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Der Staatsrechtler Stephan Rixen hat seine Mitarbeit in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln beendet und damit auch den Vorsitz niedergelegt. Seine anfänglichen Zweifel an einer unabhängigen, effektiven Arbeit des Gremiums hätten sich bestätigt, sagte Rixen. Auch die Missbrauchs-Beauftragte des Bundes, Kerstin Claus, äußerte Bedenken angesichts der neuen Lage.
Der Staatsrechtler Stephan Rixen hat seine Mitarbeit in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln beendet und damit auch den Vorsitz niedergelegt. Seine anfänglichen Zweifel an einer unabhängigen, effektiven Arbeit des Gremiums hätten sich bestätigt, sagte Rixen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hatte Rixen in das Gremium entsandt. Die Errichtung solcher Kommissionen für jedes deutsche Bistum geht auf eine Vereinbarung zwischen dem früheren Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der Bischofskonferenz zurück. Den Gremien gehören Bistumsvertreter, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und Betroffene an. Sie werden teils von der Kirche, teils von der Landesregierung benannt und sämtlich vom Ortsbischof berufen.
„Ist Aufarbeitung, die auch Woelki betrifft, gewünscht?“
Rixen berichtete von einem Gespräch der Kölner Kommission mit Kardinal Rainer Maria Woelki, dessen Büroleiterin und der Interventionsbeauftragten des Erzbistums. Es sei um Vorwürfe gegen den früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz gegangen. Das Gespräch habe ein „massives Störgefühl“ bei ihm hinterlassen, so Rixen. Er wolle sich nicht ständig fragen müssen, ob ihm jemand wirklich die Wahrheit sage: „Mir fehlt das Vertrauen, dass eine Aufarbeitung, die auch Kardinal Woelki selbst betrifft, wirklich gewünscht ist.“
Der Kölner Priester Pilz hatte die letzten Jahre bis zu seinem Tod 2019 im Bistum Dresden-Meißen verbracht. Woelki wird vorgehalten, das dortige Bistum nicht frühzeitig über die Vorwürfe gegen den Geistlichen informiert zu haben. Dagegen betont der Kardinal auch an Eides Statt, erst Ende Juni 2022 mit dem Fall befasst worden zu sein. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen einer möglicherweise falschen eidesstattlichen Versicherung.
„Niemand will sich mit Spitze des Erzbistums anlegen“
Rixen beklagte ein Klima, in dem es möglicherweise zum Kalkül gehöre, dass immer neue „Missverständnisse“ entstehen, „die immer dasselbe Ergebnis haben: Kardinal Woelki hat keine Fehler gemacht.“ Rixen sagte, sein Eindruck sei, dass die Mehrheit der Kölner Kommission nicht mit der Führungsspitze des Erzbistums in Konflikt geraten wolle. Aufarbeitung setze aber die Bereitschaft zum Konflikt und den Willen zu schonungsloser Kontrolle voraus.
Der Jurist bekundete grundsätzliche Zweifel, ob eine Aufarbeitung in Regie der Kirche zu aussagekräftigen Ergebnissen führe: „Manipulationsmöglichkeiten bestehen ohne Ende.“ Solange eine Aufarbeitungskommission keinen eigenständigen Zugriff auf Akten habe, sondern alles erst durch den Filter der kirchlichen Verwaltung müsse, sei unabhängige Aufarbeitung nicht möglich.
Bundesbeauftragte Claus ruft nach staatlicher Aufarbeitung
Aufarbeitung erfordert laut Rixen Distanz gegenüber jenen, die kirchenintern Macht haben. Das könne letztlich nur eine staatlich verantwortete Aufarbeitung sicherstellen: „Wir brauchen ein Aufarbeitungsgesetz auf Bundesebene, das insbesondere inhaltliche Standards guter Aufarbeitung definiert.“
Auch die aktuelle Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, äußerte nach Rixens Rücktritt Bedenken an der Aufarbeitung der katholischen Kirche. Sie habe Gesprächsbedarf, so die Beauftragte. Denn wesentliches Kriterium der Aufarbeitung sei ihre Unabhängigkeit. Es müsse perspektivisch geschaut werden, welche weitere Stärkung – über die Gemeinsame Erklärung hinaus – für eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung notwendig seien.
Schüller: Fehlende Unabhängigkeit nicht nur in Köln
Claus verwies darauf, die Regierungsfraktionen hätten sich im Koalitionsvertrag auf eine Stärkung ihres Amtes verständigt. Daher werde sie sich auch für eine Aufwertung der bei ihrem Amt angesiedelten Unabhängigen Aufarbeitungskommission auf Bundesebene und des Betroffenenrates einsetzen: „Betroffene haben ein Recht auf Aufarbeitung – Institutionen und Gesellschaft sind in der Pflicht, hierfür Strukturen bereitzustellen“.
Fehlende Unabhängigkeit ist nach Ansicht des Kirchenrechtlers Thomas Schüller von der Universität Münster nicht nur ein Kölner Problem. Er selbst arbeite auf Bitten von Missbrauchs-Betroffenen in der Kommission von Münster mit, sagte er der „Kölnischen Rundschau“. „Selbst dann, wenn die Bischöfe besten Willens sind, mauern Leute aus ihren kirchlichen Verwaltungen.“ Die Aufarbeitungskommissionen benötigten Rechte wie Staatsanwaltschaften – auch beim Zugriff auf Akten.