Ordensleute feierten 70 Jahre lang die Messen

Für die Kapuziner gab es in Aulendorf immer Stuten und Schinken

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Mit dem letzten Gottesdienst in Verantwortung der Kapuziner aus Münster bricht in der Kapellengemeinde Aulendorf (Kreis Coesfeld) eine jahrzehntelange Tradition weg. Mit Wehmut auf beiden Seiten – das ist deutlich herauszuhören.

Das war sie also – die letzte Messfeier in der Kapelle Aulendorf in der offiziellen Zuständigkeit der Kapuziner aus Münster. Am Pfingstsonntag gaben die Brüder ihre Verantwortung ab, nach etwa 70 Jahren. Ein Einschnitt für die Bauerschaft bei Billerbeck. Denn die Beziehung zur Ordensgemeinschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen. Und mit ihr die Zahl an Anekdoten und Geschichten.

Es ist wie eine kleine Zeitreise, wenn Hildegard und August Lohmann berichten. Von ihren Erinnerungen aus der Kindheit in der Nachkriegszeit, als die Kapuziner die Seelsorge von den Franziskanern übernahmen. Von den vielen Ordensbrüdern, die ihre Spuren danach in Aulendorf hinterließen. Und von den „wunderbaren Begegnungen“, die sich daraus ergaben. „Wir wussten ja nie, wer am Wochenende zu uns kam“, erinnert sich die Bäuerin. „Es war jedes Mal eine Überraschung, wer in der Kapelle predigte – unsere Neugierde war immer groß.“

Kapuziner kamen mit der Kutsche

In den ersten Jahren wurden die Geistlichen noch mit der Kutsche aus Münster abgeholt. Nicht nur für die Sonntagsgottesdienste, sondern einige Tage vorher. „Der Samstag gehörte der Beichte“, sagt Hildegard Lohmann. „Am Sonntag ging es dann mit den Gottesdiensten weiter.“ Dabei entwickelte sich eine Tradition, die bis heute Bestand hat. Die Kapuziner schliefen reihum bei den Bauern. „Sie kamen nüchtern zur Frühmesse und warteten dann auf die zweite Messe.“ Mit großem Hunger, wissen die Lohmanns noch. Deshalb ging es seither in die gute Stube auf ihrem direkt an der Kapelle liegenden Bauernhof zum Frühstück. „Stuten, Schinken, Ei und Kaffee.“

Daran hat sich trotz Corona-Unterbrechung bis heute nichts geändert, auch wenn die Ordensbrüder schon seit einiger Zeit erst am Sonntag zum Hochamt anreisen. „Es waren und sind durchweg wunderbare Menschen“, sagt Hildegard Lohmann. „Mit allen konnte man reden, lachen und auch mal traurig sein.“ Mit dem Grantigen genauso wie mit dem Lustigen oder dem hoch Gebildeten. Nicht nur in der Kapelle, vor allem auch in den guten Stuben. Wie bei den Lohmanns. „Wie oft haben wir früher hier gemeinsam mit der Großfamilie gesessen, Doppelkopf gespielt, auch mal schwarzer Peter – bis die Nasen der Kinder und des Paters schwarz vom Ruß waren.“

Frühschoppen fest eingeplant

Das alles ging natürlich auch beim Frühschoppen – einem festen Termin im von der Kapellengemeinde selbst bewirtschafteten Gasthof direkt nach der Sonntagsmesse. „Da gingen die Predigten weiter“, sagt August Lohmann. „Es wurde diskutiert und auch mal Themenvorschläge für die kommende Woche gemacht – auch mal etwas derber.“

Ein Programmpunkt, den auch Bruder Laurentius noch bis zuletzt genossen hat. „Die Männer beim Bier, die Frauen beim Kaffee – die Gespräche mit Ihnen waren unschätzbar wertvoll.“ Wie so viele Erlebnisse, die er in den vergangenen Jahren selbst noch machen konnte oder von denen er von seinen alten Mitbrüdern erzählt bekam. „Wir Ordensbrüder durften dort noch bis heute erleben, wie gemeinschaftliches Glaubensleben und Glaubensweitergabe über Generationen funktioniert.“ 

