Dieter Nissens Aufgabe: Das Licht darf nicht erlöschen

Friedenslicht-Bote der ersten Stunde – und ohne „Rettungsfeuerzeug“

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Dieter Nissen war dabei, als vor 25 Jahren das Friedenslicht aus Bethlehem zum ersten Mal zentral in Münster ausgesendet wurde. Drei Jahre später gehörte er auch der Gruppe aus dem Bistum an, die die Flamme zum ersten Mal in Wien abholte.

„Schockstarre“ nennt er es. Dieter Nissen beschreibt die Wirkung des Friedenslichts mit einem Wort. „Es versetzt die Menschen in einen Zustand der Berührung, der Betroffenheit und der Verantwortung.“ Er hat das schon tausende Male erlebt. Immer wenn er das Licht weitergereicht hat – im Kleinen von Mensch zu Mensch oder in großen Gottesdiensten.

Wie oft? Er hat längst aufgehört zu zählen. War er doch einer der Pioniere, die das Friedenslicht ins Bistum Münster holten. Damals, vor 25 Jahren.

Die erste Aussendung

„1999 war nicht Anfang“, sagt der 62-jährige Pfadfinder. „Schon in den Jahren zuvor hatte es Kontakte in einzelnen Orten im Bistum zu anderen Pfadfinderstämmen gegeben.“ Vereinzelt hatte das Friedenslicht dadurch begonnen, im Münsterland und am Niederrhein zu leuchten.

Dann aber gab es die erste offizielle Aussendungsfeier im Dom in Münster. Auch Nissen war sofort mit einer großen Gruppe aus Warendorf dabei. „Mit Petroleum-Leuchter im Zug – das war absolut verboten.“ Nur, dass das damals noch keiner wusste.

Das ungeschriebene Gesetz

Das war seine erste Berührung mit der Flamme, die jedes Jahr an der Geburtsgrotte in Bethlehem entzündet wird, um dann über Wien den Weg in viele europäische Länder und darüber hinaus zu nehmen. Das „flashte“ ihn sofort, sagt Nissen: „Zu erleben, wie behutsam alle mit dem Licht umgingen, wie fürsorglich Erwachsene und Kinder die Kerzen am Brennen hielten – das war beeindruckend.“

Er macht das an einem ungeschriebenen Gesetz fest, das bis heute gilt: „Es gibt keine Rettungsfeuerzeug – nie wäre jemand auf die Idee gekommen, damit ein erloschenes Licht wieder anzuzünden.“

Erstmals nach Wien

Eine Tatsache, die ihn etwas später vor größere logistische Herausforderungen stellen sollte, als er nicht mehr nur für den persönlichen Transport von Münster nach Warendorf verantwortlich war. 2002 reiste er als erster offizieller Botschafter aus dem Bistum nach Wien, um das Friedenslicht abzuholen. „Bis dahin hatte ich noch keine Vorstellung von der Größe der Aktion.“

Das sollte sich im Lauf der folgenden Jahre ändern. Bis 2019 gehört er alljährlich zur Delegation der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) aus Münster. Gemeinsam mit jungen Pfadfinderinnen und Pfadfindern und Gesandtschaften anderer Verbände brach er immer wieder auf.

Abenteuer aus anderen Ländern

Nissen brachte jedes Jahr Erlebnisse mit zurück, die ihm von Neuem „geflasht“ haben und ihm die enorme Ausstrahlungskraft des Lichts fühlen ließen. Besonders die Geschichten der Delegationen aus anderen Ländern beeindruckten ihn.

„Da war die polnische Gruppe, die bei Schnee und Wind an die russische Grenze fuhr, um die Flamme russischen Pfadfindern zu übergeben“, erinnert er sich. „Oder die Spanier, die mit dem Auto gekommen waren, um nach dem Aussendungsgottesdienst direkt wieder in den Wagen zu steigen und mit der brennenden Kerze auf dem Rücksitz zehn Stunden lang wieder nach Hause zu fahren.“ Oder die Pfadfinder aus Norwegen, die das Licht aus Kiel abholten und mit dem "Hurtigruten"-Schiff weiterverteilten.

