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Als vor acht Jahren die ersten Männer aus Afrika in ihr Dorf kamen, hat sich Maria Bullermann-Benend sie und ihre Sorgen zur Aufgabe gemacht. Seit 2015 konnte sie 42 Geflüchteten in Cappeln bei Cloppenburg bei ihrem Neustart helfen. Warum sie es gerne gemacht hat, trotz schlafloser Nächte. Und warum der Einsatz für sie auch ein Statement gegen den Rechtsruck in Europa bedeutet.
In Cappeln hat sie gut funktioniert: die Integration im Dorf. Wie gut, das kann Maria Bullermann-Benend mit einer Zahl belegen. „42“ antwortet die promovierte Ernährungstherapeutin und Dozentin für Ernährung in der Palliativmedizin lächelnd auf die Frage, wie viele Geflüchtete im Laufe der vergangenen acht Jahre von der 7000-Seelen-Gemeinde bei Cloppenburg aus einen Neustart ins Leben geschafft haben. Seit Merkels „Wir schaffen das!“
Seither gehören dunkelhäutige Menschen aus Eritrea zum Dorfbild. Als Nachbarn, Kollegen, auf dem Fußballplatz oder als Kamerad bei der Feuerwehr. Manche wohnen in der Einfamilien-Siedlung, eine Familie hat ein ehemaliges Heuerhaus bei dem Landwirt bezogen, bei dem der Vater arbeitet. Und bei den meisten stehen die Zeichen auf Zukunft.
Vor allen Dingen eine Leistung der Geflüchteten selbst
Maria Bullermann-Benend zeigt auf ein Foto an der Pinnwand. „Der Junge hat eine Realschulempfehlung, eine seiner Schwestern will eine Pflegeausbildung machen. Ihre Mutter möchte auch in der Pflege arbeiten.“ Eine Ausbildung zur Pflegehelferin hat sie neben den vier Kindern schon absolviert. Einige leben in Nachbarorten, manche mittlerweile mit Frau und Kindern. Und alle haben einen Platz für den Neustart gefunden.
Warum das in Cappeln so gut gelungen ist? „Es ist vor allen Dingen die große Leistung der Geflüchteten selbst,“ sagt Maria Bullermann-Benend anerkennend. Zum Beispiel, weil sie früh gemerkt hätten: Wenn wir uns anstrengen, wird es leichter für uns. Als die ersten Männer aus Afrika im Rahmen von Ein-Euro-Jobs fleißig jätend oder fegend in den Beeten und Anlagen der Gemeinde standen, fassten immer mehr Einwohner Vertrauen zu ihnen. Einige brachten ihnen sogar Eis oder Getränke. „Weil sie sahen: Die tun was!“
Konzentration auf Geflüchtete aus Eritrea war hilfreich
Maria Bullermann-Benend (71) ist promovierte Ernährungstherapeutin und Dozentin für Ernährung in der Palliativmedizin. Seit acht Jahren kümmert sie sich ehrenamtlich um Menschen, die aus Eritrea geflüchtet sind und im niedersächsischen Cappeln eine neue Heimat gefunden haben. | Foto: Michael Rottmann
Maria Bullermann-Benend nickt. „Arbeiten zu können, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagt sie. „Aber Arbeit ist auch für die Geflüchteten selbst wichtig. Weil die Erfolgserlebnisse dabei Zufriedenheit schaffen. Und über die Kontakte mit Kollegen hat sich bei den meisten der Männer auch ihr Deutsch verbessert.“
Sie weiß, dass für den Erfolg viel zusammenkam, manches auch zufällig. Zum Beispiel, dass sich der damalige Cappelner Sozialamtsleiter früh auf Eritreer konzentrierte. „Weil das so gut lief mit ihnen.“ Die ersten Geflüchteten gehören zur eritreisch-orthodoxen Kirche. „Und ich glaube, dass Integration auch deshalb leichter war, weil sie Christen sind“, sagt Maria Bullermann-Benend. Weil sich ihre Riten und Gebete zwar unterscheiden, aber eben auch Vaterunser, Taufen oder monatliche Marienfeste dazugehören.
