Chefredakteur Markus Nolte zum neuen Vatikan-Papier "Dignitas infinita"

Wer Menschenwürde rühmt, muss Menschen-Entscheidungen achten

Anzeige

Von Leihmutterschaft über Prostitution bis geschlechtliche Vielfalt: Das neue Vatikan-Papier “Dignitas infinita” handelt unter dem Stichwort Menschenwürde einiges ab. Was das gute Anliegen verwässert, meint Chefredakteur Markus Nolte. Bis auf einige Passagen, die eher unwürdig sind.

Ein Plädoyer für die Menschenwürde, ein Bekenntnis zur untrennbaren Verbundenheit von Geschöpf und Schöpfer, ein universaler Aufruf an die Mächtigen, jedem Menschen ein Leben in Freiheit zu ermöglichen: Die neue Erklärung „Dignitas infinita“ feiert in fast unheimlichem Überschwang die grenzenlose Würde aller Menschen. 

Wie nötig ist das, weil sie weltweit immer unverhohlener missachtet wird: von Kriegsherren und Diktatoren genauso wie von Demokratiefeinden und diabolischen Intriganten. Menschen werden zu Kanonenfutter und Bombenzielen, werden ausgebeutet, vertrieben, missbraucht, diskriminiert, verletzt, verwundet, getötet – weil irgendwer die Macht dazu hat oder andere dazu bringt, an die Allmacht der einen über die anderen zu glauben.

Unerschütterlich, aber auch unbeweglich

Gut also, dass jetzt ein solches engagiertes Zeugnis aus Rom kommt. Allein: Die großen Weltakteure dürften sich nicht davon beeindrucken lassen. Fragt sich: Wer sonst? 

Sonderlich Neues steht nicht drin. Vieles ist selbstverständlich, anderes altbekannt, ein Zeugnis der Unerschütterlichkeit, aber auch der üblichen Unbeweglichkeit. Für ein Schreiben aus der Zentrale katholischer Lehrverkündigung wirkt es frappierend schlicht, die Vielzahl der Themen macht es eher beliebig als umfassend.

Kenntnislos und unsensibel

Fast atmet man kurz auf, weil das Thema Geschlechtervielfalt den üblichen Franziskussprech vom Ideologievorwurf vermeidet, stattdessen von „Gender-Theorien“ spricht. Dann fehlt aber doch verlässlich jede Sensibilität, wenn kenntnislos von „Geschlechtsumwandlung“ die Rede ist statt von „Geschlechtsangleichung“. 

Kein Hauch zudem von (evangeliumsgemäßer) Betroffenenperspektive. Im Gegenteil: Der Text wirft Menschen vor, sich selbst zu Gott zu machen, wo sie sich – oft nach langem Leidensweg, intensivster Begleitung und unter Beachtung gesetzlicher Regeln – zu diesem Schritt ins Lebensglück entscheiden. 

Alle Menschen ehren

Ähnliches lässt sich über Passagen zu Frauen oder Missbrauchs-Betroffenen sagen. Der Vatikan rühmt blumig Menschenwürde – glaubt aber weiter, selbstbewusst definieren zu können, in welchem Umfang sie gilt, und vermeidet den kritischen Blick auf sich selbst.

Die Würde eines Menschen zu achten, heißt christlich, alle Menschen zu ehren – und darum auch seine Entscheidungen für sein eigenes Leben und das Leben überhaupt zu würdigen. 

Insofern ist der Adressat des Papiers vor allem sein Verfasser.

Anzeige