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Scharf hat der Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, Professor Hans Zollner, das Verhalten der Kirche in Sachen sexueller Missbrauch von Kindern kritisiert. Er sprach am Mittwoch in Münster.
Scharf hat der Präsident des „Centre for Child Protection“ (Zentrums für Kinderschutz) an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, Professor Hans Zollner, das Verhalten der Kirche in Sachen sexueller Missbrauch von Kindern kritisiert. „Wir stehen wie paralysiert vor diesem Thema und kommen aus der Schockstarre nicht heraus“, urteilte der Theologe und Psychologe bei einer Gastvorlesung am Mittwoch in der Universität Münster.
„Die Kirche hat nicht die Sprache, den Mut und den Willen, sich wirklich damit auseinander zu setzen.“ Deshalb steuere sie bei diesem Problem „mit Karacho auf die Wand zu“, warnte der Jesuit bei der Veranstaltung der Katholisch-Theologischen Fakultät und des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften.
„Problem in seiner Komplexität nicht wahrgenommen“
Zollner rief mit großem Nachdruck dazu auf, die Verantwortung für das Thema nicht an Kirchenrechtler und Psychiater zu delegieren. „Kein systematischer Theologe von Rang hat sich in den letzten 35 Jahren damit beschäftigt“, stellte Zollner enttäuscht fest. „Theologen und Sozialwissenschaftler haben das Problem in seiner Komplexität nicht wahrgenommen.“
In der Gesamtkirche sehe es nicht besser aus, weil die traditionell katholisch geprägten Länder des Westens, die Missionsländer und die Ostkirchen in völlig verschiedenen Kulturwelten lebten und sehr verschieden mit den Tabus der Sexualität umgingen.
„Bischöfe lernen nicht von einander“
Neue Rechtsformen würden teilweise eingeführt, aber nicht umgesetzt, und es komme kaum zu einem Lern- und Erfahrungstransfer zwischen den verschiedenen Kulturwelten in der Kirche. „Außerdem gaukeln wir uns im Hinblick auf Hierarchie und Verantwortung etwas vor, was mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.“ So hätten die deutschen Bischöfe nichts von den irischen Oberhirten gelernt, und die polnischen, italienischen und slowakischen Bischöfe hätten ihrerseits nichts von den deutschen gelernt.
Es gebe viel Unbehagen, Unwissen und Unwillen und keinen aktiven Widerstand bei diesem Problem; genau das aber führe zu noch mehr Leid und Verwundung. „Positiv ist: Das Thema ist in fast allen Ecken der Weltkirche angekommen, aber in vielen Missionsländern hält man das für ein westliches Problem und weiß auch gar nicht, wie ein Missbrauchsprozess geführt wird“, beklagte Zollner.
„Betroffene werden nach wie vor nicht gehört“
Durch die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus habe sich zwar viel bewegt, aber trotzdem müsse es nach wie vor um Bewusstseinsschaffung, die Wahrung der Kinderrechte und die Verringerung der Risikofaktoren auf den Ebenen der Kinder, Familien, Institutionen sowie der Gesellschaft gehen. „Viele Betroffene werden nach wie vor nicht gehört und spüren nicht, dass die Kirche bei ihnen ist“, kritisierte der Experte. „Dabei gehen psychische Wunden noch tiefer als körperliche.“
Überhöhtes Priesterbild und Wagenburgmentalität
Das spezifisch katholische Problem im Hinblick auf sexuellen Missbrauch besteht nach Ansicht Zollners in der Schwierigkeit im Umgang mit Sexualität, in einem veralteten, hierarchisch überhöhten Priesterbild und in einer Wagenburgmentalität, die mit Sprachunfähigkeit, Verunsicherung und Angst verbunden sei.
Allerdings produziere nicht der Zölibat als solcher Missbrauch, sondern die Art und Weise, wie der Zölibat gelebt werde. Deshalb komme es in Zukunft stark auf die angemessene Begleitung von jungen Priestern an. „Wir müssen noch einen weiten Weg gehen und viel Dynamik aufbringen, um den großen Tanker Kirche in die richtige Richtung zu bewegen“, forderte der Jesuit. „Die Missbrauchsopfer wollen angehört werden, denn ihnen geht es zumeist nicht um Geld oder Rache.“