Karitatives Handeln ebenso wichtig wie Beten
Zur Wahrheit gehört aber auch die 71-Jährige selbst - und ihr Einsatz. Die verheiratete Mutter von vier Kindern erinnert sich: „Man hatte die ersten Männer 2014 erstmal zu mir geschickt“, sagt sie. Weil im Ort bekannt war, dass sie seit Jahren eine Schule in Kenia unterstützte. Sie strahlt über die späte, aber glückliche Fügung. Hatte sie als junge Frau doch davon geträumt, nach Afrika zu gehen. „Und dann kam Afrika zu mir!“
Eine himmlische Fügung, aber auch eine Aufgabe, die sie tatkräftig annahm. Getreu ihrem Grundsatz: „Gebet ist wichtig für mich, aber ebenso wichtig ist karitatives Handeln. Man muss sich um die Menschen kümmern, um Gott zu finden.“ Also entwickelte sie Pläne. Erste Herausforderung: Den Männern bei ihrem Neustart helfen.
Von Beginn an auf Netzwerke gesetzt
Nadine Willimek unterstützt Maria Bullermann-Benend bei ihrer Arbeit für die Menschen aus Eritrea. | Foto: privat
Zum einen mit Willkommenskultur. „Wir haben mit den Eritreern nicht nur Weihnachten gefeiert“, sagt Maria Bullermann-Benend. Sie hat Bilder aus den vergangenen acht Jahren an eine Pinnwand geheftet und erklärt die Fotos: „Hier zum Beispiel eine Taufe in Oldenburg. Oder hier von einer Hochzeit. Und hier ein Bild, als wir gefeiert haben, dass die Ehefrau eines der Männer endlich nachkommen konnte.“
Daneben setzte sie von Beginn an auf ein Netzwerk. Maria Bullermann-Benend hat eine ganze Liste von Namen parat, mit denen sie ermutigende Geschichten verbindet. Manche kannte sie schon vorher, andere sprach sie nach und nach an. Der Gartenbau-Unternehmer aus dem Nachbarort etwa, der einen der ersten Eritreer bei sich anstellte und die Familienzusammenführung mit Ehefrau und Kindern finanziell und mit einer Wohnungseinrichtung unterstützte. „Gerade erst hat er dem Vater ein gebrauchtes E-Bike für den Weg zur Arbeit geschenkt.“
Maria Bullermann-Benend setzt sich vielfältig ein
Auch andere Firmenchefs zeigen sich von Beginn an offen für die Neuen und geben ihnen Arbeit. Als Gehilfen oder als Auszubildende. Im Metallbau oder als Elektroniker zum Beispiel. Und machen damit gute Erfahrungen. Weil die Männer aus Afrika meist zuverlässig sind und Einsatz zeigen. Und wenn es doch mal hakt, etwa wegen mangelnder Pünktlichkeit oder Chaos in den Unterlagen, zögert die 71-Jährige nicht mit klaren Ansagen.
Andersherum kümmert sie sich aber auch, wenn es mal Probleme mit Arbeitgebern gibt. Als ein Chef einem der Männer um Weiterzahlung des Gehalts im Urlaub bringen will, schaltet sich „Mama Maria“, wie die Geflüchteten sie nennen, ein und besorgt für das Arbeitsgerichtsverfahren einen Anwalt.
Kampf mit Behörden ist sehr fordernd
Ihr Netzwerk war aber nicht nur wichtig für die Integration im Ort. Sondern auch, wenn es um eines der kraftraubendsten und schwierigsten Kapitel der vergangenen acht Jahre für Maria Bullermann-Benend ging: den Kampf mit Behörden und Ämtern, insbesondere bei Passangelegenheiten. Oder um den Nachzug der Familien. Immer wieder muss Maria Bullermann-Benend dann auf die Hilfe befreundeter Anwälte, Mediziner und Institutionen zurückgreifen. Und nicht selten bringen ihre Sorgen sie um den Schlaf.
