Pilotprojekt im Stift Tilbeck im Münsterland

Künstliche Intelligenz soll Pflegebedürftige vor Stürzen bewahren

  • Im Stift Tilbeck läuft derzeit ein Pilotprojekt, bei dem Künstliche Intelligenz Sturzprotokolle und Gangbildprotokolle von Bewohnern in der Altenpflege erstellt.
  • Die Daten sollen die Arbeit der Pflegekräfte erleichtern, ergänzen - aber nicht ersetzen.
  • Auch Probleme wie Überwachung und Datenschutz sind im Blick.

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„Weicher Sturz auf Zimmer 123“ könnte die Meldung heißen, die auf den mobilen Telefonen der Pflegekräfte in den Altenpflege-Einrichtungen des Stifts Tilbeck bei Havixbeck erscheint. Dann wäre für die Mitarbeitenden klar: Die Hüfte des Bewohners hat sich bis auf zehn Zentimeter dem Boden genähert – aber mit geringer Geschwindigkeit. Übersetzt hieße das: Der Patient ist zu Boden gegangen, der Aufprall aber war nicht besonders heftig. Gemeldet hätte das Ereignis die Künstliche Intelligenz (KI), die dort derzeit getestet wird.

Was erst einmal nichts anderes ist als ein Sensor, der in den Zimmern von 44 Bewohnern installiert wurde. "Dieser blickt rund um die Uhr ins Zimmer, zeichnet dabei eine 60-sekündige Sequenz auf, wenn es zu einem kritischen Ereignis kommt", erklärt Michaela Marx, die das Projekt im Stift leitet. "Wie bei einer Alexa, die nur reagiert, wenn sie ihren Namen hört, reagiert der Sensor nur dann, wenn es zu einem Sturz kommt." Den Pflegenden wird die Aufzeichnung zur Verfügung gestellt, um zu sehen, wie es zu dem Sturz kam und Maßnahmen zur Sturzprophylaxe abzuleiten.

Der Computer, der die Daten auswertet und weiterleitet, leistet aber weit mehr, als einen Sturz zu beobachten: „Er erkennt Bewegungsmuster, Veränderungen im Gangbild, die eine mögliche Ursache für Stürze sein können.“

Keine Pflegekraft kann ersetzt werden

Es geht um eine Unterstützung der Pflegearbeit, um eine ergänzende Maßnahme, um ein verbessertes Angebot für die Bewohner - das ist Marx wichtig. „Mit diesem Hilfsmittel werden keine Pflegekräfte ersetzt werden können“, sagt sie. „Es ist aber ein zusätzliches Hilfsmittel, eine weitere Möglichkeit, unsere Arbeit weiterzuentwickeln.“

Vorteile für die Bewohner liegen auf der Hand: Gefahrensituationen etwa können frühzeitig erkannt, problematische Gangbilder warhgenommen werden. Im Notfall wird umgehend Hilfe alarmiert. „Was gerade in den Nachtschichten wichtig sein kann.“

Hilfe in der Nacht

Auch dem pflegenden Personal bringt der KI-Einsatz etwas, sagt Marx: „Zwischen den turnusmäßigen Zimmerkontrollen in der Nacht können sie sich auf die unterstützende Wahrnehmung des Systems verlassen.“

Zudem kann ihnen der Computer zusätzliche Informationen geben, um ihre Pflege exakter planen zu können. „Wenn die KI Hinweise darauf gibt, dass der Teppich schon einige Mal zum Sturzrisiko wurde, kann das ein entscheidender Hinweis sein.“

Sorgen um Überwachung und Datenschutz

Die Nachfrage zur Teilnahme an dem Pilotprojekt war riesig, sagt Marx. „Etwa zwei Drittel der Angehörigen oder rechtlichen Betreuer wollten, dass die Bewohner daran teilnehmen.“

Der Nutzen für das Wohl der Menschen war für viele ersichtlich. Es wurde aber auch skeptisch nachgefragt. Gerade die Sorge um Datenschutz und um ständige Überwachung standen dabei im Raum.

Ministerium fördert Projekt


Darstellung der Bewegung eines Bewohners durch die KI auf dem Bildschirm der Pflegekräfte: Entfremdet und nicht erkennbar, aber mit wichtigen Daten für das Projekt. | Foto: Michael Bönte

„Bei den Videos handelt es sich aber um absolut verfremdete Aufzeichnungen – die Person, ihre Kleidung oder ihr Handeln sind nicht zu erkennen.“ Bei der Testreihe werden zudem nur die Bilder gesichert, deren Daten für das Bewegungs- und Sturzprotokoll relevant sind.

Für das vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Projekt haben sich mehrere Partner aus Praxis, Forschung und Wirtschaft zusammengetan. Neben dem im Stift Tilbeck gibt es einen weiteren Testlauf bei der Arbeiterwohlfahrt in Karlsruhe. Dabei geht es neben der technischen und organisatorischen Umsetzung auch um eine ethische Auswertung. Mit Fragenbögen und in Interviews wird die Auswirkung der neuen Technik auf die Pflegekräfte erforscht.

Robotern fehlt die Empathie

„Solange die KI die Pflegekräfte entlastet und damit mehr Zeit für die persönliche Interaktion bewirkt, ist sie angebracht“, sagt Marx. Sie sieht weitere Möglichkeiten etwa beim Transport von Wäsche oder dem Verteilen der Mahlzeiten auf die Wohngruppen durch Roboter.

„Überall wo Empathie und menschliche Zuwendung gebraucht werden, kann und darf die KI aber keinen Menschen ersetzen.“ Wenn es also um das Ankleiden oder das Reichen von Essen gehe, müsse der Roboter außen vor bleiben.

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