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Das Kapuzinerkloster in Werne wurde vor 351 Jahren gegründet. Die Ordensgemeinschaft feiert mit einjähriger, Corona-bedingter Verspätung seine lebendige Geschichte und lebhafte Gegenwart.
Es ist sofort zu spüren, dass hier etwas anders ist. Der uralte Schlüssel im schmiedeeisernen Schloss, der knarzende Eichboden, das abgegriffene Buch mit der Sütterlinschrift im Regal der Bibliothek – es sind diese Details, die dem Besucher unmissverständlich klarmachen, dass er einen Ort betreten hat, der nicht nur im hier und heute existiert. Ungezählte Details atmen den Geist einer langen Geschichte. 350 Jahre gibt es das Kapuzinerkloster in Werne (Kreis Unna) bereits. Mit einjähriger, Corona-bedingter Verzögerung feiert die Ordensgemeinschaft dieses Jubiläum.
20 Kapuziner waren es zu Hochzeiten, die in dem verwinkelten Bau mitten in der Stadt lebten. Heute sind es noch vier. Sie sind alt geworden. Bruder Norbert ist mit seinen 68 Jahren der Jüngste und Guardian der Gemeinschaft. Ein halbes Jahrhundert ist er schon Kapuziner. Im Vergleich mit den Mauern um ihn herum ist das eine kurze Zeitspanne. Das spürt auch er. „Wenn die Wände erzählen könnten, würden sie viel über den Alltag der Mitbrüder erzählen, die hier zuhause waren“, sagt er. Über ihre Arbeit, über ihre Gebete, über ihre Feste. „Über das Leben, das dieses Haus immer erfüllt hat.“
Geschichte in jedem Winkel des Klosters
Erinnerungen an die Menschen der Vergangenheit in jedem Winkel: Das Porträt eines ehemaligen Mitbruders an der Wand, die gusseiserne Nähmaschine, an der ein anderer immer saß, das handschriftliche Buch eines Verstorbenen – es sind nicht nur die großen historischen Momente, sondern auch die persönlichen Andenken, die viel aus der Geschichte des Klosters erzählen, sagt Bruder Norbert. „Dazu gehören die fröhlichen Dinge genauso wie die ernsthaften, die Anekdoten ebenso wie Krankheiten und Todesfälle.“ Diese Augenblicke verschwinden nicht, werden weitererzählt, über Generationen hinaus.
Dabei geht es nicht selten um urige Typen. „Der Kapuzinerorden bringt immer wieder echte Originale hervor, von denen wir uns lange erzählen“, sagt Bruder Norbert. Ein kurzes Grinsen später hat er auch schon ein Beispiel. „Da war der Bruder Gerion, er war Koch und ist sehr alt geworden.“ Sein Markenzeichen war die dicke Zigarre, die er fast ununterbrochen rauchte. „Nur nicht, wenn er an den Töpfen stand, dann machte er sie aus, behielt den Stumpen aber weiter im Mundwinkel.“
Das Kloster ist kein Museum
Trotz der langen Tradition – das Gefühl, ein Museum zu betreten, stellt sich nicht ein. Es ist noch viel Leben im Kloster. Ihren Alltag mit den gemeinsamen Gebets- und Mahlzeiten meistern sie zum großen Teil noch selbst. Tägliche Gottesdienste, Beicht- und Gesprächsangebote gehören weiterhin zu ihren Aufgaben. Nur um die Raumpflege und die Wäsche kümmern sich Angestellte. Zudem kommt viel Unterstützung aus der Nachbarschaft. Es gibt Ehrenamtliche, die im Garten helfen. Andere übernehmen Pfortendienste.
„Wir sind gut vernetzt in der Stadt“, sagt Bruder Norbert. Ursprünglich am Stadtrand gebaut, steht das Kloster heute mitten in der Stadt. Nicht nur räumlich gesehen, sagt Bruder Norbert: „Wir sind immer im Kontakt mit den Menschen um uns herum.“ Das liegt an der Offenheit, die die Gemeinschaft pflegt. Einzelpersonen, Gruppen und Vereine sind willkommen. Sie nutzen die Räume, den Garten und die Kirche. Nicht nur für ihre Veranstaltungen, auch für die Begegnung mit den Ordensbrüdern.
Heimat für viele Generationen
Auch hier spielt Tradition mit hinein. „Das Haus war für viele Generationen in Werne Heimat“, sagt Bruder Norbert. Und das lebensbegleitend: „Von der Jugend- und Messdienerarbeit über Angebote für Familien bis hin zum Zusammensein mit Senioren.“ Das wirkt nach. Noch immer kommen die ehemaligen Begleiter zu Besuch, feiern ihre Hochzeit in der Klosterkirche oder werden dort bei ihrer Beerdigung verabschiedet.
