Michaela Labudda zu Leistungskürzungen und christlicher Verantwortung

Familien-Ideal der Männer-Kirche macht sie sozial blind

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Je heimeliger es vor Weihnachten wird, desto trüber scheint der Blick für die Dramatik möglicher Sozialleistungs-Kürzungen zu sein. Michaela Labudda, Theologin und alleinerziehende Mutter, klagt auch die Kirche an.

Wie mich diese Haushaltsdebatte aufregt, vor allem im Blick auf die zu kürzenden Sozialleistungen! Viel zu oft wird ein Bild von Sozialschmarotzenden hervorgerufen, das Betroffenen ernsthaft weh tun kann, weil es so ungerecht ist. Ich fokussiere mal die Gruppe der Alleinerziehenden, zu der ich selbst gehöre. Wobei: Gruppe? Das klingt schon nach Sonderform, als sei diese Lebensform nicht lange schon ein häufiger Normalfall.

Fast jede fünfte Familie in Deutschland zählt zu Ein-Eltern-Familien, 90 Prozent von der Mutter geführt. Ihr Armutsrisiko liegt bei 43 Prozent. Der Anteil von Beziehenden nach SGB II ist 10,3 Prozent. Die Kindergrundsicherung, ein im Koalitionsprogramm der Ampelkoalition festgeschriebenes Vorhaben des Familienministeriums, war mit Kompromissen auf zwölf Milliarden Euro veranschlagt und wurde schließlich mit vier Milliarden Euro fest vereinbart. Die jetzige Haushaltsdebatte fragt diese Summe jetzt wieder an.

Ein Schlag ins Gesicht - von Merz

Die Autorin
Michaela Labudda ist Theologin im Erzbistum Paderborn und arbeitet als Dekanatsreferentin im Dekanat Hellweg. Sie ist Mitglied im Synodalen Ausschuss und ZdK-Mitglied. Die alleinerziehende Mutter einer 16jährigen Tochter war 29 Jahre als Gemeindereferentin und vier Jahre als Wissenschaftliche Referentin tätig.

Dabei ist allen klar, dass die Kindergrundsicherung eine gute Maßnahme gegen Kinderarmut sein könnte. Gefestigte Kinderarmut prägt eine Gesellschaft langfristig negativ. Sich selbst als christlich verstehende Politiker aber sagen, wie kürzlich Friedrich Merz (CDU) bei “Maischberger”: „Es geht aber nicht mehr alles.“ – Was für ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die täglich organisieren, wie sie zunehmend ausfallende Kinderbetreuung kompensieren und nicht genau wissen, wie sie ein Weihnachtsfest organisieren sollen, das nicht nur finanziell unter schwierigen Bedingungen steht.

Man bedenke, dass Umgangszeiten einerseits Stress und andererseits Einsamkeiten verursachen können. Wer definiert „alles“?
Und die Kirchen? Zum Glück gibt es Solidarität wie durch AGIA, einen Zusammenschluss katholischer Frauenverbände, mit ihrem Aufruf in die gesellschaftliche Debatte. Zum Glück gibt es Initiativen auf Ortsebene. Zum Glück gibt es Fachberatung bei verschiedenen Anlaufstellen wie der Caritas. Ansonsten sagt Google, zum Thema "Alleinerziehende und Kirche“ sei 2018 zuletzt etwas geschrieben worden.

Blinde Flecken

Offenbar haben wir es in diesem Thema mit öffentlichen blinden Flecken zu tun. Für mich ist dies auch ein Negativeffekt einer männlich-klerikal geprägten Kirche. Viel zu oft wird hier nicht nur zur Weihnachtszeit ein Ideal von Familien gepflegt, das andere Familienformen ausschließt. Das Ideal ist wichtig, aber experimentell könnte der Josef mal hinter den Stall oder sechs Großeltern und ein zweiter Vater zur Maria. Wäre mal eine Gedankenanregung.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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