Das Sakrament der Versöhnung: unnütz, ungenutzt und ausgenutzt?

Sieben Vorurteile gegen die Beichte: Was ist da dran?

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Zur Beichte geht sowieso niemand! Damit Gott mir vergibt, braucht es keinen Priester, das mache ich direkt mit ihm aus! - Thomas Holznienkemper stellt sich den Vorurteilen über die Beichte. Er ist Beichtvater im Münsteraner Dom.

Zur Beichte geht sowieso niemand! Und wenn doch, muss man den Ablauf genauestens kennen. Aber eigentlich brauche ich keinen Priester für Vergebung, das mache ich direkt mit Gott aus. Soweit die gängigen Vorurteile über die Beichte. Was ist da dran? Thomas Holznienkemper stellt sich ihnen. Der Priester ist Pastoralpsychologe und Beichtvater im Münsteraner Dom.

Vorurteil 1: Wer zur Beichte geht, muss den genauen Ablauf einhalten – wenn er ihn denn kennt.

Es geistert immer noch in den Köpfen herum, dass man beim Beichten keinen Fehler machen darf. Viel wichtiger ist, dass die Menschen überhaupt den Schritt über die Schwelle in den Beichtstuhl oder das Beichtzimmer schaffen. Dabei helfe ich, indem ich sage: „Sie können nichts falsch machen. Das Beste haben sie schon getan: Sie sind jetzt hier.“ Dann fangen wir ganz bewusst mit einem Kreuzzeichen an. Das gibt beiden das Bewusstsein: Das ist hier jetzt keine Plauderei, sondern ein geistliches Tun. Dann höre ich zu. Wenn nichts von dem Beichtenden kommt, helfe ich, indem ich frage: „Was bedrückt Sie? Wo ist Ihnen etwas widerfahren, von dem Sie meinen: Da bin ich falsch abgebogen, da habe ich mich vergaloppiert?“ Ich ermutige dazu, sich Notizen zu machen – also auf einem Waschzettel zu notieren, wo die Seele zu putzen ist. Das hilft oft. Darum nenne ich meinen Beichtstuhl im Dom übrigens gern „mein kleiner Seelen-Waschsalon“.

Vorurteil 2: Beichten ist ganz einfach: Sünden aufsagen, Absolution, drei Vaterunser, ein Ave Maria – und gut ist.

Einfach ist das ganz sicher nicht. Schließlich geht es um Schuld, und damit tut sich jeder schwer, weil er ja Schwäche zeigt. So hilfreich Rituale sind, und so sehr ich auch akzeptiere, wenn jemand kurz und knackig seine Liste aufsagt – das Wichtigste ist, dass jemand Einsicht hat, dass er bereut, etwas falsch gemacht zu haben und dass er bereit ist umzukehren. Was die sogenannte Buße nach der Beichte angeht: Ich versuche immer zu erfahren, ob ein Beichtender persönliche Gebete hat, etwas Vertrautes, womit er wieder neu anfangen kann. Das kann natürlich auch das Vater­unser oder ein Gesätz aus dem Rosenkranz sein, das kann aber auch ein Lied aus dem Gotteslob sein.

Vorurteil 3: Katholiken haben Protestanten etwas voraus: Wir können immer wieder guten Gewissens sündigen, wir haben ja die Beichte.

(Lacht) Das hat ja schon der Kölner Kabarettist Jürgen Becker auf kölsche Art besungen: „Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin. Als Katholik, da kannste pfuschen, dat eine ist gewiss: am Samstag gehste beichten, und fott ist der janze Driss.“ Aber im Ernst: Beichten ist keine Versicherung gegen das Sündigen, es gibt keine Katholiken-Flatrate „All you can sin“. Es geht ja schließlich darum, das Leben, das Gott uns geschenkt hat, zum Guten zu entfalten. Jeder hat seine persönlichen Schlaglöcher, seine Fallen, die es wahrzunehmen und zu bearbeiten gilt. Von daher ist Beichte nicht nur ein Aufsagen, sondern eine geistliche Reflexion, eine aufrichtige Standortbestimmung.

Vorurteil 4: Zur Beichte geht eh keiner mehr.

Das stimmt definitiv nicht. Ich habe im vergangenen Jahr mehr als 1000 Beichten im Dom gehabt. Und es ist schon mal gar nicht nur eine Sache mangelnden Interesses bei den Gläubigen. Ich sage meinen Mitbrüdern frei nach Papst Franziskus: „Setzt euch in die Beichtstühle, macht das Licht an, und es wird nicht lange dauern, bis jemand kommt.“ Zweifelsohne: In den Gemeinden war das immer anders, weil die Menschen ungern bei ihrem eigenen Pastor beichten, der sie womöglich erkennt. Von daher wird das Beichtangebot andernorts, etwa in den Klöstern oder bei uns im Dom mehr genutzt.

