ZDF-Journalist Stefan Leifert zum Leid in der Ukraine und der Berichterstattung darüber

Seht, welch ein Krieg!

Anzeige

Die Bilder des Ukraine-Krieges sind nur schwer zu ertragen. Denken wir an die Leichen, die auf den Straßen von Butscha oder Irpin zu sehen waren. Dennoch sind diese Szene wichtige Dokumente, um die Gräueltaten Russlands beweisen zu können, sagt ZDF-Journalist Stefan Leifert in seinem Gast-Kommentar. Lange berichtete er als Korrespondent aus Brüssel, stammt aus Haltern im Bistum Münster, inzwischen leitet er das ZDF-Studio in München.

Die Bilder aus der Ukraine schlagen aufs Gemüt. Ob die massakrierten Opfer von Butscha, die Leichen aus Irpin oder die tote Familie, auf der Flucht vor den russischen Bomben ermordet. Ihre Bilder lassen nicht los, verfolgen in den Schlaf, machen Angst und wecken traumatische Erinnerungen. Dennoch: Wir müssen sie sehen!

Uns Nachrichtenleute trifft in diesen Tagen der Vorwurf, die Opfer dieses schrecklichen Kriegs ins Scheinwerferlicht zu zerren. Das sei entwürdigend. Ich bin überzeugt: Das Gegenteil ist der Fall! Mit Bildern von zerbombten Häusern allein würden wir weder unserem journalistischen Auftrag noch den Opfern dieses barbarischen Kriegs gerecht. Wir müssen von der Entgrenzung erzählen: mit Worten und mit Bildern. Das ist eine Zumutung, aber alles andere wäre Selbstbetrug.

Von der Wirklichkeit erzählen

Der Autor:
Stefan Leifert war von 2014 bis 2021 ZDF-Korrespondent in Brüssel, seitdem leitet er das ZDF-Landesstudio Bayern. Leifert wurde 1977 in Haltern am See geboren. Er studierte Philosophie, Theologie und Kommunikationswissenschaften in München und Dublin.

Nur was erzählt ist, ist passiert, aus dieser Überzeugung lebt Journalismus. Bilder machen real und erzählen von Russlands entmenschlichendem Krieg gegen das ukrainische Volk. Journalismus muss von der Wirklichkeit erzählen, auch wenn sie brutal ist. Fernsehnachrichten dürfen keinen Filter über die Realität des Kriegs legen. Wenn es keinen chirurgisch-sauberen Krieg gibt, kann es auch keine saubere Berichterstattung geben. Sie wäre ein Zerrbild der Wirklichkeit.

Mehr als Worte liefern Bilder eine Vorstellung vom Unvorstellbaren. Nur noch wenige Menschen in Europa haben eigene Erfahrungen mit dem Krieg. Die Vorstellung, die sich Menschen ohne Kriegserfahrung machen, erwächst heute im Wesentlichen aus solchen Bildern. Krieg ist Entgrenzung, und von dieser Entgrenzung müssen wir erzählen.

Bilder von Butscha und Irpin ertragen

Mehr noch: Bilder formen das kollektive Gedächtnis und liefern Beweise für die Gräuel und Kriegsverbrechen der Schergen Wladimir Putins. Wer Russlands Diktator seiner gerechten Strafe zuführen will, muss die Bilder von Butscha und Irpin ertragen. Ja, die Opfer dieses Krieges verlieren ihre Würde nicht im Tod. Aber verlieren sie ihre Würde durch Abbildung? Niemand kann sie mehr fragen. Oft sind es die Angehörigen, die vom Schicksal ihrer Liebsten erzählen wollen und in der Berichterstattung Trost finden.

Auch mögliche Gefühle der Rezipienten unserer Bilder können nicht Maßstab für die Frage des Zeigens sein. Wir würden der Dimension der Brutalität nicht gerecht. Natürlich haben wir ethische Grenzen und Prinzipien im Umgang mit den Bildern des Grauens. Aber die gleichen Prinzipien verbieten uns auch, mit dem Weichzeichner über diesen Krieg zu gehen. Auch der christlichen Ethik würde das widersprechen – die Darstellung vom geschundenen Christus am Kreuz erinnert uns daran.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Anzeige