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Der Notruf kam an einem Freitagnachmittag im vergangenen Februar. Es ging um einen rumänischen Lkw-Fahrer. Von jetzt auf gleich war ihm gekündigt worden, fristlos. Wochenlang hatte der Mann in der Fahrerkabine gelebt. Jetzt sollte er bis mittags den Lkw räumen und abgeben. Und stand mit Sack und Pack auf der Straße.
Marcella Bohlke erinnert sich noch gut daran, wie der Arbeitgeber auf stur schaltete. „Das sei doch nicht sein Problem. Der Mann solle selbst sehen, wo er bleibt. Dem war das ziemlich egal.“ Die Anwältin für Arbeits- und Sozialrecht ist immer noch entsetzt. „So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt: die Frechheit, sich so bewusst über das Recht hinwegzusetzen.“ Und das am Ende noch ohne Konsequenzen. Bevor die Anwältin helfen konnte, hatte sich der Fahrer auf den Weg zurück in die Heimat gemacht.
Zum Beispiel LKW-Fahrer oder Schlachthof-Arbeiter
Seit einem Jahr hat es die Juristin jetzt regelmäßig mit ähnlichen Fällen zu tun: als Beraterin für „Arbeitsmigranten“, wie die Caritas-Beratungsstelle in Cloppenburg ihre Klienten nennt. Zugewanderte Arbeiter, die zum Beispiel als Lkw-Fahrer oder in der Schlachtindustrie beschäftigt sind.
Anfang 2018 wurde die Beratungsstelle unter dem Dach des Caritas-Sozialwerks gegründet, außer der in Cloppenburg auch eine in Lohne. Gemeinsam mit Sozialarbeiter Sergej Kropotin hilft Marcella Bohlke Wanderarbeitern in Cloppenburg, zu ihrem Recht zu kommen.
Zum Beispiel Kranken- oder Urlaubsgeld
Stimmt meine Lohnabrechnung? Wurden alle Zuschläge bezahlt? Bekomme ich die Urlaubstage, die mir tariflich zustehen? Durfte mein Chef mir kündigen? – Typische Fragen, die die beiden dort immer wieder klären und beantworten müssen.
Rechtsberatung für Arbeitsmigranten
Die Caritas-Rechtsberatung für Wander- und Werkvertragsarbeiter in Cloppenburg und Lohne greift die Arbeit des Bakumer Rechtsanwalts Johannes Brinkhus auf. Er hatte bis 2016 drei Jahre lang ehrenamtlich einmal in pro Woche im Pfarrbüro von St. Andreas Cloppenburg Hilfesuchende beraten. Auch Brinkhus hatte Lohnabrechnungen und Urlaubszettel geprüft und versucht, den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen. Seine Frau und eine rumänische Dolmetscherin unterstützen ihn dabei. Es war die erste Beratungsstelle für Wanderarbeiter in Niedersachsen. Vor drei Jahren musste Johannes Brinkhus sie wegen Arbeitsüberlastung schließen. In den Beratungsstellen der Caritas arbeiten je zwei Berater-Teams: in Cloppenburg Juristin Marcella Bohlke und Sozialarbeiter Sergej Kropotin, in Lohne Jurist Josef Kleier und Sozialarbeiterin Ludmilla Samedova.
Schwarz auf weiß können sie in den Papieren sehen, mit welchen Methoden Menschen manchmal um ihren Lohn gebracht werden sollen. Zum Beispiel im Falle einer Krankheit oder im Urlaub. Dann würde gerne mal nur pauschal der Lohn für einen Sieben-Stunden-Tag bezahlt und nicht, wie in Paragraf 11 des Bundesurlaubsgesetzes vorgeschrieben: der Durchschnitt der letzten 13 Wochen.
Oft reicht ein Schreiben an den Chef
Die Berater klären in solchen Fällen auf und helfen, ein Schreiben an den Chef aufzusetzen. Oder sie fordern im Auftrag von Klienten Nachzahlungen ein – oft genug mit Erfolg. Der Stempel der Caritas und die Unterschrift einer Juristin: Das zeigt eben Wirkung.
Sozialarbeiter Sergej Kropotin ist meist erster Ansprechpartner für die Hilfesuchenden. Er ist mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen, spricht fließend Russisch. „Das hilft bei der Verständigung mit polnischen und bulgarischen Klienten“, sagt der 34-Jährige.
