Warum die Durchsuchung im Vatikan nicht viel bedeutet

Woelki steht nach der Razzia stark unter Druck - der Papst jedoch nicht

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Die Razzia im Erzbistum Köln hat am Dienstag deutschlandweit Schlagzeilen gemacht. Am Tag danach wurden die neuesten Austrittszahlen aus der katholischen Kirche veröffentlicht. Erstmals waren es mehr als eine halbe Million. In Medienkommentaren ist seit der Veröffentlichung der jüngsten Kirchenaustrittszahlen bereits von einer Implosion der Kirche in Deutschland die Rede. Und wieder gerät die verfahrene Lage in Köln in den Blick.

Ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der seit drei Jahren schwelenden Krise um die Missbrauchs-Aufarbeitung im Erzbistum Köln und der seit ebenfalls drei Jahren immer stärker anschwellenden bundesweiten Austrittswelle gibt, ist nicht gesichert.

Doch die zeitliche Parallele ist offensichtlich: Seit der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nicht mehr aus den Schlagzeilen kommt, hat sich die damals schon hohe Zahl derer, die der katholischen Kirche den Rücken kehren, nochmals mehr als verdoppelt. Sollte die Beschleunigung anhalten, würde sich die zahlende Mitgliedschaft in den kommenden zehn Jahren glatt halbieren.

Woelki international wenig beachtet

International wurden beide Ereignisse dennoch nur wenig beachtet. Am Tag der Kölner Razzia trat in den USA ein katholischer Bischof in Knoxville (Tennessee) auf Drängen des Papstes zurück. Der Fall aus der Südstaaten-Provinz schaffte es bis in die „New York Times“. Doch anders als sein Amtsbruder Woelki hatte sich Richard Stika in Knoxville Dinge zuschulden kommen lassen, für die das Kirchenrecht die Absetzung aus dem Bischofsamt vorsieht.

So war er Vorwürfen sexueller Übergriffe nicht in angemessener Weise nachgegangen, und er hatte für die Beschuldigten und gegen die mutmaßlichen Opfer Partei ergriffen. Nach einer vom Papst angeordneten Untersuchung wurde der Fall rasch entschieden; der Bischof musste seinen Rücktritt einreichen, und der Papst nahm ihn sofort an.

Papst lässt sich im Woelki-Fall nicht drängen

„Warum nicht auch in Köln?“, ist eine Frage, die nicht nur Katholiken dort immer wieder stellen, wenn sie von Bischofsrücktritten in anderen Teilen der Welt lesen. Doch bislang ist der päpstliche Befreiungsschlag für Deutschlands größtes Bistum ausgeblieben.

Zwar hat Woelki schon Anfang 2022 dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Bislang reagierte Franziskus aber nur mit vagen Andeutungen auf das Gesuch. In einem Pressegespräch im Mai 2022 sagte der Papst lediglich, dass er Woelki nahegelegt habe, ein Rücktrittsgesuch einzureichen – was dieser dann auch tat. Doch entschieden habe er nichts, denn, so seine Begründung: „Unter Druck ist es nicht möglich, zu unterscheiden.“ Er habe aber Woelkis Gesuch „in der Hand“.

Druck auf Woelki wächst

Ein Jahr später ist der Druck – befeuert auch durch ein anhaltendes Medieninteresse – weiter angewachsen. Wenn die Kölner Ermittler nun belastende Gesprächsprotokolle, Briefe oder Telefonnotizen fänden, würde in einigen Monaten eine Anklage und am Ende vielleicht sogar eine strafrechtliche Verurteilung wegen Meineids den Druck weiter erhöhen.

Auf die kirchenrechtliche Beurteilung Woelkis hätte dies aber keinen Einfluss. Für das Kirchenrecht gäbe es auch dann keinen „Fall Woelki“ – weil er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, was nach dem Kirchenrecht zu ahnden wäre.

Kirchliches Verfahren überhaupt möglich?

Selbst die Kölner Staatsanwaltschaft hat in ihrer Mitteilung zur Durchsuchung im Hause Woelki mitgeteilt: „Zur Vermeidung entsprechender Missdeutungen wird im Übrigen explizit darauf hingewiesen, dass dem Beschuldigten in keiner Weise die aktive oder auch nur passive Vertuschung von oder gar Beteiligung an Missbrauchstaten zur Last gelegt wird.“

Weil im Vatikan nicht nur die Schlagzeile, sondern auch das Kleingedruckte gelesen wird, ist diese Einordnung wichtig. Nur wenn in den genannten Punkten (Vertuschung oder Beteiligung an Missbrauch) gegen den Kardinal ermittelt würde, wäre – nach Abschluss des weltlichen Verfahrens – ein kirchliches Ermittlungsverfahren zu erwarten.

Papst mit möglicher Exit-Strategie

Da dies aber nicht der Fall ist, bleibt dem Papst als Exit-Strategie nur die Möglichkeit, festzustellen, dass der Erzbischof von Köln, wie es das Kirchenrecht im Canon 401, Paragraf 2 formuliert, „wegen seiner angegriffenen Gesundheit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund nicht mehr recht in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen“. Dass dieser Zustand eintreten könnte, wenn bei einer Verurteilung wegen Meineids noch weitere Teile des Kölner Klerus und der Gläubigen ihm die Gefolgschaft verweigerten, ist naheliegend.

Doch dass der Papst, allein weil eine Staatsanwaltschaft versucht, in einem aussagerechtlichen Verfahren Beweismittel gegen einen Kardinal sicherzustellen, den Stab über ihn bricht, ist sehr unwahrscheinlich. Auch in anderen Fällen hat er bei laufenden weltlichen Gerichtsverfahren gegen Bischöfe oder Kardinäle geduldig abgewartet, bis ein endgültiges Urteil gesprochen war.

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