Leiter der Historikerkommission für das Bistum Münster kritisiert Bischöfe

Großbölting: Kein Veränderungswille bei Missbrauchs-Aufklärung

  • Zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche fehlt es an Veränderungswillen, meint Thomas Großbölting. Viele Bischöfe hielten sich "auffallend zurück".
  • Großbölting leitet die Historikerkommission an der Universität Münster, die im Auftrag des Bistums unabhängig den Umgang mit Missbrauch in der Diözese untersucht.
  • Die "jüngsten Vorgänge" im Erzbistum Köln hätten den Anspruch auf transparente und unabhängige Aufarbeitung "völlig desavouiert".

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Experten halten die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche für unzureichend. Es fehle an klaren Standards und Zielen sowie an Veränderungswillen, schreibt unter anderem der Hamburger Historiker Thomas Großbölting in einem Beitrag der "Herder Korrespondenz" (Februar). Auch die Zusammenarbeit mit Betroffenen müsse anders organisiert werden; zudem reiche es nicht, sich auf eine strafrechtliche oder kirchenrechtliche Aufarbeitung zu konzentrieren.

Großbölting leitet die Historikerkommission an der Universität Münster, die im Auftrag des Bistums Münster unabhängig den Umgang mit Missbrauch in der Diözese aufarbeiten soll. Zudem leitet er die Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

 

"Köln hat Aufarbeitung völlig desavouiert"

 

Der Historiker kritisierte, das Ziel der katholischen Kirche, gesellschaftlicher Vorreiter bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Vertuschung zu sein, bleibe bislang "allenfalls ein frommer Wunsch". Viele Bischöfe hielten sich bei der Aufarbeitung "auffallend zurück". Die "jüngsten Vorgänge" im Erzbistum Köln, so Großbölting, hätten den Anspruch auf transparente und unabhängige Aufarbeitung "völlig desavouiert".

Er forderte, Missbrauchsbetroffene entscheiden zu lassen, wie sie mit der Kirche bei einer Aufarbeitung zusammenarbeiten wollten. Die in vielen Diözesen gegründeten Betroffenenbeiräte seien nur die zweitbeste Alternative, betonte Großbölting.

 

"Missbrauch nicht nur ein Problem der Vergangenheit"

 

Aus Sicht des Historikers sollten die Kirchenverantwortlichen die Aufarbeitung breiter anlegen und als kontinuierliche Aufgabe verstehen. Dazu gehöre, das Selbstbild von Klerikern, die katholische Sexualmoral sowie Hierarchien und Entscheidungswege darauf hin zu untersuchen, wie sie Missbrauch ermöglicht, begünstigt und zu Vertuschung beigetragen hätten. Sexueller Missbrauch sei "nicht nur ein Problem der Vergangenheit und einzelner Akteure, sondern die begünstigenden Strukturen und Mentalitäten sind bis heute virulent".

Großbölting sprach sich dafür aus, Machtstrukturen in der Kirche aufzulösen, Entscheidungen transparenter und partizipativer zu machen und einen "menschen- und damit auch gottesfreundlichen Umgang mit Sexualität in ihren unterschiedlichen Formen" zu etablieren.

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