Ausgeklügelte Taktik

Er weiß, was für Herausforderungen dahinter stecken. Nicht nur wegen der Reisestrapazen, auch durch die Sorge um die Flamme, die nicht erlöschen darf.

Mit der Zeit wurde die Taktik seiner Delegation immer ausgeklügelter. „Wir haben immer ein paar Dauerbrenner dabeigehabt, Grablichter vom Friedhof, um das Licht zu retten.“ Ein „Rettungsfeuerzeug“ war weiterhin undenkbar, sagt Nissen.

Strikte Vorschriften der Bahn

Die bald strikten Vorschriften der Bahn konnte Nissen mithilfe seines Vaters erfüllen, der einen alten Lack-Eimer zum Transport-Behälter umbaute. „Verschließbar, mit Sand als Basis, dann mit einem Glaseinsatz für die Kerze, der ebenfalls mit Sand gefüllt werden muss.“

Trotzdem gab es in den Abteilen auch Reisende, die ein sofortiges Löschen der Flamme forderten. „Zum Glück sprangen uns dann die Schaffner zur Seite – sonst wäre der riesige Aufwand innerhalb von wenigen Augenblicken dahin gewesen.“

Übergabe in Minuten auf dem Bahnsteig

Die Bahnreisen von Wien über München nach Münster hatten es immer in sich: „Etwa 14 Stunden und immer bereit, das Licht beim nächsten Halt an wartende Pfadfinder auf den Bahnsteigen weitergeben zu können.“

Das heißt: Alle Lichter bereitmachen, raus aus dem Zug, möglichst viele Kerzen entzünden und wieder zurück, bevor die Pfeife des Schaffners zu hören war. Trotz der kurzen Kontaktzeit waren es diese Treffen, die für Nissen viel über die Ausstrahlung der Aktion erzählen. „Das war immer Herzlichkeit pur – manchmal mit kleinen Gruppen, aber auch mal mit Blaskapelle und riesigen Abordnungen.“

Problem Zugverspätung

Seit vier Jahren fährt Nissen nicht mehr mit nach Wien. Die neuen Delegationen aber lässt er mit seiner Erfahrung nicht im Stich. Immer noch ist er für die Organisation der Friedenslicht-Aktion im Bistum Münster mitverantwortlich. Und erlebt dabei immer noch ausreichend Abenteuer.

So wie im vergangenen Jahr, als der Zug aus München so viel Verspätung hatte, dass die jungen Pfadfinder im Eiltempo mit dem Taxi vom Bahnhof zum Gottesdienst in den Dom gebracht wurden. „Als sie nachher im Altarraum saßen, fielen ihnen vor Erschöpfung die Augen zu“, erinnert er sich. Kaum einer kennt die enormen Strapazen der Aktion so gut wie Nissen.

Der Zauber des Lichts

Die sich aber jedes Mal lohnen, sagt er. „Spätestens, wenn die kleinen und großen Gruppen im Anschluss an die Aussendungsfeier aufbrechen, um das Licht überall im Bistum zu verteilen.“ Dann spürt Nissen wieder diesen Zauber, den er selbst vor 25 Jahren empfand, als er mit dem Petroleum-Leuchter in die Regionalbahn nach Warendorf stieg.

Er selbst nutzt heute jene Dauerbrenner vom Friedhof, um die Flamme daheim auf seiner Fensterbank am Leben zu halten. „Die brennen bis zu sieben Tage – ich muss halt nur aufpassen, dass ich den Zeitpunkt nicht vergesse, eine neue Kerze zu entzünden.“ Auch heute käme ein „Rettungsfeuerzeug“ niemals in Frage.

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