Sozialpfarrer schreibt über seine Erfahrungen mit der Industrie

Kossen: Stoppt „System Tönnies“! Fleischarbeiter weiter ausgebeutet

  • Prälat Peter Kossen ist Mit-Autor des neuen Buchs „Ist das System Tönnies passé? Welche Perspektiven haben Landwirtschaft, Schlachthöfe und Tierrechte?“.
  • Der Seelsorger aus Lengerich beklagt seit vielen Jahren die Ausbeutung von Arbeitsmigranten.
  • Trotz Einführung gesetzlicher Regelungen in der Fleischindustrie sieht Kossen wenig Verbesserungen für die Arbeiter, die zumeist aus Ost- und Südosteuropa stammen.

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Es ist eine klare Forderung, die Prälat Peter Kossen stellt: „Die moderne Sklaverei muss beendet werden!“ Mit drastischen Worten, mit spektakulären Aktionen und mit Buchveröffentlichungen macht der engagierte Seelsorger aus Lengerich auf die Arbeitsbedingungen und die soziale Situation von Arbeitsmigranten in Deutschland aufmerksam.

Kossen ist Mit-Autor eines Buchs, das in diesen Tagen unter dem Titel „Ist das System Tönnies passé? Welche Perspektiven haben Landwirtschaft, Schlachthöfe und Tierrechte?“ erscheint. In dem Sammelband schildern Fachleute ihre Erfahrungen mit dem „System Tönnies“, das längst nicht nur bei Deutschlands größtem Schlachtkonzern angewandt werde, wie die Autoren meinen.

Die Schattenseiten der Arbeitswelt

„Arbeitnehmer-Freizügigkeit ist eine der großen Errungenschaften der Europäischen Union. Unter dem Radar der Rechtsstaatlichkeit hat sich aber in unserem Land seit 30 Jahren in der Fleischindustrie, in der Logistik, in der 24-Stunden-Betreuung, auf dem Bau und in weiteren Branchen eine Schattenwelt entwickelt, in der eine Geisterarmee von Arbeitsmigranten in Formen von moderner Sklaverei ausgebeutet und abgezockt wird“, stellt Kossen fest.

Und der Priester wird in seinen Worten noch drastischer: „Menschen werden angemietet, verschlissen und dann entsorgt – wie Maschinenschrott.“

Leben in Bruchbuden

Dabei verbietet das seit dem 1. Januar 2021 geltende Arbeitsschutzkontrollgesetz bezogen auf die Fleischindustrie Werkverträge und Leiharbeit in Schlachtung und Zerlegung. Doch Kossen hat Zweifel, dass alle Vorgaben in der Praxis umgesetzt werden. Er fragt sich: „Was ist mit den anderen Branchen? Was ist mit den Schrottimmobilien, in denen Arbeitsmigranten zu Wuchermieten hausen müssen? Warum gibt es keine geregelten Deutschkurse für diese Menschen? Was wäre sonst noch nötig für gelingende Integration?“

Nach wie vor lebten viele Arbeitsmigranten in „Bruchbuden“. Die Unternehmen der Schlachtindustrie täten nur das, wozu das Gesetz sie zwinge. In der Fleischverarbeitung gebe es nach wie vor Leiharbeit.

Gesetzgeber in der Pflicht

Prälat Peter Kossen kämpft für die Rechte von Arbeitsmigranten. | Foto: Johannes Bernard
Prälat Peter Kossen kämpft für die Rechte von Arbeitsmigranten. | Foto: Johannes Bernard

Letztlich habe sich nur wenig verbessert: „Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat nicht erkennbar zu einer veränderten Haltung gegenüber den Menschen geführt, die in der Fleischindustrie schwerste Arbeiten verrichten“, so Kossens Fazit.

Die Autoren des Buchs gehen sehr kämpferisch ans Werk. In der Verlagspräsentation heißt es: „Die Zustände in der Fleischindustrie wurden von den Regierungen gewollt und geduldet, des Ausbaus des Standortes Deutschland wegen. Die Fleischbarone haben die für sie geschaffenen Bedingungen nur genutzt. Dieses Zusammenspiel von Regierungen und Konzernen macht das ‚System Tönnies‘ aus.“

Kampf für bessere Arbeitsbedingungen

In den letzten Jahren hatten sich unterschiedliche Akteure zusammengefunden, um auf die Zustände in der Schlachtindustrie aufmerksam zu machen. Neben Gewerkschaftlern und Tierschützern waren es auch Kirchenleute, die für bessere Arbeitsbedingungen eintraten.

Weit über das Bistum Münster hinaus bekannt wurde Peter Kossen. Seit vielen Jahren macht er mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, unter anderem mit Demonstrationen vor Schlachthöfen, auf sein Anliegen aufmerksam.

Dunkelfeld Logistik-Branche

Mit seinem gemeinnützigen Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ leisten der Seelsorger sowie seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter einigen Jahren Arbeitsmigranten rechtlichen Beistand. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die aus Ost- und Südosteuropa stammenden Beschäftigten in ihren Rechten stärken. Die Hilfe soll dazu beitragen, dass Integration und Teilhabe gelingen.

Da in vielen Branchen und fast überall Bedarf besteht, will der Verein auch überregional tätig werden. „Die Anfragen nehmen zu. Gerade auch aus der Logistik-Branche“, sagt Kossen.

„Es muss mehr kontrolliert werden“

Buchtipp
In diesen Tagen erscheint das Buch „Ist das System Tönnies passé?“. Es setzt sich kritisch mit den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie auseinander.
Das Buch „Ist das System Tönnies passé? Welche Perspektiven haben Landwirtschaft, Schlachthöfe und Tierrechte?“ ist im Verlag „Die Buchmacherei“ erschienen. Das 208 Seiten umfassende Buch kostet 13 Euro; ISBN: 978-3-9823317-9-9. Es ist bestellbar bei unserem Partner Dialogversand, Telefon 0251/4839-210 oder per Mail an: service(at)dialogversand.de

Letztlich gehe es um die Frage, wie mit Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten umgegangen werde. Die Arbeitsschutzkontrollgesetze müssten ausgeweitet werden. „Und vor allem muss mehr kontrolliert werden.“

Es habe sich herumgesprochen, dass der Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ helfen könne, sei es bei rechtlichen Fragen, bei der Wohnungssuche oder bei der sozialen Integration. Unterstützung erhält der Verein unter anderem vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Europäischen Sozialfonds.

Es geht um Menschenwürde

„Viele Frauen und Männer aus Ost- und Südosteuropa haben sich entschieden, mit ihren Kindern hier bei uns dauerhaft zu leben und zu arbeiten. Wir haben die Pflicht, sie im Bemühen um echte Integration in unsere Gesellschaft zu unterstützen, damit ihnen zuteilwird, was jeder von uns für sich reklamiert: Würde und Gerechtigkeit“, sagt der Seelsorger.

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