Kapuziner fühlten sich in Aulendorf wohl

Die Kapuziner fühlten sich als Teil der Familien in Aulendorf. Und das gern, weiß Bruder Laurentius. „Jeder war froh, wenn er mal wieder Sonntagsdienst dort hatte.“ Nicht nur wegen des leckeren selbstgebackenen Stutens der Lohmanns, auch weil dort so vieles noch funktionierte, was an anderen Orten schwierig geworden ist. „In Aulendorf passiert alles selbstständig und lebendig – es gibt viele Messdiener, Ehrenamtliche übernehmen das Organisatorische, die Menschen suchen wie selbstverständlich Verantwortung in der Kirche.“ 

„Wunderbar“, nennt Bruder Laurentius das. Und: „Irgendwie ganz aktuell synodal.“ Was zum franziskanischen Gedanken seines Ordens passt. Den er in Aulendorf ohnehin gut aufgehoben sieht. „Mitten in der Natur der Baumberge, einfach, bodenständig und alles andere als Kirche von oben.“ Eine Atmosphäre, aus der sich einige Freundschaften entwickelt haben. Besuche der Aulendorfer im Kloster in Münster waren nicht selten, auch die Begleitung in Krankheitsfällen gehörte dazu, zu Beerdigungen von Mitbrüdern reisten die Bauern hat.

Leidet die Kirchenbindung?

Diese enge Beziehung läuft nun aus. „Leider“, wie beide Seiten sagen. Aber es geht nicht anders. Die Ordensgemeinschaft in Münster wird kleiner und damit werden auch die Priester im Orden weniger. „Zudem haben viele unserer Mitbrüder aus der Mission keinen Führerschein“, sagt Bruder Laurentius. Ab jetzt wird die Kapelle von der Pfarrgemeinde St. Ludger und St. Johann in Billerbeck versorgt. Ob mit dem dortigen Personal immer ein Hochamt in der Kapelle Aulendorf möglich ist, ist offen.

„Wir werden sehen, ob darunter die Bindung der Aulendorfer zum absoluten Zentrum für alles hier in unserer Bauerschaft leidet“, sagt Hildegard Lohmann. „Denn alles, was hier passiert, hat seine Verbindung zur Kapelle.“ Der umtriebige Kapellenverein, die großen Ortsfeste und Prozessionen, das Gemeinschaftsleben in den Gebäuden rund um die Kirche – all das hat irgendwie etwas mit dem Gotteshaus zu tun.

Schinken und Stuten gibt es weiterhin

Ob es künftig jeden Sonntag weiterhin 40 Gottesdienstteilnehmer sein werden? Die Lohmanns wiegen nachdenklich den Kopf. „Wenn sich Gewohnheiten ändern, ändern sich auch die Zahlen“, wissen sie. Bei der Corona-Pandemie haben sie das bereits spüren können. Die Gottesdienstgemeinde hat sich mit ihr fast halbiert und noch nicht wieder erholt. Ohne Kapuziner muss die Messe jetzt eine Stunde vorverlegt werden. Auch damit bricht eine jahrzehntelange Gewohnheit weg.

Sie werden weiter im Ehrenamt alles tun, damit nicht nur das Gebäude der Kapelle, sondern auch das spirituelle Leben darin erhalten bleibt. Wie bislang schon – Familie Lohmann ist ein passendes Beispiel dafür. Hildegard Lohmann ist oft als Lektorin im Einsatz, ihr Mann August spielt mit seinen 87 Jahren noch regelmäßig die Orgel und die Tochter übernimmt auch mal den Sakristei-Dienst. Neue Aufgaben könnten jetzt dazu kommen. Vielleicht bereiten sie demnächst in der Bauerschaft selbst Wortgottesdienste vor. Und sie werden an einer ganz alten Tradition festhalten, das versprechen sie: „Wenn die Kapuziner mal zum Aushelfen kommen, gibt es natürlich immer noch Stuten, Schinken, Kaffee und Ei in unserer guten Stube.“

Kapelle Aulendorf
Schon 1747 wurde die erste Kapelle in Aulendorf gebaut, weil die Entfernung zu den Kirchen der umliegenden Orte zu groß war. 1888 aber drohte der Bischof von Münster, das kleine Gotteshaus abzureißen, da sie in einem „unwürdigen Zustand“ war. Also bauten die Aulendorfer eine neue Kapelle, die im Folgenden mehrfach renoviert wurde. Die Kosten für den Unterhalt und die Baumaßnahmen werden vom Kapellenverein Aulendorf aus Liegenschaften, Vermietungen und Spenden erwirtschaftet.

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