Bruder Gereon Perse lebt eine uralte Form des Ordenslebens

Vom Kabarettisten aus Köln zum Eremiten in Jever

Bruder Gereon Perse aus Jever brauchte sich wegen Corona kaum umzustellen. Still und abgeschiedenlebt er ohnehin schon. Wie der Eremit eine besondere Form geistlichen Lebens in eine friesische Kleinstadt bringt.

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Anfangs waren sich die Menschen in Jever nicht klar, ob man Bruder Gereon Perse auf der Straße denn ansprechen dürfe. Ein Eremit sei in die Gemeinde St. Marien gezogen, das hatte Pfarrer Walter Albers sonntags in der Kirche berichtet. Bruder Gereon hat sie dann im Pfarrblatt beruhigt: Man dürfe ihn auf der Straße ruhig ansprechen. Nur in seiner Klause wolle er in Stille leben und nicht „ohne Anmeldung und triftigen Grund“ gestört werden.

Fremde Menschen auf der Straße einfach so anzusprechen, das ist vielen Menschen inzwischen schlicht vergangen. Denn das Corona-Virus ist natürlich auch in diese Kleinstadt im Kreis Friesland gekommen. Und das Leben eines Eremiten, allein, still, abgeschieden, das Leben von Bruder Gereon Perse, passt auf einmal sehr gut zur Bekämpfung einer tödlichen Pandemie. Der 51-jährige Eremit lebt in der verwinkelten Altstadt von Jever. Vielleicht jeder zehnte Mensch im Ort ist katholisch. Was ein Eremit überhaupt ist, wissen ohnehin nur wenige.

 

Schlicht, schmucklos, einfach

 

Die Klause: Zwei Zimmer, 30 Quadratmeter, Nebenräume in einem Hinterhof zwischen Pfarrhaus und Kirche. Eine Wohnküche mit zweiflammigem E-Herd, eine Waschmaschine, ein Tisch mit zwei Stühlen. Am Fenster ein Schreibtisch. Ein Tastentelefon, daneben ein Kofferradio, kaum größer als ein Band des theologischen Lexikons im Regal daneben. Ein Laptop ohne Internetanschluss. Kein Fernseher.

Im zweiten Zimmer am Fenster ein niedriges Bett. Von einem Kleiderschrank abgetrennt: ein Ständer mit Bibel und Stundenbuch, Kerze und Kniebank, Ikone und Kreuz an der Wand. In diesem Raum schläft Bruder Gereon und hält seine Gottesdienste. Alles schlicht, schmucklos, einfach. „Ohne Einfachheit ist ein solches geistliches Leben als Einsiedler kaum zu führen“, sagt Bruder Gereon. „Aber sie ist kein Selbstzweck. Es soll mich frei machen für die Stille, für die Suche nach Gott.“

 

Was Corona verändert hat

 

Die Corona-Pandemie hat dieses stille und zurückgezogene Leben in den vergangenen Wochen schon einmal ziemlich auf den Kopf gestellt. Bruder Gereon bittet wegen seines zurückgezogenen Lebens alle Besucher, ihn nicht im Porträt zu fotografieren. Und doch war er im Internet womöglich sogar weltweit zu sehen: Als die Pfarrkirche wochenlang geschlossen bleiben musste, gestaltete er zusammen mit Pfarrer Albers Live-Aufnahmen von Gottesdiensten aus Jever auf Youtube. Der Pfarrer stand am Altar, Bruder Gereon begleitete am E-Piano. Und bearbeitete dann die Aufnahmen.

Zum einen war das schlicht beruflicher Dienst für den Eremiten: Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit sechs Wochenstunden als nebenamtlicher Organist von St. Marien, für netto 400 Euro im Monat. Aber wichtiger: „Musik ist für mich ganz einfach auch ein Medium ein Verkündigung.“

 

Straßenmusiker und KAbarettist

 

Musik hat schon früh das Leben von Gereon Perse bestimmt. Zunächst wollte der junge Mann aus Köln Priester werden. Er studierte und arbeitete nach dem Abschluss in einem praktischen Jahr in einer Pfarrgemeinde in Gangelt (Kreis Heinsberg). 1994 entschied er sich gegen diesen Beruf und lebte als freier Musiker. Vom Orgelspiel, als Straßenmusiker, bei Auftritten in Musicals. Und im Kabarett.

