Meeresbiologe Frithjof Küpper über die Dringlichkeit des Klimaschutzes

Fragen und Antworten: Ist die Erderwärmung noch zu stoppen?

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In den letzten 30 Jahren hat der weltweit anerkannte Meeresbiologe Frithjof Küpper rund um den Globus die Weltmeere untersucht, mit und in der Natur gearbeitet und vieles dafür getan, das Bewusstsein für den Schutz der Umwelt zu schärfen. Für das diesjährige Abrahamsfest seiner Heimatstadt Marl hat Küpper die Schirmherrschaft übernommen. In vielen Veranstaltungen beschäftigen sich die katholischen, evangelischen und islamischen Gemeinden im Rahmen des Abrahamsfestes mit dem Klimaschutz und unserer Verantwortung dafür. Im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ spricht Küpper über die Bedeutung der Weltmeere für das Leben auf dem Planeten und darüber, was man lokal und persönlich für den Klimaschutz tun kann.

Herr Küpper, Sie haben die Schirmherrschaft für das diesjährige Abrahamsfest in Marl übernommen. Christen, Juden und Muslime widmen sich in vielen Veranstaltungen gemeinsam der Frage des Klimawandels. Was bedeutet diese Schirmherrschaft für Sie?

Sehr viel, denn sie ist Ausdruck, dass sich auch in meiner Heimatregion Christen, Juden und Muslime auf den Auftrag besinnen, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten – und dabei freundschaftlich zusammenzuarbeiten.

Sie sind ein international anerkannter Meeresbiologe und Klimaforscher. Der Klimawandel ist in aller Munde. Was sind Ihre Befürchtungen?

Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der hoch entwickelten Zivilisation. Andere Zivilisationen – in Mesopotamien, die Anasazi in New Mexico und Colorado, die Wikinger in Grönland – sind durch Klimawandel verschwunden, wenn es auch in diesen Fällen noch kein menschengemachter Klimawandel war. Das sollte uns eine starke Warnung sein. Ein großer Teil meines Engagements fußt in dem Wunsch, dass auch unsere Nachfahren noch in dieser hoch zivilisierten Welt leben können. Das ist ein Punkt, der für die allermeisten Menschen zugänglich und nachvollziehbar ist.

Für meine Forschung hatte ich das Glück, in den letzten 30 Jahren einen Großteil des Globus zu bereisen und dort mit und in der Natur zu arbeiten und, das ist ein echtes Privileg, dort auch zu tauchen. Zum einen konnte ich an vielen Orten immer wieder die Schönheit der Natur erleben, aber natürlich auch, wie gefährdet sie ist und wie das mit dem Klimawandel zusammenhängt: Die schwindenden Gletscher in Arktis und Antarktis, die Ölfelder und Abholzung im Amazonasgebiet, die Dürre und Waldbrände in Griechenland, Zypern und Kalifornien, die ausbleichenden Korallenriffe in Polynesien.

Was ist Ihr Auftrag?

Ich sehe es als Auftrag, alle meine Kräfte in den Erhalt der Natur in ihrer Vielfalt und Funktion – die Ökosystemfunktionen, die eben auch eine funktionierende Zivilisation ermöglichen – zu investieren.

Wie optimistisch darf man angesichts des Klimawandels noch sein?

Trotz aller negativen Entwicklungen denke ich, dass die Menschheit das Know-how, die Technologie, die wirtschaftlichen Mittel und zunehmend auch den Willen hat, die bedrohlichen Entwicklungen für unsere Lebensgrundlagen zu stoppen und umzukehren. Ich bin kein Weltuntergangsprophet, sondern trotz allem immer noch ein Optimist, dass die Menschheit dabei ist, das Ruder herumzureißen und die totale Klimakatastrophe doch noch abzuwenden.

Nicht nur die globale Sicht ist wichtig, sondern auch das lokale Handeln. Wie können Klimaschutzvorhaben, wie sie beispielsweise in Ihrer Heimatstadt Marl und anderen Städten beschlossen werden, umgesetzt werden?