Etwa, wenn sie weiß, dass irgendwo in der Wüste die Kinder einer Familie im Dorf mit einem zwielichtigen Fluchthelfer unterwegs sind, oft genug unter Lebensgefahr. Auf dem Weg aus Eritrea hinaus in ein Flüchtlingslager in Äthiopien, von dem aus sie Anträge auf Familienzusammenführung stellen können. Doch auch wenn das gelingt, dauert es meist noch zermürbende Jahre, bis sie endlich in ein Flugzeug nach Deutschland steigen können. Weil die Mühlen der Bürokratie oft quälend langsam mahlen.
Zweimal bereits Kirchenasyl für Geflüchtete organisiert
Sie zeigt auf ein Foto. „Diese Frau hier war sieben Jahre mit ihren Kindern in einem Flüchtlingslager in Äthiopien. „Nur durch massiven Druck auf die Ausländerbehörde hatte der Mann die Chance bekommen, dorthin zu fliegen, um Frau und Kinder zwischendurch wenigstens kurz wiederzusehen.“
Zweimal hat die Cappelnerin Kirchenasyl für Männer organisiert, die zurück nach Italien gebracht werden sollten, weil sie dort zum ersten Mal europäischen Boden betreten hatten. Die Dominikaner in Vechta, die Pfarrgemeinde in Cappeln und die Benediktinerinnen in Dinklage unterstützten sie im Kampf gegen die Abschiebung. Am Ende durften sie bleiben.
Auch ein Schweizergardist gehört zum Netzwerk
Freunde in verschiedenen Positionen helfen ihr immer wieder und immer noch: eine befreundete Juristin ehrenamtlich und einige Juristen auf Honorarbasis, aber nicht nur - zum Beispiel auch die Familie eines befreundeten Schweizergardisten. Mehrmals schon hat sie in ihrem Auftrag Geld an Eritreer übergeben, „in Rom bei McDonalds“, für die Weiterreise nach Deutschland, oder auch seelischen Beistand geleistet.
Allein hätte sie das wohl nicht geschafft. Deshalb ist Maria Bullermann-Benend besonders froh, dass ihre Assistentin Nadine Willimek sie selbstständig und tatkräftig unterstützt. „Sie ist Tag und Nacht erreichbar, wenn es Probleme gibt. Die Eritreer lieben die etwa gleichaltrige besonnene Nadine sehr.“
Persönlich sei es leichter, Integration zu organisieren
Bis auf die jung verheirateten Ehepaare, sind alle Familien mit Kindern hier angekommen. Für die jung Verheirateten braucht es viel guten Willen seitens unserer Ausländerbehörden. Die unbefristeten Arbeitsverträge der Ehemänner sollten hoffentlich die Chancen verbessern, hofft Maria Bullermann-Benend und strahlt zufrieden und sagt, sie spüre etwas von der Lebensweisheit, dass die Freude, die wir schenken, ins eigene Herz zurückkehrt. Ein guter Zeitpunkt, für einen Abschluss ihres Einsatzes, den sie im Oktober mit allen Geflüchteten und Unterstützern feiern will.
Was hat sie gelernt in acht Jahren Einsatz? Zum Beispiel, dass Dörfer und Kleinstädte sich besser für die Integration von Geflüchteten eignen. „Die Menschen sollten besser nicht in großen Unterkünften in Großstädten untergebracht werden.“ Persönlich und direkt sei es leichter, Integration zu organisieren, sagt sie. „Das ist mein Credo!“
Maria Bullermann-Benend steht zu Merkels „Wir schaffen das!“
Würde sie so ein Projekt noch einmal angehen? Maria Bullermann-Benend nickt: „Ja, auf jeden Fall. Ich stehe zu Angela Merkels Satz ,Wir schaffen das!‘“, sagt sie. Es sei wichtig, immer wieder einen Gegenpol setzen, zu der Entwicklung, die ihr wirklich Sorgen macht: der Rechtsruck in Europa. „Nicht nur die AFD in Deutschland. Auch die Entwicklungen in anderen Ländern, Italien und Schweden etwa.“ Manchmal mache ihr das Angst. „Abhalten von der Arbeit mit den Geflüchteten würde mich das aber nicht, im Gegenteil!“