24-Jährige arbeitet in St. Vincentius in Dinslaken

Johanna Sauerbier: Evangelische Jugendreferentin in katholischer Pfarrei

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Multiprofessionelle Teams sollen sich im Bistum Münster in den Pfarreien aufstellen, um Seelsorge zukunftsfähig zu machen. Johanna Sauerbier ist mit einem außergewöhnlichen Hintergrund angestellt: Sie ist evangelisch.

Jugendheim-Kulisse: Vom Hocker vor der holzvertäfelten Theke blickt sie auf ein Herzstück der Jugendarbeit in St. Vincentius in Dinslaken. Die riesige Sofa-Ecke in dem Treff neben der St.-Johannes-Kirche ist mit Sitzgelegenheiten für nahezu 40 Kinder und Jugendliche ausgestattet. Der Platz wird hier gebraucht. Die Jugendarbeit brummt in den sieben Gemeinden der Pfarrei. Nicht zuletzt seit Johanna Sauerbier vor etwa zwei Jahren ihren Dienst angetreten hat.

Sie ist Jugendreferentin in einem multiprofessionellen Team. So heißt das Projekt, das vor drei Jahren im Bistum Münster gestartet wurde und in 13 Pfarrgemeinden bereits umgesetzt wird. Die Zusammensetzung der Mitarbeiter in der Seelsorge soll durch die Öffnung für unterschiedliche Fachkräfte breiter aufgestellt werden. So gab es auch eine solche Stelle wie die ihre in der Pfarrei bislang nicht. „Die Arbeit mit den jungen Menschen fiel in der Regel in den Aufgabenbereich des Kaplans oder der PastoralreferentInnen“, sagt die 24-Jährige. „Eine Ausbildung zur Pädagogin oder Sozialarbeiterin war damit nicht vorausgesetzt.“

Nicht immer mit absolutem Durchblick

Ihre Anstellung ist aber nicht nur aus fachlicher Sicht Neuland. Sauerbier bringt ein Profil mit, das es so wohl nur sehr selten in der katholischen Pfarreien-Landschaft gibt. Sie ist evangelische Christin und in der Jugendarbeit ihrer Kirche groß geworden. „Bei vielen Dingen in der katholischen Kirche habe ich immer noch nicht den absoluten Durchblick“, sagt die 24-Jährige. Kein Nachteil ist das für sie, sondern oft sogar ein Vorteil. „Die jungen Menschen, auch die katholischen, verstehen längst nicht immer alles, was in und um die Kirche herum passiert.“ Sie starten quasi mit den gleichen Voraussetzungen wie Sauerbier.

Von diesem Punkt ist es nicht weit zu ihrer Grundidee von christlicher Jugendarbeit: „Es geht darum, Kinder und Jugendliche zu erreichen, mit ihnen Zeit zu gestalten, Gemeinschaft zu erleben.“ Eben nicht sofort um Vermittlung von Glaubensinhalten, um das Verstehen von Theologie oder um das Erleben von Liturgie. „Davon sind sie oft viel zu weit entfernt – der Schritt wäre zu groß.“ Nicht aber der Schritt zum Erfahren von christlichen Werten in der Gruppe. „Zu Respekt, Wertschätzung, Nächstenliebe…“

Christliche Werte universell

Ob davor ein „e“ für evangelisch, ein „k“ für katholisch oder ein „c“ für christlich steht, ist an diesem Punkt unerheblich, sagt Sauerbier. „Diese Werte gelten in beiden Konfessionen.“ Trotzdem ist ihr Weg zu dieser Arbeitsstelle ein ungewöhlicher. Sie kommt gebürtig aus Dinslaken, war dort lange in der evangelischen Jugendarbeit aktiv. Nach dem Abitur ging es zum Studium der Informatik nach Dortmund. Bis sie spürte, dass ihr in diesem Berufsfeld die Arbeit mit Menschen zu kurz kommen würde. Deshalb begann sie an der Evangelischen Hochschule das Studium für Gemeindepädagogik und Diakonie.

Berührungsängste spürte sie anschließend bei der katholischen Stellenausschreibung keine. „Allein schon, weil ich aus meinem Leben in Dinslaken viele Bekannte und Freunde kannte, die ehrenamtlich in der katholischen Kirche aktiv waren.“ Wohl aber an die Namen der einzelnen Kirchen musste sie sich gewöhnen. Von den Namenspatronen hatte sie teilweise noch nie gehört. Auch die Struktur und Hierarchie beim neuen Arbeitgeber waren ihr fremd. Und an die Liturgie musste sie sich schließlich auch erst gewöhnen.

