Bibel-Experte Thomas Söding erklärt die Kar- und Ostertage

Fakten-Check Gründonnerstag: Wie war das damals wirklich?

Anzeige

In der Karwoche gedenken Christen des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu. Die Bibel erzählt das Geschehen und deutet es zugleich. Aber was ist damals wirklich geschehen? Antworten von Bibel-Experte Thomas Söding aus Münster. Im zweiten Teil geht es um Gründonnerstag, an dem Jesus nach dem Letzten Abendmahl mit seinen Jüngern zum Beten in den Garten Getsemani ging, bevor er verhaftet wurde. Das Neue Testament berichtet (Mt 26,36-46 / Mk 14,32-42 / Lk 22,39-46).

Jetzt mal im Ernst, Professor Söding: Haben die Jünger wirklich gepennt, während Jesus in Todesangst Blut geschwitzt hat? Warum soll das so gewesen sein?

Gethsemane ist atemberaubend. Wie soll man sich ausdenken, dass Jesus darum kämpft, nicht zu fliehen, sondern standzuhalten und den Weg des Leidens zu gehen, von dem er überzeugt war, dass er ihm nicht ausweichen konnte, wenn er seiner Sendung weiter folgen würde?

Ein Gottessohn, der bekennt: Meine Seele ist zu Tode betrübt, ist unvorstellbar. Man möchte sich einen Helden vorstellen, der mutig in die Schlacht stürmt. Man kann sich einen Heiligen ausdenken, dem einfach nichts etwas anhaben kann.

 

Ein wahrer Mensch

 

Aber das Jesusportrait ist anders. Jesus ist ein wahrer Mensch von Fleisch und Blut, mit Leib und Seele. Er hat mit Gott gehadert. Das Leiden fasst ihn an. Er will nicht sterben. Er betet – dass Gott ihn vor dem Leiden verschone. Er betet auch, dass Gottes Wille geschehe, wie immer es komme. Aber Jesus geht nicht mit der Resignation aus dem Ölgarten, dass er ohnedies nichts machen kann, sondern mit der Hoffnung auf Gott, seinen Vater, und in der Bereitschaft, in das hineinzugehen, was auf ihn zukommt.

In Geth­semane betet Jesus um sein Leben, aber er ist nicht allein. Er will auch nicht allein sein. Seine Jünger sind bei ihm – oder sollten es doch. Markus und Matthäus erzählen, dass er drei Jünger – Petrus, Jakobus und Johannes – ausgesucht und mit sich genommen hat, damit sie in seiner Nähe blieben und mit ihm wachten. Lukas hat diese Differenzierung nicht. Aber alle drei Evangelisten erzählen, dass die Jünger nicht wachen und beten, sondern schlafen. Ist das vorstellbar? Auf jeden Fall. Lukas schreibt, sie seien „aus Kummer“ eingeschlafen. Markus und Matthäus sagen mit einem Jesuswort, ihr Geist sei zwar willig, ihr Fleisch aber schwach.

Diese Schwäche ist im Spiegel der Evangelien das Entscheidende. Die Jünger sind völlig überfordert. Sie wollen auf keinen Fall, dass Jesus schwach ist. Sie wollen nie und nimmer, dass Jesus stirbt. Sie wollen, dass er stark ist und siegt. Mit Gethsemane kommen sie nicht zurecht.

Freilich sind die Evangelientexte nicht neutrale Dokumentationen. In allen Evangelien, besonders bei Markus, wird immer wieder betont, dass die Jünger größte Schwierigkeiten hatten, Jesus zu verstehen. Sie sind schwach, ohnmächtig, unverständig.

 

„Immer ist Gethsemane, immer schlafen alle“

 

Das Schlafen der Jünger wird deshalb so betont, weil es ein Grundproblem der Kirche anzeigt. Der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal hat es auf den Punkt gebracht: „Immer ist Gethsemane, immer schlafen alle.“

Die Evangelien setzen die Schwäche der Jünger ins Bild. Sie greifen auf das voraus, was sogleich im Anschluss erzählt werden wird: Bei der Verhaftung Jesu, die am selben Ort stattfinden wird, lassen sie ihn im Stich. Sie greifen auf das zurück, was sich schon oft während des Lebens Jesu abgespielt hat: dass die Jünger mit Jesus nicht Schritt gehalten haben, auch wenn sie ihm nachfolgen wollen.

 

Die Kirche schläft, wenn sie wachsam sein sollte

 

Gethsemane ist ein Gedächtnisbild Jesu. Gethsemane ist aber auch ein Spiegel der Kirche. Sie schläft, wenn sie wachsam sein sollte. Ebenso deshalb braucht sie Jesus. Das ist der Gründonnerstagsmoment.

Vorher wird vom Letzten Abendmahl erzählt. Jesus feiert es mit denen, deren Geist willig ist: Sie sind mit ihm bis nach Jerusalem gekommen. Jesus feiert es aber auch mit denen, deren Fleisch schwach ist: Sie selbst haben die Vergebung der Sünden nötig. Sie sind Sünder, die von Jesus erlöst werden müssen.

Die Feier der Eucharistie ist immer eine Gethsemane-Feier, eine Osterfeier. Der Kummer kommt zur Sprache – und kann sich in Freude verwandeln. Die Schwäche kommt zum Vorschein – und kann Stärke werden. Entscheidend ist Jesus, der weiß, was Leid und Schmerz ist – und aus dem Tod von Gott errettet worden ist.

Zur Person
Der Theologe Thomas Söding befasst sich als Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum mit Themen neutestamentlicher Exegese und Theologie. Seine zentralen Forschungsgebiete liegen bei Markus, Paulus und Johannes. Söding ist Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und Teilnehmer des Synodalen Wegs. Er lebt in Münster.

Anzeige