dürfen, was ihnen der Glaube bedeutet. Das gibt es so in anderen Fächern nicht.

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