Manchmal müssen sie deutsches Recht erklären
Manchmal muss er nur die Sachlage erklären. „Zum Beispiel, wenn ich erkennen kann, dass eine Kündigung fristgerecht und damit einwandfrei ausgesprochen wurde und man nichts machen kann.“
Erklären ist wichtig: Weil viele das deutsche System nicht kennen, nicht wissen, was eine Probezeit ist, ob und wie bezahlter Urlaub gewährt werden muss oder warum Beiträge zur Krankenversicherung abgezogen werden.
Die Beratung ist gut vernetzt
Sergej Kropotin informiert auch über weitere Hilfsangebote, etwa Beratungsstellen für Schwangere. Umgekehrt schicken die Beraterinnen von dort auch manchmal Frauen zu ihm und seiner Kollegin. Wenn sie vermuten, dass mit deren Kündigung etwas nicht sauber gelaufen ist. Oder ehrenamtliche Flüchtlingshelfer melden sich mit ihren Schützlingen.
„Wir sind mit vielen anderen Einrichtungen vernetzt, insbesondere denen der Caritas“, betont Marcella Bohlke und nennt Kleiderkammern oder die Sozial- und Migrationsberatung. „Das hilft sehr. Auch in Fällen, in denen wir arbeitsrechtlich nicht weiter kommen.“
Keine Rechtsvertretung vor Gericht
Manche Fälle lassen sich außergerichtlich klären. Aber nicht alle. Manchmal lässt sich Unrecht nur mit einer Klage in Recht wenden. Eine Rechtsvertretung übernimmt die Beratungsstelle aber nicht. „Diesen Schritt müssen die Betroffenen selber gehen“, sagt Marcella Bohlke. Doch das trauten sich nur wenige, bedauern die Berater.
„Viele hören nur das Wort ‚Gericht‘ und haben Angst“, sagt Anwältin Bohlke. „Dann muss ich große Überzeugungsarbeit leisten, damit Menschen ihr Recht durchsetzen. Weil die Menschen nicht mit Behörden in Konflikt geraten wollen, aus Angst.“ Angst, dass sie zwar vielleicht ihren ausstehenden Monatslohn erfolgreich einklagen, dass aber im Gegenzug Familienangehörige auf eine schwarze Liste kommen – und bei nächster Gelegenheit ihre Arbeit verlieren könnten.
Die Berater erreichen nicht alle
„Zur Beratung kommen vor allen Dingen Arbeitnehmer, die schon länger in Deutschland arbeiten und wissen, dass sie hier Rechte haben“, sagt Marcella Bohlke. Da sieht sie eine Grenze ihres Angebots. Bestimmte Arbeitnehmer sieht sie so gut wie nie in die Beratung: insbesondere solche, die gezielt für einen befristeten Einsatz in Deutschland angeworben, hertransportiert und wieder heimgefahren würden.
Die Berater haben von Klienten davon gehört. Wie Arbeiter nach einer plötzlichen Kündigung noch abends packen müssten und schon am nächsten Tag nach Hause gekarrt würden – ohne eine Chance, irgendwelche Rechte einzufordern.
Fallbeispiel: Um Urlaub geprellt
Er hatte seinen Vorarbeiter um ein paar Tage Urlaub gebeten und der hatte sein Okay gegeben. Also blieb der junge Mann aus Bulgarien für ein paar Tage zu Hause – und staunte nicht schlecht, als er eine Kündigung im Briefkasten fand: wegen eigenmächtigen Fernbleibens von der Arbeit.
Das Problem solcher Fälle, mit denen die Berater es immer wieder zu tun haben: Den Arbeitern ist nicht bewusst, dass es meist nicht ausreicht, sich beim Vorarbeiter abzumelden, sondern man einen richtigen Urlaubsantrag bei der Firma einreichen muss. Neben solchen Fällen, die sich klären lassen, haben die Berater es auch mit Firmen zu tun, die während des ordentlich beantragten Urlaubs den Lohn nicht weiterzahlen und als eigenmächtiges Fernbleiben verbuchen.
Bei manchen dränge sich der Verdacht auf, so Marcella Bohlke, dass sie darauf setzten, dass nicht alle um ihre Rechte wüssten und sie auch einforderten. Nach dem Motto: „Wer nichts fordert, der kriegt nichts.“