Der Freundeskreis des Klosters ist bestes Beispiel für den Stellenwert, den die Kapuziner in Werne immer noch haben. Den Mitgliedern sind nicht allein Spenden für den Erhalt des Klosters wichtig, sondern vor allem das aktuelle Leben. Sie organisieren Feste, halten den Garten instand, helfen bei Sakristei-Diensten oder Reparaturen.
Das Guckloch am Altar
Und die Erinnerung an das Wirken der Ordensgemeinschaft liegt ihnen am Herzen. Gregor Zumholz bietet regelmäßig Führungen durch das Kloster an. Dessen Geschichte wird dabei nicht nur an kunsthistorischen Fakten sichtbar, sondern in den kleinen Erzählungen, die er einstreut. „Auf der Rückseite des Altars gibt es einen Durchblick in die Kirche“, weiß der Vorsitzende des Freundeskreises. In einem dunklen Gang stehend zeigt er auf ein schmalen Fensterschlitz. „Das ist aber kein Spion, um die Gottesdienstbesucher zu beobachten.“ Sondern? „Ein Guckloch für die ungeweihten Priester, die früher nicht am Altar stehen durften und nur von hier die heilige Messe mitfeiern konnten.“
Das Blattgold des Hochaltars und der Heiligenfiguren ist auch eine solche Geschichte. „Dieser prunkvolle Glanz ist erst 1937 aufgetragen worden, weil es nicht zum ursprünglichen Armuts-Gelübde der Kapuziner passte.“ Die wohl imposanteste Erinnerung findet Zumholz schließlich hinter einer unscheinbaren Holztür im Obergeschoss: Über zwei Ebenen erstrecken sich Bücherregale mit 22.000 Bänden. Viele alte, dicke Einbände sind zu finden – ihnen ist anzusehen, durch wie viele Hände sie in den Jahrhunderten gewandert sind. Auch wenn die Wertvollsten in die Unibibliothek in Münster gegangen sind, haben die Verbliebenen ihren eigenen Reiz. „In vielen Handschriften haben die Kapuziner nicht nur festgehalten, was sie gepredigt haben, sondern auch, wie die Reaktion der Gemeinde darauf war.“
Ein Zuhause für betagte Kapuziner
Bei aller Historie, die Geschichte des Klosters scheint lange noch nicht zu Ende geschrieben zu sein. Ein Umbau hat die Einrichtungen auf das Leben der alten Ordensbrüder abgestimmt. Heute fährt ein Treppen-Lift an dem großen Kreuz im Treppenhaus vorbei. Die Zellen sind vergrößert, vieles ist behindertengerecht eingerichtet worden. Das Haus ist bewusst für betagte Kapuziner vorgesehen, die auch aus anderen Klöstern hierherkommen werden. Im benachbarten Pflegeheim leben ebenfalls Mitbrüder.
Es ist eine andere Lebendigkeit, die im Kapuzinerkloster in Werne mittlerweile herrscht. Anders als zu Zeiten, in denen jede Zelle besetzt war. In denen junge Ordensleute hier ihre Ausbildung absolvierten. In denen das kirchliche Leben noch eine ganz andere Rolle in der Gesellschaft spielte. Trotzdem ist das Wirken der Kapuziner in Werne auch heute noch deutlich zu spüren. Es ist alles angerichtet für viele weitere Jahre dort. Für weitere Geschichten, die beim nächsten Jubiläum erzählt werden können.
Nachdem Fürstbischof Bernhard von Galen schon 1659 die Gründung eines Kapuzinerklosters in Werne genehmigt hatte, konnte die Grundsteinlegung erst 1671 erfolgen. Grund dafür war die lange Suche nach einem geeigneten Grundstück. Im Dezember 1673 können die ersten 11 Ordensmänner den Neubau beziehen. Aber erst 1677 kann mit dem Bau der Klosterkirche begonnen werden. 1681 kann dort die erste heilige Messe gefeiert werden. Während der Säkularisierung fällt das Kloster an die Stadt Werne, die es als Schulgebäude nutzt. Erst 1850 können die ersten Kapuziner wieder nach Werne zurückkehren. Auch während des Kulturkampfes war das Kloster zeitweise aufgehoben. Im Tausch mit anderem kirchlichem Grundeigentum erwirbt der bischöfliche Stuhl 1902 das Kloster von der Stadt.