Juristen werfen Kirche „taktische Motive“ vor

Rechtsexperten fordern Bischöfe zu Vergleichen mit Betroffenen auf

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Außergerichtliche Vergleiche mit Betroffenen von Missbrauch lehnen die katholischen Bischöfe bislang ab: Sie seien „Mauschelei“. Zwei Juristen werfen der Kirche nun „taktische Motive“ vor.

Juristen fordern von der katholischen Kirche eine friedlich-gütliche Streitbeilegung mit Betroffenen sexualisierter Gewalt. Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen und der Mainzer Strafrechtler Jörg Scheinfeld sehen in der Ablehnung außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen durch die deutschen Bischöfe einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses gebe der einverständlichen Lösung durch einen Vergleich den Vorzug vor einer richterlichen Strafentscheidung, wie die Juristen in einem Gastbeitrag auf dem Fachportel lto.de (Freitag) ausführen.

Im Oktober 2023 hatte sich der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer gegen außergerichtliche Vergleiche mit Betroffenen sexualisierter Gewalt mit der Begründung ausgesprochen, sie seien „Mauschelei“, da ihnen „eine unabhängige dritte Instanz“ abginge. Ähnlich argumentierten die (Erz-)Bistümer Paderborn und Trier. Stattdessen verwiesen Bistümer auf die Verfahren der „Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen“ (UKA) als unabhängige „dritte Instanz“.

Gerichtliche Auseinandersetzung mit hohem Aufwand

Die UKA hat die Aufgabe, darüber zu entscheiden, wie viel Geld Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche in Anerkennung des ihnen zugefügten Leids erhalten. Dazu nimmt sie Anträge der Betroffenen über die jeweiligen Ansprechpersonen der Bistümer oder Ordensgemeinschaften entgegen, legt eine Leistungshöhe fest und weist die Auszahlung an Betroffene an.

Rixen und Scheinfeld kritisieren, dass das Insistieren auf eine gerichtliche Auseinandersetzung zur Entschädigung „in der Konsequenz den von sexualisierter Gewalt Betroffenen Klageverfahren mit einem hohen Geld-, Zeit- und Kraftaufwand“ aufbürde. „Spekulieren sie darauf, dass nur wenige Betroffene ein anstrengendes und aufwühlendes Gerichtsverfahren auf sich nehmen?“, so die Juristen. Zwar habe man in der Zivilprozessordnung das Recht, sich auf außergerichtliche Verhandlungen einzulassen oder nicht. Ausnahmsweise könne sich aber „eine Pflicht zum Verhandeln ergeben“.

Traumatisierungen können vermieden werden

Mit der grundsätzlichen Ablehnung außergerichtlicher Verhandlungen lehnten die Bischöfe „ein wesentliches Erkennungszeichen des Rechtsstaats (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz, GG) ab, nämlich den Vorrang mediatorisch-konzilianter Rechtsfindung“. Das sei „höchst bedenklich“ im Hinblick auf die Rechtstreue, der die katholischen Bistümer als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Hinblick auf fundamentale Rechtsprinzipien wie das Rechtsstaatsprinzip unterliegen.

Die Autoren des Gastbeitrags kritisieren, dass die Kirche sich zudem widersprüchlich verhalte, wenn sie im Kirchenrecht der außergerichtlichen Beilegung Vorrang einräume, dies aber im außerkirchlichen Rechtskreis ablehne – „zumal die Streitigkeiten ihren Ursprung in der Verantwortungssphäre der Kirche“ hätten. Den von sexualisierter Gewalt Betroffenen würde die Chance genommen, sich vor erwartbaren Traumatisierungen zu schützen, die in einem öffentlichen Gerichtsverfahren vor einem staatlichen Gericht leicht eintreten könnten. Die außergerichtliche Streitbeilegung helfe, solche (Re-)Traumatisierungen zu vermeiden.

Widerspruch zu Äußerungen 2011

Dabei habe sich die Deutsche Bischofskonferenz noch im Jahr 2011 darauf berufen, Opfer „nicht auf einen möglicherweise langwierigen und kostspieligen Rechtsweg“ verweisen zu wollen, sondern mit „den jeweils betroffenen kirchlichen Körperschaften eine außergerichtliche Einigung mit den Anspruchstellern“ anzustreben, „gegebenenfalls mit Methoden der außergerichtlichen Streitbeilegung (z. B. Mediation)“. Die Juristen werfen den Bischöfen „taktische Motive“ vor, wenn diese von „Mauschelei“ sprächen.

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