Themenwoche 375 Jahre Westfälischer Frieden (2)

Nach Ende des Krieges: Münsters mühsamer Weg zur Friedensstadt

  • Spätestens seit dem G7-Außenministertreffen im vergangenen Jahr im historischen Rathaus ist Münster als Friedensstadt weltbekannt.
  • Tatsächlich aber währte die Euphorie über das Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 nicht lange.
  • Über Jahrhunderte wurden die Jubiläen eher klein gehalten – bis in die Zeit der Nationalsozialisten. Warum das so ist, weiß der Historiker Bernd Thier vom Stadtmuseum Münster.

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Wir schreiben den 24. Oktober 1648. Es ist Punkt 9 Uhr abends, und in Müns­ter ertönt ein ohrenbetäubendes Konzert, das sich aus 70 Kanonen auf den Stadtwällen und allen Kirchenglocken in Münster zusammensetzt. Es ist ein Ausdruck der Erleichterung und Freude über den langersehnten Friedensschluss.

Nach 30 grausamen Kriegsjahren in Deutschland, in denen ein Drittel der Bevölkerung zu Tode gekommen ist, und 80 Jahren Krieg in den Niederlanden fanden die Auseinandersetzungen um Eroberungen und konfessionelle Streitereien ein Ende mit dem Westfälischen Frieden von Müns­ter und Osnabrück.

Keine Sieger, keine Besiegten

„Es ist ein Frieden, der auf Verhandlungen und Kompromissen beruhte. Das macht die Bedeutung aus: Es gab keine Sieger und Besiegten. Die Kriegsparteien waren gleichberechtigt“, sagt Bernd Thier.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter im Stadtmuseum Münster zählt zu den besten Kennern des historischen Ereignisses, das Münster weltberühmt gemacht hat – spätestens seit der G7-Außenministerkonferenz vor einem Jahr, die unter anderem den aktuellen Krieg in der Ukraine zum Thema hatte.

Münster galt als Stadt der Wiedertäufer

Der Westfälische Friede wird in diesem Jahr in Osnabrück und Münster gleichermaßen mit vielen Veranstaltungen gefeiert und gewürdigt. „Das ist auch gut so“, findet Thier und merkt an, dass es lange brauchte, um sich als Friedensstadt zu bezeichnen. „Bis in die 1990er Jahre hinein galt Münster als Stadt der Wiedertäufer. Nun ist sie eine Friedensstadt.“

Wer mehr darüber wissen möchte, wie der Westfälische Frieden im Lauf seiner 375-jährigen Geschichte bewertet worden ist, wird von Historiker Thier gut informiert. „Das Besondere ist, dass während der mehrjährigen Friedensverhandlungen der Krieg weiter tobte. Die Verwüstungen der Heere gingen weiter, während sich in Münster 50 Delegationen mit jeweils bis zu 200 Mitgliedern aufhielten“, sagt Thier über die Gemengelage, als 10.000 Menschen aus den europäischen Staaten und den deutschen Territorien in Münster weilten.

Päpstlicher Gesandter führt 1.000 Verhandlungen

Es muss für alle Gesandten ein Gesprächs-Marathon gewesen sein. Allein vom päpstlichen Gesandten Fabio Chigi, dem späteren Papst Alexander VII., weiß man, dass er in den fünf Jahren seiner Anwesenheit in Münster an mehr als 1.000 Einzelverhandlungen teilgenommen hat. „Eine Gesamtkonferenz aller Delegationen hat es nicht gegeben. Man hat sich immer im kleinen Kreis getroffen“, sagt Thier.

Die für ihn wichtigsten Erinnerungsstücke an den Friedensabschluss schuf Engelbert Ketteler, der von 1638 bis 1656 als Münzmeister der Stadt Münster tätig war. Er produzierte zu Ehren des Westfälischen Friedens Medaillen und bot sie den in der Stadt weilenden Gesandten des Friedenskongresses zum Kauf an.

Münzen erklären den Frieden

Die Münzen erklärten die Bedeutung des Friedens auf prägnante Weise, erläutert Thier. „Pax optima rerum – Der Frieden ist das Beste aller Dinge“, lautet ein Spruch. Auf einer anderen Medaille heißt es: „Hinc toto pax insonat orbi – Von hier aus schallt der Friede in alle Welt“. Die Medaille zeigt: Über der Stadt schweben zwei Engel. Der rechte hält einen Lorbeerkranz und einen Ölzweig, der linke einen Palmzweig und eine Posaune, aus der Pax (Frieden) ertönt.

Doch die Freude in Münster war kurz. „Für die Stadt hatte der Friedensschluss eher schlechte Auswirkungen. Dementsprechend war es so, dass die Münsteraner über Jahrhunderte den Frieden hier nicht gefeiert haben“, sagt Thier.

Fürstbischof belagert Münster

Man sei froh gewesen, dass der Frieden in Münster besiegelt wurde. Negativ sah man aber, dass der Landesherr – der Fürstbischof – eine größere Machtposition erlangen konnte und so die Stadt unter seine Fittiche nahm. Er hat ihr ihre Rechte abgenommen und sie später nach einer Belagerung unterworfen. „Das waren Auswirkungen, die lange nachgewirkt haben, nicht nur in Münster selbst, sondern in anderen deutschen Territorien. Bis in das 19. Jahrhundert galt der Westfälische Frieden als ein Schmachfrieden“, erläutert Thier.

Bei den ersten beiden Jubiläen 1748 und 1848 sucht man in Münster vergeblich nach Festlichkeiten, die es in anderen Städten Deutschlands, wie etwa in Augsburg und Nürnberg, durchaus gab. 1898 – im 250. Gedenkjahr – wurde erstmals offiziell des Friedens gedacht. Es fanden aber keine Feierlichkeiten für die Bevölkerung statt.

Nationalsozialisten planten Ausstellung in Münster

Später versuchten die Nationalsozialisten, den Westfälischen Frieden umzudeuten. Thier dazu: „Die Nationalsozialisten planten eine Ausstellung für das Jahr 1948, die den Westfälischen Frieden als einen Schandfrieden wie den Versailler Vertrag aus dem Jahr 1919 darstellen sollte.“

Erst in der Gedenkwoche im Nachkriegsdeutschland 1948 und bei den nachfolgenden Jubiläen erfolgte vor dem Hintergrund des verlorenen Zweiten Weltkriegs eine Umbewertung des Westfälischen Friedens zum ersten europäischen Einigungsfrieden. Erst spät, so Thier, habe sich die Stadt als Stadt des Westfälischen Friedens empfunden und die Gedenkjahre gefeiert. „Dass wir nun in diesem Jahr das Jubiläum mit vielen Veranstaltungen feiern, ist großartig.“

Vorbild für Verhandlungen

Gerade in diesem Jahr, wo es um den Frieden in Europa gehe, könne der historische „Westfälische Frieden“ ein Vorbild sein, wie man mit Verhandlungen einen Friedensschluss erwirken könne, sagt der Historiker. Münster sei ein Beispiel, wie es die Inschrift auf der Gedenkmedaille von 1648 ausdrückte: „Von hier aus schallt der Friede in alle Welt.“

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