Es gibt viele positive Bemühungen. Marl hat, wie viele andere Städte auch, seit knapp zehn Jahren ein durchaus überzeugendes Klimaschutzkonzept. Der gute Wille ist da. Was passieren muss, ist bekannt, und die Ansätze gibt es. Aber es geht vielfach noch zu langsam. Speziell in Marl halte ich die Gründung von Stadtwerken für sinnvoll. Es sollte aber noch mehr Ökostrom lokal produziert werden, und das sehr bald. Die Stadt hat sehr viele für Photovoltaik brauchbare Dach- und Parkplatzflächen, aber nur die wenigsten werden bisher dafür genutzt. Es gibt eben immer noch zu viele organisatorische Planungs- und Investitionshindernisse. Für Neubauten ist endlich vorgeschrieben, dass sie klimaneutral mit Energie versorgt werden müssen: Endlich! Das hätte schon ein paar Jahre früher passieren können. Darüber hinaus ist mir nicht begreiflich, wie Bauprojekte, die alten Waldbestand mitten in der Stadt gefährden, immer noch in der Planung sind. Alte Bäume in der Stadt sind Kühlaggregate für ein wärmer werdendes Stadtklima.

Was kann der Einzelne tun?

Man muss den Menschen bei sich zu Hause und in ihrem direkten Umfeld Möglichkeiten geben, zu handeln. Zum einen, weil das in der millionenfachen Summe wirklich die positiven Veränderungen bringt, die die Erde braucht, zum anderen, um ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben. Vor allem geht es beim Klimaschutz darum, wie wir Energie nutzen. Wir brauchen eine echte Energie- und Verkehrswende, eine Reduzierung des Fleischkonsums und die Ausweitung des Waldbestandes.

Wo und wie engagieren sie sich außerhalb Ihres Berufsfeldes?

Natürlich ist es sinnvoll, sich in Verbänden und Organisationen zu engagieren, die für den Natur- und Klimaschutz arbeiten. Ich persönlich bin Mitglied des Naturschutzbundes (NABU), des Scottish Wildlife Trust, des UK Woodland Trust auf Lebenszeit, der Hellenic Society for the Protection of Nature, der griechischen Schwesterorganisation des NABU, außerdem seit 30 Jahren auch bei Globosol, einer schweizer Vereinigung, die sich für die erschwingliche, kleintechnologische Nutzung von Solarenergie vor allem in ärmeren Ländern einsetzt. Darüber hinaus spende ich seit 30 Jahren erhebliche Beträge an Organisationen und Initiativen, die sich für Natur- und Klimaschutz engagieren.

Im Marler Stadtteil Drewer, wo Sie aufgewachsen sind, haben Sie schon vor vielen Jahren zahlreiche Kopfweiden gepflanzt, um das Stadtklima zu verbessern. Warum sind Handlungen wie diese wichtig?

Professor Frithjof Küpper an den von ihm gepflanzten Kopfweiden am Stadtrand seiner Heimatstadt Marl. Die ersten Kopfweiden pflanzte er als Abiturient vor 30 Jahren. | Foto: Johannes Bernard
Professor Frithjof Küpper an den von ihm gepflanzten Kopfweiden am Stadtrand seiner Heimatstadt Marl. Die ersten Kopfweiden pflanzte er als Abiturient vor 30 Jahren. | Foto: Johannes Bernard

Sie geben Menschen die Gewissheit, etwas sehr Positives für das Klima und die Natur im nächsten Wohnumfeld zu tun. Das Schöne bei den Kopfweiden ist, dass man da so schnell ein Erfolgserlebnis hat. Sie wachsen viel schneller als Eichen, Buchen oder die meisten anderen bei uns heimischen Baumarten. In weniger als zehn Jahren hat man da einen sehr stattlichen Baum vor sich. Bei mir selbst steht dieser Gedanke seit Beginn meiner Kopfweidenschutz-Aktivitäten im Jahr 1991, das heißt seit 30 Jahren, ganz vorne. Damals fragte ich mich, wieviel Kopfweiden es wohl brauchen würde, um meine eigene CO2-Produktion zu kompensieren oder um den Heizenergiebedarf meines Elternhauses nebenan zu decken. Dazu kommt ohne Frage der Nutzen für die heimische Natur. Die in den alten Kopfweiden lebenden Fledermäuse sind im Sommerhalbjahr fast jeden Abend in der Nachbarschaft zu sehen. Und auch die Steinkäuze, die ich abends zuweilen von meiner Terrasse hören kann, leben wahrscheinlich auch in einer alten, hohlen Kopfweide nebenan.

Wie steht es um den Zustand der Weltmeere?

