Gedenkstätte in Vechta geplant

Wie Behinderte und Studenten Krankenmorde aus der NS-Zeit aufarbeiten

  • Die katholische Behinderteneinrichtung Andreaswerk will in Vechta eine Gedenkstätte errichten.
  • Dort soll an Behinderte aus dem Kreis Vechta erinnert werden, die in der NS-Zeit ermordet wurden.
  • Menschen mit Behinderung und Studenten arbeiten gemeinsam an dem Projekt mit.

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Für Gert Angermann, Heinrich Bellersen, Jürgen Gellert und Ronny Schwarz wird es nicht einfach irgendeine Gedenkstätte. Als Menschen mit Behinderung berührt sie diese an der Landwehrstraße in Vechta besonders. Denn dort soll an die Krankenmorde in der NS-Zeit erinnert werden.

Sie arbeiten in den Werkstätten des Andreaswerks in Vechta. Auf dessen Gelände ist die Gedenkstätte geplant, für Menschen aus dem Kreis Vechta, die den Krankenmorden zum Opfer fielen. Vor allem in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen bei Oldenburg brachten die Verantwortlichen Menschen mit Behinderung durch Misshandlung und bewusste Unterernährung ums Leben. 90 Opfer aus dem Kreis Vechta lassen sich nachweisen.

Behinderte an Gedenkstätte beteiligt

Das Andreaswerk plant die Gedenkstätte gegenüber dem Hauptgebäude in Vechta, auf dem Gelände rund um die Marienkapelle auf einem Bauernhof, den es für seine pädagogische Arbeit gekauft hat. Eine Steuerungsgruppe hat die Planung übernommen, zu der auch zwei Beschäftigte der Werkstätten gehören. Daneben hat Projektleiterin Maria Lampe-Bernholt, Sozialarbeiterin im Andreaswerk, einen eigenen Arbeitskreis für weitere Beschäftigte gegründet. Sie sollen dort das Projekt begleiten und auch Vorschläge zur Gestaltung der Gedenkstätte erarbeiten.

Acht Menschen mit Behinderung sind da beteiligt, sie sehen das Projekt sehr positiv. Jürgen Gellert etwa hat sich sofort gemeldet. Nach seinem Eindruck werde das Thema nämlich „heute oft einfach unter den Teppich gekehrt“. Deshalb sei die Gedenkstätte besonders wichtig.

Sorge vor rechtem Gedankengut

Gert Angermann spricht von Rechtsextremen, die sich unter die AfD mischten und der dort verbreiteten Einstellung, behinderte Menschen seien nicht arbeitsfähig und unbrauchbar. „Das gleiche Gedankengut wie damals“, sagt der 33-Jährige. Angermanns Sorge ist, dass diese Gedanken um sich greifen könnten. „Dann haben wir Behinderte nichts zu lachen.“ Heinrich Bellersen sieht die Gedenkstätte außerdem als „Ort der Ruhe und der Erinnerung“ für die Angehörigen von Ermordeten. „Um das Thema verarbeiten zu können.“

Aus dem Arbeitskreis seien schon eine Reihe Gestaltungsvorschläge gekommen, berichtet Maria Lampe-Bernholt. Etwa: barrierefreier Zugang, Anbringung von Namensschilder der Opfer, Hinweistafeln in leichter Sprache und die Präsentation kurzer Filme.

Studenten produzieren Kurzfilme

Die Filmidee hat Hannah Sandstede aufgegriffen, Historikerin an der Universität Vechta und Mitglied in der Steuerungsgruppe der Gedenkstätte. In einem Seminar „Gedenkstättenarbeit im digitalen Zeitalter“ ließ sie 25 Studentinnen und Studenten Kurzvideos produzieren. Die Aufgabe war, das Thema Krankenmorde für Menschen mit Behinderung zu vermitteln.

Geschehen ist das in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis im Andreaswerk. Vier Beschäftigte kamen dafür einen Nachmittag ins Seminar. Die Studentin Sandra Louis berichtet von ihrer Unsicherheit zuvor. „Wie tief kann man eintauchen in das Thema bei Menschen, die damals betroffen gewesen wären?“ Diese Hemmschwelle sei ihr aber schnell genommen worden, es seien sehr intensive Gespräche gelungen. Auch Lena Küst hatte zuvor die Sorge, das Gespräch „falsch zu führen“. Sie war anschließend überrascht über die Offenheit, mit der die Beschäftigten des Andreaswerks über das Thema sprachen.

Wie man Euthanasie vermittelt

Als Abschlussarbeit des Seminars sind zweiminütige Videos entstanden. Keine einfache Aufgabe, berichten Küst und Louis. Wie kann man das Thema in Bilder fassen? Wie soll man „Euthanasie“ übersetzen? Wie „vergasen“?

Die Studentinnen und Studenten sind nun nicht nur auf die akademische Bewertung durch Hannah Sandstede gespannt, sondern auch auf das Echo bei den Menschen mit Behinderung. Denn die Videos sind künftig im internen Kommunikationssystem des Andreaswerks zu sehen. Bevor sie später vielleicht in der Gedenkstätte gezeigt werden.

In ganz Deutschland wurden ab 1939 über 72.000 kranke und behinderte Menschen im Rahmen der Aktion „T4“ ermordet. Die wurde nach dem Protest des Bischofs von Münster, Clemens-August von Galen, 1941 gestoppt. Weitere 200.000 Menschen wurden Opfer der dezentralen Krankenmorde, mindestens 1.500 in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen bei Oldenburg. (fjs)

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