Jens Joest über Versäumnisse in der kirchlichen Debatte

Weltkirche kann Reformen befeuern – nicht nur abwürgen

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Reformkritische Kräfte missbrauchen das Wort „Weltkirche“ als inhaltsleeres Totschlagargument gegen jede Veränderung. Dabei kann der Blick in die Weltkirche sogar Reformer ermutigen. Wie, das sagt unser Redakteur Jens Joest in seinem Kommentar.

Wie gespalten die katholische Kirche wirkt, zeigt sich erneut bei der Interpretation des Vatikan-Papiers zur Segnung „irregulärer“ Beziehungen und bei den Erwartungen an die Weltsynode: Konservative wie Reformer beharren auf ihren Positionen. Die Weltkirche hat dabei kaum jemand im Blick.

„Doch!“, rufen Konservative. Sie behaupten, einige Reformideen gefährdeten Lehre und Einheit der Kirche. Dieser Einwand beschönigt allerdings vor allem eines: geistige Unbeweglichkeit.

Realitätsverweigerung und wenig Rücksicht

Konservative verkennen, dass der Großteil kirchlicher Lehrsätze und Vorschriften – etwa zu Zölibat und Priesterweihe – weder Offenbarung noch biblisch, sondern Interpretation zu einer gewissen Zeit der Kirchengeschichte ist. Angesichts dessen über Anpassungen nicht einmal nachzudenken, ist Realitätsverweigerung.

Zur Realität gehört gleichwohl auch, dass Rücksicht nicht ausgeprägt ist: Konservative missbrauchen das Wort „Weltkirche“ als inhaltsleeres Totschlagargument, Reformer halten ihre Ideen für die einzig verantwortbaren.

Das Beispiel der Segnung homosexueller Paare

Beispiel Homosexualität: In Teilen Afrikas drohen Menschen, die solche Beziehungen praktizieren, drakonische Strafen bis zur Todesstrafe. Es ist ein Gebot der Vernunft, unter diesen Bedingungen auf die öffentliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zu verzichten. Zugleich stünde es örtlichen Bischöfen und Rom gut an, auf die Änderung solcher menschenverachtenden Gesetze zu drängen. Das geschieht kaum.

Auch wenn liberale westliche Katholiken Minderheit innerhalb der Kirche sind: Die Reformideen ihrer Theologen sind schlüssig, auch in anderen Wissenschaften fundiert, pastoral und menschlich wertschätzend. Dass konservative Bischöfe im In- und Ausland und im Vatikan mit Worthülsen („Gleichmacherei, Ideologie, Gefahr für die Einheit der Weltkirche“) jede Diskussion darüber verweigern, ist ignorant und Dogmatismus.

Reformen-Mitstreiter aus der Weltkirche

Dabei kann die Weltkirche den Reformern sogar Argumente und Mitstreiter liefern. Zum Beispiel in Lateinamerika. Wo nur alle paar Wochen ein Priester in die Gemeinden anreist, stellt sich die Frage der Rolle von Frauen längst anders. Über verheiratete Priester hat die Amazonas-Synode bereits 2019 nachgedacht.

Wer weltweite Vielfalt ernst nimmt, muss regionale Ausnahmen zulassen, wie es sie in mit Rom unierten Kirchen bereits gibt. Auch erzwungene Einheit ist Gleichmacherei.

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