Neue Offenheit mitgebracht

Was alles kein Problem war, sagt Sauerbier. „Ich bin von den Kollegen oft an die Hand genommen worden – nach und nach wurde alles verständlicher.“ Was ihr auch in ihrer Arbeit mit der Jugend half. Denn die Schnittmenge etwa zur Katechese, zur Vorbereitung von Gottesdiensten oder zur Gremienarbeit ist groß. „Ich wusste, was ein Presbyterium ist, nicht aber ein Pfarreirat oder Kirchenvorstand.“

Sie hat eine neue Offenheit mitgebracht – das ist ihr schon reflektiert worden. „Weil die Richtung, aus der ich auf die Kinder und Jugendlichen zugehe, eine andere ist.“ Ihr geht es in erster Linie eben nicht darum, junge Menschen für einen Dienst, eine Aufgabe oder ein Sakrament zu erreichen, sondern sie erst einmal im Umfeld der Kirche zusammenzubringen. „Was daraus am Ende entsteht, wie weit sich die Beziehung im Glauben entwickelt, ist offen.“

Evangelische Jugendliche bei den Messdienern

Das zeigt sich in vielen bereits vorhandenen Angeboten. Zu den Gruppenstunden der Messdiener, Pfadfinder oder Ferienfreizeiten sind alle eingeladen. „Egal mit welcher Konfession oder Religion.“ Das hat bereits dazu geführt, dass evangelische Jugendliche bei den Messdienern sind und am Altar dienen. Wo ihr dann beim liturgischen Verständnis Hintergründe fehlen, springen ihr die Seelsorger zur Seite. Genau das ist in ihren Augen der Vorteil der multiprofessionellen Teams. „Alle haben ihr Spezialgebiet und können ihren Beitrag leisten – der Priester mit seinem theologischen Hintergrund, ich mit meinem pädagogischen.“

Sie sieht darin einen entscheidenden Vorteil. „Früher war der Kaplan automatisch dafür zuständig, sich um die Kinder- und Jugendlichen in der Pfarrei zu kümmern“, sagt Sauerbier. „Allein schon von der Kapazität war das schwierig.“ Aber auch vom Fachwissen: „Nicht jeder Seelsorger ist auch ein guter Pädagoge oder Sozialarbeiter.“ Neue Ideen zu entwickeln, Programme auszuweiten oder bestehende Angebote zu überdenken, könne dann schwierig werden.

Was können Pfarreien für Jugendliche tun?

Es bleibt spannend. Das weiß Sauerbier. Weil ihre Herangehensweise Flexibilität bei allen anderen Akteuren in der Pfarrei voraussetzt. „Ich stelle die Situation der jungen Menschen in den Mittelpunkt meiner Arbeit.“ Das ist ihr Ausgangspunkt. „Was kann für die Jugendlichen tun und wie kann ich ihnen einen sicheren Ort zeigen?“, ist ihre zentrale Frage. „Völlig unvoreingenommen.“ Eine sicherlich gewöhnungsbedürftige für Kollegen und Helfer, die vielleicht andere Schwerpunkt setzen. „Wenn jemand den Gottesdienstbesuch oder die Gremienarbeit als erstes Ziel sieht, sieht er das auch mal kritisch.“

Ihr fällt dazu ein geflügeltes Wort in St. Vincentius ein. Ein junger Mann sagte es kürzlich in einer Pfarreiratssitzung. Es ging in der Diskussion um die Zukunft der Kirche, um die Ausrichtung der Pfarrei. „Schauen wir doch einmal 30 Jahre weiter“, sagte er. „Dann sind viele von Ihnen nicht mehr hier, wir aber könnten es noch sein.“ Genau aus diesem Grund ist Sauerbier in Dinslaken für die katholische Kirche im Einsatz. Sie will nichts von dem infrage stellen, das sich über viele Jahrzehnte entwickelt und bewährt hat. Sie will es ergänzen. Als Fachkraft für die Jugend, in einem multiprofessionellen Team.

Das Projekt der „multiprofessionellen Teams“ in der Seelsorge der Pfarreien wurde vom Bistum Münster 2020 auf den Weg gebracht. Es geht um die Möglichkeit, neben Pastoralreferentinnen, Pastoralreferenten, Diakonen und Priestern weitere Mitarbeitende mit anderen Ausbildungsgängen und fachlichen Qualifikationen in die Pastoralteams einzubinden.
Ausgangspunkt für diese Stellen ist die Wahrnehmung spezifischer Herausforderungen im Sozialraum der Pfarrei, denen mit anderen als theologischen Qualifikationen besser begegnet werden kann. Angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Seelsorge können die Aufgabenbereiche der Pastoralteams so weiter ausdifferenziert und fachlich profiliert werden. Für die identifizierten Zielgruppen werden spezifische Angebote neu etabliert und professionell begleitet.
Bislang haben in 13 Pfarreien des Bistums über diesen Weg neue Kräfte ihre Arbeit in den Seelsorgeteams aufgenommen. Dabei handelt es sich um Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter, die zumeist in den Bereichen der Jugendarbeit und der sozial-karitativen Angebote eingesetzt sind. Die Stellen werden vom Bistum Münster finanziert, Kosten für die Pfarreien fallen nicht an. Derzeit werden keine neuen Einstellungen genehmigt, da eine Evaluation läuft, in der die Erfahrungen der Beteiligten und Teams sowie die Veränderungen für die Seelsorge abgefragt werden. Die Ergebnisse werden im Sommer 2023 erwartet. Mit den gewonnenen Erkenntnissen soll das Projekt dann auch vor dem Hintergrund der Veränderung der pastoralen Strukturen weiterentwickelt werden.

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