Das muss man differenziert sehen. Natürlich ist vieles deprimierend. Es gibt in weiten Bereichen Überfischung. Und der zunehmende Plastikmüll, den ich auch an sehr entlegenen Küsten auf den Falklandinseln, in Ascension Island, in der Arktis und Antarktis, in Polynesien sehen konnte, ist ein riesiges und wachsendes Problem. Leider haben die Meere viel von ihrer Megafauna, das heißt von großen Fischen und Walen, verloren. Der Bestand der Vaquita, der seltensten Delfinart der Welt im Golf von Kalifornien, ist aufgrund von illegaler Fischerei, die immer wieder auch versehentlich diese Delfine fängt, auf nur etwa zehn Tiere geschrumpft. Die Ozean-Versauerung, eine der Öffentlichkeit viel weniger bewusste Konsequenz der CO2-Anreicherung in der Atmosphäre aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, gefährdet Korallenriffe weltweit.

Wo sehen Sie positive Entwicklungen?

Natürlich gibt es auch Erfolge guter Naturschutzarbeit und nachhaltiger Nutzung von marinen Ressourcen. Vor der Küste von Südkalifornien konnte ich im Jahr 2002 fünf Blauwale, die größten Tiere, die je auf der Erde gelebt haben, sehen. Blauwale waren fast ausgerottet und von manchen Biologen abgeschrieben, aber in einigen Gegenden, wie eben vor Kalifornien, hat sich der Bestand gut erholt. Die kleine Inselrepublik von Palau in Mikronesien im westlichen Pazifik, die ich 2017 besuchen konnte, hat es geschafft, ihre sehr artenreichen Korallenriffe sehr effektiv zu schützen und gleichzeitig den Devisenertrag aus dem Tauchtourismus dorthin zu maximieren.

Wie könnte das schlimmste Szenario im 21. Jahrhundert aussehen?

Die Erderwärmung steigt deutlich über 1,5 Grad, die von Klimaforschern als das Limit angesehen wird, bis zu dem die Folgen des Klimawandels noch halbwegs kontrollierbar sind. Das heißt: Vertrocknung großer Teile der Landflächen mit Absterben weiter Waldgebiete und Verlust großer Landwirtschaftsflächen, Ozean-Erwärmung in einem Maß, das zum Absterben der meisten Korallenriffe führt, ausufernde Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Starkregen, Wald- und Buschbrände, Start des Teufelskreises massenhafter, die Klima-Erwärmung verstärkender Mengen von Methan aus Permafrostböden, Anstieg des Meeresspiegels mit Verlust großer Siedlungsgebiete. Letztlich würde das zum Zusammenbruch von Wirtschaftssystemen, erheblicher Teile der landwirtschaftlichen Produktion, massiven Migrationsbewegungen und politischer Instabilität und schlussendlich vermutlich auch zum Kollaps unserer hoch entwickelten Zivilisation führen. Dazu darf es nicht kommen.

Was ist zu tun, um die Meere zu schützen?

Effektive Kontrolle mit Polizeifunktionen der Fischerei. Das ist gerade in internationalen Gewässern nicht leicht, aber es wäre viel gewonnen, wenn es denn zumindest in allen Territorialgewässern und exklusiven Wirtschaftszonen geschehe. Aufhalten der Klima-Erwärmung: Das würde vor allem die Korallenriffe und Kelpwälder (Algenwälder) retten und nebenbei die Ozean-Versauerung stoppen.

Was erwarten Sie von den politisch Handelnden?

Jetzt vor allem einen klaren Plan und Beschlüsse, bis Ende des Jahrzehnts die CO2-Emissionen so zu senken, dass das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann. Und das auf allen politischen Ebenen – von den Stadtverwaltungen bis zu nationalen Regierungen.

Frithjof Küpper
Seit 2012 leitet Professor Frithjof Küpper den Lehrstuhl für Marine Biodiversität der University of Aberdeen (Schottland). Der weltweit anerkannte Meeresbiologe und Klimaforscher aus Marl forschte und lehrte an der University of California in Santa Barbara und für die Scottish Association for Marine Science in Oban.

Das Abrahamsfest
Seit 2001 wird in Marl (Kreis Recklinghausen) alljährlich das Abrahamsfest begangen. Veranstaltet wird das Fest von der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft (CIAG) Marl in Kooperation mit den Kirchen und Moscheen in Marl, mit der Jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen und dem Integrationsrat der Stadt Marl. Mehrere Schulen beteiligen sich mit Projekten daran. Das diesjährige Schwerpunktthema beschäftigt sich mit dem Klimawandel und der Klimagerechtigkeit. Dafür konnte als Schirmherr der Meeresbiologe Professor Frithjof Küpper gewonnen werden.

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