Aber dessen ungeachtet: Das ist doch unser Kerngeschäft als Priester: Seelsorge! Wir machen viel zu oft Zählsorge, finden Zahlen und Organisation wichtig. Da heißt es dann: Sie können gern im Pfarrbüro anrufen und einen Termin für die Beichte machen. Aber es gibt keine oder nur kurze Zeiten für feste Beichtangebote. Wenn ich aber das Signal sende: Ich bin da, ich habe Zeit, ich höre zu, dann kommen Menschen!

Ich muss aber auch sagen: Wir haben über eine lange Zeit manchen Missbrauch mit der Beichte betrieben. Da sind Menschen gedemütigt worden, wir haben Menschen die Daumenschrauben angelegt. Wenn mir vor allem Frauen der älteren Generation erzählen, dass sie in Sachen „Sechstes Gebot“ („Du sollst nicht die Ehe brechen“) ohne Absolution aus dem Beichtstuhl geschickt wurden und andere das mitbekamen – solche Erfahrungen sitzen tief. Es ist eine Schande für die ganze Innung, wie wir Priester mit diesem kostbaren Sak­rament umgegangen sind. Dabei sind wir nur Verwalter der Sakramente – und keine Richter.

Thomas Holznienkemper ist seit 28 Jahren Priester. Neben anderen Tätigkeiten etwa in der geistlichen Begleitung ist er regelmäßig Beichtvater im Münsteraner Dom. | Foto: Markus NolteThomas Holznienkemper ist seit 28 Jahren Priester. Neben anderen Tätigkeiten etwa in der geistlichen Begleitung ist er regelmäßig Beichtvater im Münsteraner Dom. | Foto: Markus Nolte

Vorurteil 5: Wenn ich schuldig geworden bin, kann ich das auch direkt mit Gott ausmachen – dafür brauche ich keinen Priester.

Das ist grundsätzlich natürlich richtig. Der Priester ist so etwas wie das Angebot eines Zeugen. Manchmal ist es wichtig, in einer geschützten Öffentlichkeit auszusprechen, über die Lippen zu bringen, was mir widerfahren ist. Noch einmal: Der Priester ist kein Richter. Er vermittelt die Barmherzigkeit Gottes und soll sie erfahrbar machen. Ich erlebe oft, wie Menschen, auch gestandene Männer, Tränen in den Augen haben, wenn ich ihnen – wenn sie das wünschen – die Hand zur Absolution auflege und den Segen spreche. Nicht ohne Grund gibt es ja die Weisheit: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber sagen.“ Es braucht Aussprechen auf beiden Seiten: zum einen bei dem, der sich bekennt – und zum anderen bei dem, der Lossprechung und Zuspruch gibt.

Vorurteil 6: Für ernsthafte Probleme gibt es Psychologen – dafür haben Priester auch gar keine Zeit mehr.

Gut, ich bin auch ausgebildeter Pastoralpsychologe, aber auch dessen ungeachtet nehme ich deutlich wahr, wenn ich es mit einem psychisch labilen oder erkrankten Menschen zu tun habe, der bei einem Psychologen oder Psychiater richtiger aufgehoben ist. Da müssen wir Priester das Ende unsrer Stola kennen, wie ich immer sage. Ich thematisiere das dann auch im Gespräch und frage: „Haben Sie schon einmal erwogen, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen?“ Und was die Zeit angeht: Eine Beichte bei mir im Dom dauert maximal 20 Minuten – erst recht, wenn jemand dabei kniet. Wenn das nicht ausreicht, vereinbaren wir ein Gespräch außerhalb des Beichtstuhls, wo das sinnvoll ist.

Vorurteil 7: Wenn ich an einem anderen Menschen schuldig geworden bin, bitte ich ihn um Vergebung. Damit hat Gott nichts zu tun.

Meiner Erfahrung nach ist es sinnvoll, sich erst einmal mit Gott zu versöhnen, sich unter seine Barmherzigkeit zu stellen. Das gibt Rückenwind dafür, auch denjenigen um Vergebung zu bitten, an dem ich schuldig geworden bin. Außerdem ist auch er ein Geschöpf Gottes, gegen dessen Würde ich gehandelt habe. Und spätestens da ist auch Gott betroffen.

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