Bibel-Experte Thomas Söding erklärt die Kar- und Ostertage

Fakten-Check Ostermontag: Wie war das damals wirklich?

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In der Karwoche gedenken Christen des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu. Die Bibel erzählt das Geschehen und deutet es zugleich. Aber was ist damals wirklich geschehen? Antworten von Bibel-Experte Thomas Söding aus Münster. Im sechsten und letzten Teil geht es um Ostermontag, den Tag, an dem der Auferstandene anderen Menschen erscheint - unter anderem den "Emmaus-Jüngern". Wie soll man sich das vorstellen? Das neue Testament berichtet davon im Lukas-Evangelium, Kapitel 24, Verser 13 bis 35.

Jetzt mal im Ernst, Professor Söding: Erst erkennen die Emmaus-Jünger Jesus nicht, dann schon – und von jetzt auf gleich ist er wieder verschwunden. Wo ist er hin? Und warum?

Lukas konnte Geschichten erzählen wie wenige andere. Die Emmaus-Geschichte ist ein Paradebeispiel. Sie ist eine Weggeschichte, die ihrerseits einen Weg beschreibt: sieben Schritte auf dem Weg zum Osterglauben.

Erster Schritt: Jesus begleitet die Emmausjünger auf ihrem Irrweg. Die Wegbegleitung ist keineswegs selbstverständlich. Denn die beiden Jünger laufen in die falsche Richtung. Sie fliehen aus Jerusalem – und müssten doch dort ausharren, wo Jesus gestorben ist und den Seinen erscheinen wird. Dass sie ihn nicht erkennen, der als Fremder mit ihnen geht, zeigt, wie tief ihre persönliche Krise ist.

 

Jesus öffnet die Tür zum Osterglauben

 

Zweiter Schritt: Jesus fragt sie nach dem Grund ihrer Trauer. Er spielt ihnen nicht seine eigene Unwissenheit vor, sondern gibt ihnen die Gelegenheit, die Geschichte ihrer Enttäuschung zu erzählen. Er nimmt ihre Irritation ernst, dass der, den sie für den Messias gehalten haben, so jämmerlich am Kreuz gestorben ist.

Dritter Schritt: Jesus verkündet ihnen mit den Propheten das Evangelium. Er stellt die Leidensgeschichte in den Horizont der Prophetie Israels und verbindet sie dadurch mit der Hoffnung auf Rettung aus dem Tode. Israel kennt das gewaltsame Geschick, das Propheten erlitten haben, weil sie Gottes Wort verkündet haben. So ist es auch Jesus ergangen – der den traurigen Jüngern von ihren eigenen Voraussetzungen her die Tür zum Osterglauben öffnet.

 

Der Gast wird Gastgeber

 

Vierter Schritt: Jesus bleibt bei ihnen, da es Abend wird. Er lässt sie nicht allein in der Unruhe ihres brennenden Herzens, sondern schenkt ihnen seine Gemeinschaft.

Fünfter Schritt: Jesus hält mit ihnen Mahl und bricht ihnen das Brot. Von den Emmaus-Jüngern eingeladen zu bleiben, handelt er, der Gast, als ihr Gastgeber; mit der einfachen Geste des Brotbrechens weckt er die Erinnerung an das Letzte Abendmahl; das Brot, das er ihnen bricht, ist das Brot des Lebens, das die Jünger vom Messias erhofft haben.

 

Jesus gibt sie frei

 

Sechster Schritt: Jesus entzieht sich ihren Blicken. Er klammert sich nicht an sie und verhindert, dass sie sich an seine leibliche Gegenwart klammern. Er ist der Auferstandene, der bei ihnen bleibt als der zur Rechten Gottes Erhöhte.

Siebter Schritt: Jesus gibt sie frei, den Weg zu gehen, den sie jetzt gehen können: den Weg der Erkenntnis, den Weg zurück nach Jerusalem, wo sie ihre Geschichte erzählen und mit der Ostergeschichte aller Apostel verbinden können.

 

Das Ticket für alle

 

Zweimal Emmaus und zurück – das ist das Ticket für alle Menschen, die sich dem Osterfest nähern wollen. Der Emmausweg hält fest: Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten im Glauben. Es gibt Irrwege, die ans Ziel führen. Es gibt Fremde, die sich als Jesus erweisen.

Der Emmausweg hält auch fest: Erkenntnis gibt es oft erst im Nach­hinein, in der Erinnerung, in der Vergegenwärtigung der Vergangenheit im Licht einer neuen Gegenwart.

Der Emmausweg ist nicht vorüber. Er beginnt in jedem Jahr, an jedem Sonntag, an jedem Tag neu: mit den Fragen und den Zweifeln, mit den falschen Zielen – und mit Jesus, dem kein Weg zu weit, keine Skepsis zu groß, kein Fehler zu schwer ist.

 

Keine Apostel - und das ist wichtig

 

So hat Jesus zeit seines Lebens gewirkt. So ist er als Auferstandener aktiv geblieben. Die Emmausjünger gehören nicht zu den Großen, nicht zu den Zwölf. Das macht sie so wichtig und ihre Geschichte so wertvoll. Mit dem Emmausevangelium kommt Ostern im Alltag an – und macht den Alltag zum Festtag.

Das Gebet, das Jesus am Abend in Emmaus spricht, ist ein eucharistisches Gebet. In diesem Gebet, das die Irrenden und Zweifelnden aufnimmt, wird das Hochgebet gesprochen und wird Eucharistie gefeiert. Anders macht es keinen Sinn; so lotet es die Tiefe des Osterfestes aus.

Zur Person
Der Theologe Thomas Söding befasst sich als Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum mit Themen neutestamentlicher Exegese und Theologie. Seine zentralen Forschungsgebiete liegen bei Markus, Paulus und Johannes. Söding ist Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und Teilnehmer des Synodalen Wegs. Er lebt in Münster.

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