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Den ambulanten Pflegediensten in Deutschland geht es schlecht – finanziell und durch Personallücken. Ein Teufelskreis – jeder zehnte Anbieter erwartet schon bald das Aus.
"Rotes Kreuz schließt wegen Personalmangels ambulanten Pflegedienst in Finsterwalde." "Ambulante Pflegedienste in Mecklenburg-Vorpommern vor dem Aus." Oder: "Nächster ambulanter Pflegedienst im Landkreis Harburg pleite". Meldungen wie diese sind in diesem Jahr nichts Ungewöhnliches.
Vielen Anbietern ambulanter Pflege steht das Wasser bis zum Hals. Erneut hat sich jetzt der Evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie zu Wort gemeldet. Fast zwei Drittel der ambulanten Pflegedienste machen finanzielle Verluste", heißt es in einer in Berlin veröffentlichten Erhebung des Sozialverbandes. 62 Prozent der Dienste erwarten für 2023 rote Zahlen, jeder zehnte Anbieter fürchtet in den kommenden beiden Jahren das Aus. Etwa ein Drittel der ambulanten Pflegedienste hat der Umfrage unter 562 Trägern zufolge nur noch eine Liquiditätsreserve von maximal drei Monaten.
Turbulenzen sind auf dem Markt üblich
Alarm geschlagen hatte im Frühjahr auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). 77 Prozent gaben bei einer Verbands-Umfrage unter 2.427 ambulanten Pflegediensten, Heimen und Tagespflegen an, in den vergangenen drei Monaten "signifikante negative Veränderungen" ihres Betriebsergebnisses festgestellt zu haben. 68 Prozent erklärten, dass ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet sei.
Ein wenig gelassener sieht das der Branchendienst pflegemarkt.de – zumindest, was das vergangene Jahr angeht. 2022 verschwanden nach seinen Berechnungen durch Pleiten, Insolvenzen und Geschäftsaufgaben 600 Heime und ambulante Dienste vom Markt. Auf der anderen Seite verzeichnete das Gründungsradar des Branchendienstes bis April 2023 150 neue Pflegedienste und 38 Neueröffnungen von Pflegeheimen mit 2.817 Plätzen. Gewisse Turbulenzen seien auf dem Pflegemarkt üblich, so die Einschätzung.
Ein Fünftel der Pflegebedürftigen in ambulanter Betreuung
"Ambulante Pflegedienste sind eine unverzichtbare Säule unseres Gesundheitssystems", sagt Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide. Von den rund 4,9 Millionen Pflegebedürftigen werden 980.000 von ambulanten Pflegediensten betreut. Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen – auf mehr als 15.300 mit rund 422.000 Beschäftigten. Loheide sieht die Altenpflege insgesamt auf dem Weg in eine "prekäre Situation". Wer ambulante Pflege suche, müsse schon heute oft 15 bis 20 Dienste anfragen, um eine Zusage zu erhalten. Und der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, berichtet, dass es immer häufiger vorkomme, dass Pflegedienste binnen eines Tages fernblieben, weil gesetzliche Kündigungsregeln fehlten.
Pflegeexperten warnen seit Jahren, dass dieser zentrale Bereich des deutschen Sozialstaats unterversorgt sei. Doch zuletzt hat sich die Lage deutlich zugespitzt. Die Gründe: Inflation und steigende Energie- und Material-Preise. Darüber hinaus auch steigende Personalkosten, weil Anbieter mittlerweile verpflichtet sind, Tariflöhne zu zahlen. Das ist zwar gesellschaftlich erwünscht. Doch können Pflegedienste diese steigenden Kosten nicht einfach auf die Preise aufschlagen. Sie müssten warten, bis die Pflegekassen höhere Vergütungen beschließen – und das dauert. Erlöseinbrüche ergeben sich auch durch Personalmangel: Weil Pflegekräfte fehlen, müssen die Leistungen zurückgefahren werden. Ein Teufelskreis.
Beruf muss attraktiver werden
Was ist zu tun? Loheide fordert Sofortmaßnahmen, darunter "eine bessere Zahlungsmoral der Kostenträger und die sofortige Berücksichtigung von Tarifsteigerungen sowie die Anpassung der Pflegesätze an die gestiegenen Kosten". Pflegeverbände fordern außerdem, den Beruf attraktiver zu machen – unter anderem durch mehr Kompetenzen auch für ambulante Pflegekräfte bei der gesundheitlichen Versorgung.
Mit Blick auf den stark wachsenden Anteil älterer Menschen sind allerdings weitere Maßnahmen notwendig, um das Ziel zu erreichen, dass möglichst viele Menschen möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Dazu gehören, wie ein Konzept des bayerischen Gesundheitsministeriums betont, eine verbesserte Beratungsstruktur, der Einsatz digitaler Techniken sowie der Ausbau von Kurzzeit-, Tages-, Nachtpflegeplätzen und Begegnungsstätten.