Zum Afrika-Sonntag: Zwei Geflüchtete und eine Ordensfrau erzählen

So hilft die Kirche Opfern von islamistischem Terror in Nigeria

  • Mit der Kollekte am Afrika-Sonntag unterstützt das Hilfswerk Missio die Seelsorge auf dem Kontinent.
  • In vielen Ländern haben Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Gewalt- und Terroropfern zu tun.
  • Zwei geflüchtete Frauen und eine Ordensschwester ezählen ihre Geschichten.

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Mit der Kollekte am Afrika-Sonntag unterstützt das Hilfswerk Missio die Seelsorge auf dem Kontinent. In vielen Ländern haben Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Gewaltopfern zu tun, die vor Krieg oder Terror fliehen mussten.

In Nigeria beispielsweise verübt die islamistische Terrormiliz Boko Haram Anschläge, ermordet, entführt und versklavt Menschen. 2014 besetzte sie ein Gebiet so groß wie Belgien und rief ein Kalifat aus. Laut Missio flohen mehr als zwei Millionen Menschen, zum großen Teil innerhalb Nigerias. Nur mit militärischer Hilfe der Nachbarstaaten konnte die Miliz zurückgedrängt werden, Terroranschläge verübt sie bis heute. Seit 2009 sollen nach unterschiedlichen Quellen etwa 35.000 Menschen in Nigeria und den Nachbarstaaten bei Attacken von Boko Haram ums Leben gekommen sein.

Für Familien, die vor den Islamisten fliehen mussten, hat die Kirche mit Hilfe von Missio zum Beispiel Häuser in einem Dorf nahe Yola errichtet. Zu jedem Haus gehört ein Stück Land, auf dem etwas angebaut werden kann. Die Geschichten der Flüchtlinge sind erschreckend; im Folgenden erzählen sie sie Missio-Mitarbeitern.

 

Tabitha, 38

 

Tabitha floh 2014 mit ihrer Familie vor Boko Haram.
Tabitha floh 2014 mit ihrer Familie vor Boko Haram. | Foto: Hartmut Schwarzbach (Missio)

„In unserem Dorf lebten Christen und Muslime zusammen. 2014 gab es ein Fest, ausgelassene Stimmung. Die Feier zog sich mehrere Tage. Es kamen immer mehr Menschen. Schließlich fuhren viele Geländewagen und Männer auf Motorrädern ins Dorf. Wir glaubten, sie kommen zum Fest. Doch dann schossen sie plötzlich. Sie zielten nur auf die Christen. Sie forderten die Muslime auf, sich ihnen anzuschließen. Wer sich weigerte, den erschossen sie. Ich glaube, einige der Boko-Haram-Leute hatten sich schon vorher unter die Feiernden gemischt.

Mein Mann und ich griffen uns die Kinder. Wir haben acht Kinder. Eine Woche zuvor hatte ich Zwillinge bekommen. Wir rannten. Ich sah, wie mein Bruder erschossen wurde. Wir versteckten uns in den Bergen. Von da gingen wir nach Kamerun. Wir fanden Aufnahme in einem Flüchtlingscamp. Doch dann brach in dem Lager eine Krankheit aus. Da kehrten wir nach Nigeria zurück, hierher nach Yola.“

 

Keviana, 46

 

Drei Söhne von Keviana wurden von Boko Haram ermordet. | Foto: Hartmut Schwarzbach (Missio)
Drei Söhne von Keviana wurden von Boko Haram ermordet. | Foto: Hartmut Schwarzbach (Missio)

„Es war der 18. Januar 2018. Als sie kamen, war es schon dunkel. Mein jüngster Sohn Innocent, 17, und ich schliefen in einem Zimmer, die beiden anderen Söhne Kenneth, 25, und David, 23, in einem anderen.

(Keviana wechselt in ihrer Erzählung plötzlich in die Gegenwartsform.) Schüsse fallen. Sie dringen in unseren Hof ein. Mein Jüngster sagt: ‚Mami, lass uns die Tür verbarrikadieren.‘ Zu spät. Sie sind im Haus. Wir können nichts tun. Ich sage ‚Jetzt kann nur noch Gott helfen‘ und verstecke ihn unter der Matratze. Ich staple Matten darüber. Sie brechen die Tür auf und schreien: ‚Geld her!‘ Ich flehe sie an: ‚Ich habe nichts. Mein Mann ist tot. Ich bekomme kein Geld. Ich leide mit meinen Kindern.‘ Sie schlagen mich, drohen, mich umzubringen, wenn ich ihnen kein Geld gebe. Ich sage: ‚Okay, bringt mich um. Ich habe nichts.‘ Sie raffen all meinen Besitz zusammen. Als sie die Matratzen greifen, entdecken sie meinen Jungen. Sie schießen auf ihn... Draußen versuchen andere Kämpfer, in den Raum einzudringen, in dem Kenneth und David sich eingeschlossen haben. ‚Öffnet die Tür!‘, schreien sie. Die beiden reagieren nicht. Die Islamisten fesseln mich, zerren mich auf den Hof. Ich flehe sie an: ‚Bitte, lasst mir wenigstens einen meiner Söhne!‘ Ich sehe, wie sie schießen, zweimal, ich sehe das Feuer aus den Gewehren.“

 

Schwester Maria Vitalis Timtere, 39, Krankenschwester und Hebamme

 

„Angefangen hat alles, als ich Novizin war. Ein Dorf in der Nähe unserer Gemeinschaft in Jos wurde angegriffen. Also sind wir dort hingegangen, haben uns die Geschichten der Überlebenden angehört und ihnen geholfen, mit der Situation fertig zu werden.

Von da an interessierte ich mich dafür, den Menschen zuzuhören und sie zu ermutigen, nicht aufzugeben. Es macht mir Freude. Ich kann nichts Materielles geben, aber ich kann zuhören. Das ist etwas Gutes. Ich habe das Gefühl, wenn ich ihre Geschichten höre, hilft ihnen das herauszufinden, was in ihrem Inneren vorgeht. So haben die Menschen die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen. Manchmal kann ich ihnen einen Rat geben.

Manchmal, wenn ich zu viel aufnehme, kann ich nicht schlafen. Mitten in der Nacht kommt dann die Erinnerung an ihre Geschichten. Ich weiß nicht, wie sie mit ihrer Situation zurechtkommen. Es gibt Zeiten, da sage ich, dass ich nicht zurückgehen kann. Aber dann mache ich es doch.

Mir macht Hoffnung, dass die Menschen hier nach allem, was sie durchgemacht haben, noch immer lieben können. Manche nehmen Kinder auf, die ihre Eltern verloren haben. Für mich ist das Liebe. Wenn die Flüchtlinge mit dieser Einstellung weitermachen, werden diese Kinder nicht voller Hass auf andere Menschen aufwachsen.“

Spenden an Missio sind möglich per Online-Spende und auf das Konto bei der Pax-Bank (BIC: GENODED1PAX) mit der IBAN DE23 3706 0193 0000 1221 22.

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