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„Systematische Desinformation“ im Internet nimmt nach Beobachtung des Medienwissenschaftlers und Germanisten Jochen Hörisch überhand. „Fake News“ habe es zwar zu allen Zeiten gegeben, sagte der Mannheimer Professor als erster Redner der „Domgedanken“ am Mittwoch im münsterschen St.-Paulus-Dom. Neu sei jedoch, dass Millionen Internet-Nutzer, inklusive des amerikanischen Präsidenten, ihre Inhalte unabhängig von überprüfbaren Fakten ins Licht der Öffentlichkeit stellen könnten.
Hörisch nannte das „Westentaschen-Konstruktivismus“: Wahrheit gebe es nicht, sondern man mache sich die Welt im Sinne Pippi Langstrumpfs wie sie einem selbst gefalle. Gefühle, so der Wissenschaftler, formten die öffentliche Wahrnehmung zunehmend stärker als Zahlen und Fakten.
Kritischer Journalismus besonders wichtig
Besonders auffällig sei dieses Phänomen in den vergangenen Jahren in der Politik geworden: „Der postfaktische Politiker wird zum Massentypus und zur Gefahr für die Demokratie.“ Mit Blick auf den erstarkenden Populismus bekannte Hörisch, solche Entwicklungen hätte er vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten. Umso wichtiger sei die Rolle der Medien: Aufmerksame, kritische Journalisten könne man nicht hoch genug schätzen.
Hörisch forderte, Qualitätsmedien müssten besser sein als das „Grundrauschen des Internets“. Und die Tendenz, sich eigene Wirklichkeiten zu erschaffen, entpflichte die Medien-, Informations- und Wissensgesellschaft nicht davon, die angebotenen Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
„Domgedanken“ im St.-Paulus-Dom
„Gefährdete Welt – Einsichten und Auswege“ ist das Leitwort der „Domgedanken“ 2017. Vom 16. August bis 13. September sprechen Referenten jeweils mittwochs ab 18.30 Uhr im St.-Paulus-Dom in Münster. Die Abende werden auch live bei „kirche-und-leben.de“ übertragen.
Nächster Redner der „Domgedanken“ ist am Mittwoch, 23. August, der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees. Sein Thema lautet: „Die Demokratie unter Feuer? Migration als Herausforderung“.