Auftritten mit Spitzen gegen den Betrieb in Berlin, mit Nummern zu Auswüchsen des Kapitalismus. Auf Kleinkunstbühnen zwischen Köln und Bonn, auch in Gemeindezentren und Bürgerhäusern. Mit Freunden studierte er daneben das Musical „Jesus Christ Superstar“ ein und war damit zwei Jahre auf Tournee, erst im Rheinland, dann auch in Berlin und Rostock.

 

Stille statt Applaus

 

Monate lange Proben, harte Arbeit für eine Laiengruppe. Dann das Lampenfieber, endlich die Aufführung, das jubelnde Publikum – alle diese Elemente, von denen Künstler leben, hat Bruder Gereon aufgegeben.

Denn abends hält ein Einsiedler Stille, Stundengebet und Nachtruhe. Außerdem sei er ohne Fernseher und Internet und mit weniger intensiver Zeitungslektüre schlicht nicht mehr so genau orientiert über alle persönlichen Einzelheiten der Politiker. Um aber gute Kabarettnummern schreiben zu können, müsse man die politische Szene „sehr, sehr genau verfolgen“. Zudem: „Meine Ironie ist nicht mehr so feingeschliffen wie damals.“ Er sagt das sehr abgeklärt.

 

Zwei Jahre lang hat er sich gewehrt

 

Musik und Kabarett hat Bruder Gereon früher gemacht mit einem festen Kreis von Freunden, von denen viele ähnlich fühlten und dachten wie er. Nämlich religiös. Damals habe er mit einigen begonnen, das Stundengebet zu beten, erinnert er sich. Gereon Perse gründete mit ihnen später eine eigene geistliche Gemeinschaft. Seine Suche nach Gott nahm einen neuen Weg.

Der Gedanke an ein geistliches Leben habe ihn da nicht mehr losgelassen, erinnert sich Bruder Gereon. Zwei Jahre lang habe er sich dagegen gewehrt. „Aber dann musste ich diesen Weg gehen, um mir selbst nicht untreu zu werden.“ Die endgültige Entscheidung für ein Leben als Eremit fiel 2006. Ein äußeres Zeichen: „Am 11. Juni habe ich meinen Fernseher abgeschafft.“

 

Auch Freundschaft gehört zur Spiritualität

 

Der Grund: „Ich habe Gott als sehr verborgen erlebt. Mir wurde klar: Um diese Gottesfrage für mich zu klären, muss ich mich mehr der Stille aussetzen.“ Die lebt er nun in seiner Klause in Jever. 2014 hat er vor dem Bischof auf Lebenszeit das Leben als Eremit gelobt.

Bei aller Abgeschiedenheit eines Einsiedlers hält Bruder Gereon Kontakt zur Welt. Er gestalte sein Leben natürlich um das intensive persönliche Gebet: Von den Vigilien um ein Uhr in der Nacht über die Laudes morgens um sechs bis zur Komplet abends um acht. Aber bei der Arbeit als Organist in den Kirchen der Gemeinde, überhaupt bei den Gottesdiensten komme er mit Menschen in Kontakt. Und Bruder Gereon pflegt auch bewusst Freundschaften, etwa zu seiner geistlichen Gemeinschaft in Köln. Die besucht er regelmäßig, vor allem an zwölf Urlaubstagen. Er betont: „Wie Stille und Einsamkeit gehört auch Freundschaft zu meiner Spiritualität“, bestimme also sein geistliches Leben mit.

 

Positive Resonanz - ein "Fehlanreiz"

 

Seine Lebensregel verfasst jeder Eremit selbst und lässt sie vom Bischof genehmigen; in einem Anhang steht bei Bruder Gereon, er erlebe „positive Resonanz“ auf geselliges Verhalten als Organist, „einen Fehlanreiz für meine Lebensausrichtung“, vermerkt er kritisch. Dem entgegenzuwirken, falle ihm schwer. Das einsame und stille Leben bleibt also durchaus eine große Herausforderung für den Mann von der Kabarettbühne.

Bruder Gereon hat sich bei aller Stille einen wachen Blick für die Welt um sich herum bewahrt. Die Lebensform von Eremiten oder Ordensgemeinschaften mag er nicht so sehr herausgestellt sehen. „Ich habe eine noch sehr viel höhere Achtung vor denen, die im Alltag bewusst als Christen leben, in Partnerschaft und Familie.“ Er verweist auf seinen Bruder, einen Familienvater mit vier Kindern. „Was das an Herausforderungen bringt!“

Er selbst sei sich zwar klar, dass das Leben als Eremit seine Berufung sei. „Dieser Weg als Eremit ist sicher ein nötiger Weg in der Kirche. Aber ebenso sicher ist er nicht die Krönung des christlichen Lebens.“

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