Fünf Fragen an Initiator Oliver Hölters aus Dinklage

Neues „Bündnis pro Rettungsdienst“ warnt vor Kollaps des Rettungssystems

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Seit fast 25 Jahren ist Oliver Hölters Notfallsanitäter beim Malteser Hilfsdienst. Und er sieht das Rettungssystem in Deutschland in Gefahr. Deshalb hat er als Mitglied im Leitungsausschuss der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbands das neue
„Bündnis pro Rettungsdienst“ initiiert. Worum geht es ihm?

Immer mehr Kräfte verlassen den Rettungsdienst, warnt das neue „Bündnis pro Rettungsdienst“ und spricht von „Berufsflucht“. Was sind Ihrer Meinung die Hauptgründe?

Es gibt viele Gründe für die Berufsflucht. Die dauernde Belastung, Arbeitszeiten bis zu 48 Stunden in der Woche – vergütet werden 39 Stunden – stetig steigende Einsatzzahlen – örtlich bis zu 20 Prozent – und mangelnde Wertschätzung, zum Beispiel, dass sie keine Corona-Prämie erhalten, sind einige davon.

Sie selbst sagen: „Rettungsdienste sind keine Taxis“. Was genau kritisieren Sie damit?

Hier spreche ich den Gesetzgeber an: Im Sozialgesetzbuch ist der Rettungsdienst als reine Transportleistung beschrieben. Wir fordern, den Rettungsdienst als eigenständige medizinische Leistung in das Gesetz aufzunehmen. Die medizinische Versorgung steht im Vordergrund eines Rettungseinsatzes, nicht die Transportleistung.

Sie sagen „Rettungsdienst ist kein Taxi“. Was meinen Sie damit?

Michael Hölters, Notfallsanitäter
Oliver Hölters aus Dinklage hat das „Bündnis pro Rettungsdienst“ initiiert. | Foto: Michael Rottmann

Oftmals wird der Rettungsdienst zu Einsätzen gerufen, die keine Notfälle sind. Für eine kleine Quetschwunde am Finger wird man in der Regel keinen Rettungswagen benötigen. Aufgrund der Transportpflicht in einigen Ländern muss aber dennoch der Patient in ein Krankenhaus transportiert werden. So etwas bindet Rettungsmittel und belastet die Notaufnahmen. Wir fordern, mehr Verantwortlichkeiten auf die Notfallsanitäter zu übertragen und weitere geeignete ambulante Hilfsangebote zu schaffen, sodass jedem Hilfesuchendem auch die notwendige Hilfe angeboten werden kann, ohne dabei Rettungsdienst oder Krankenhaus zu binden.

Haben Sie selbst so etwas auch schon erlebt?

Wir hatten zum Beispiel eine Einsatzmeldung wegen eines Arbeitsunfalls, einer Fingerverletzung. Vorgefunden haben wir eine Frau, die vor der Firma auf uns gewartet hat. Sie habe sich an einer Heftklammer beim Zusammenklammern von Papieren im Büro den Finger verletzt. Es war keine Verletzung erkennbar. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde sie dort wieder unbehandelt entlassen.

Wie ließe sich das ändern? Was fordern Sie?

Es gibt vieles, was verbessert werden muss. Aus meiner Sicht muss dringend die Arbeitszeit von 48 Stunden in der Woche reduziert werden. Dies lässt sich durch Tarifverhandlungen erreichen oder aber der Gesetzgeber streicht die Ausnahmeregelung im Arbeitszeitgesetz. Eine standardisierte Notrufabfrage, Schaffung weiterer Hilfsangebote, Überführung von Pilotprojekten in den Regelbetrieb sind nur einige weitere Forderungen, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Steigerung der Attraktivität des Berufes beitragen können. Wichtig ist, dass der Bundesgesetzgeber Qualitätsvorgaben macht, die dann in den Ländern umzusetzen sind. Es gibt 16 unterschiedliche Landesrettungsdienstgesetze und die Zuständigkeiten liegen in den über 400 Kreisen und kreisfreien Städten. Somit gibt es im schlimmsten Fall über 400 unterschiedliche „Qualitätsvorgaben“ im Rettungsdienst, und die Notfallsanitäter dürfen nicht überall das anwenden, was sie gelernt haben und beherrschen.

„Bündnis pro Rettungsdienst“
Zu den Mitgliedern des neuen „Bündnis pro Rettungsdienst“ haben sich zusammengeschlossen: die Björn Steiger Stiftung, die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands, die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft, die Deutsche Gesellschaft für Rettungswissenschaften, der Deutsche Berufsverband Rettungsdienst und die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes. Das Bündnis will mit einer Informationskampagne die Politik zu schnellem Handeln bewegen. Es fordert daher etwa eine enge Verzahnung zwischen den Notrufnummern 112 und 116117. Notrufe, die sich in der Bearbeitung in der Rettungsleitstelle als nicht akut bedrohliche Situation darstellen, müssen an die 116117 weitergegeben und dort durch eine Gesundheitsberatung oder den ärztlichen Hausbesuch beantwortet werden.

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