Franziskanerin über ihre Pilgerreise mit abweisenden Klöstern, viel Matsch und einem lauten Gloria

Zu Fuß von Kevelaer nach Rom - Wie war's, Schwester Maria Magdalena?

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Abenteuerlustig ist sie: Jahrelang hat sie in Kitas gearbeitet und trat mit 50 ins Kloster ein. Inzwischen ist sie im zweiten Jahr Novizin bei den Lüdinghauser Franziskanerinnen. Doch Schwester Maria Magdalena Kempen hat sich noch einen anderen Traum erfüllt: Sie ist von Kevelaer am Niederrhein bis nach Rom gepilgert. Von abweisenden Klöstern und viel Matsch, von Enttäuschung in Assisi und Tränen des Glücks auf dem Petersplatz erzählt sie im Interview mit "Kirche-und-Leben.de".

Schwester Maria Magdalena, Sie sind von Kevelaer bis Rom gepilgert – warum?

Ich habe mir einen Traum erfüllt. Als Jugendliche habe ich den Roman des niederrheinischen Autors Willi Fährmann „Unter der Asche die Glut“ gelesen. Da wird von einem jungen Mann erzählt, der in der Nazi-Zeit nach Rom pilgert. Das hat mich total fasziniert. Aber wie das so ist im Leben, kam mir immer wieder das Leben dazwischen: erst der Beruf, später das Studium … Die Sehnsucht ist aber geblieben. 2018 habe ich gemerkt: Jetzt muss es sein, nicht dass ich das auf die Rente schiebe! Da war ich Verbundleiterin mehrerer Kitas, habe meinen gesamten Jahresurlaub in der Ferienzeit genommen und bin losgelaufen - im ersten Jahr bis nach Garmisch-Partenkirchen.

Wie ging’s weiter?

Die zweite Etappe ging von 2019 weiter über den alten Brennerpass nach Dovadola, einem kleinen Ort hinter Bologna. Da beginnt einer von mehreren Pilgerwegen auf den Spuren des heiligen Franziskus, die sogenannten Franziskuswege. Dann kam ja Corona, und in der Zwischenzeit bin ich bei den Franziskanerinnen von Lüdinghausen eingetreten und habe mir gewünscht, gerade jetzt den Franziskusweg zu gehen. Dieses Jahr ging’s also weiter, genau gesagt westlich von Florenz.

Wie lang war ihre gesamte Pilgerstrecke?

Mit allem Verlaufen und gewollten Umwegen waren es rund 2.000 Kilometer. Die letzte Etappe war ich rund vier Wochen unterwegs, das war aber der kürzeste Weg mit 575 Kilometern – und zugleich die anstrengendste, weil es ständig rauf und runter ging durch die Toskana und Umbrien. Die beiden Etappen davor waren immer zwischen 730 und 770 Kilometern lang.

Wie hat’s mit den Übernachtungen geklappt?

Wenn ich ehrlich bin, war es gerade in Deutschland immer wieder enttäuschend, obwohl ich sogar ein Schreiben von Weihbischof Stefan Zekorn dabei hatte, das mich als echte Pilgerin auswies. Dennoch bin ich leider nicht in jedem Kloster untergekommen, bei dem ich geklingelt und um ein Bett gefragt habe.

Woran lag’s?

Ach, einfach weil die Schwestern oder Brüder oft zu alt waren, um mich zu versorgen. Das kann ich ja verstehen. Und mein Plan, in Pfarrhäusern unterzukommen, ging schon deshalb nur selten auf, weil die Pfarrhäuser wegen der vielen Pfarreienzusammenlegungen nicht mehr bewohnt oder die Pfarrbüros nur stundenweise besetzt waren.

Was haben Sie dann gemacht?

Großartig waren die Touristikbüros! Die habe ich als sehr freundlich und hilfsbereit kennengelernt. Einmal hat mich eine Mitarbeiterin sogar mit dem Auto zu einem Übernachtungsquartier bei Privatleuten gefahren. Manche haben mich auch kostenlos aufgenommen. Und in den Klöstern, in denen ich doch unterkommen konnte, musste ich nie etwas bezahlen. In Italien wurde es einfacher, weil es am Franziskus-Pilgerweg auch richtige Pilgerherbergen gab.

Auf der letzten Strecke lag dann ja auch Assisi, wo der heilige Franziskus gelebt hat und wo er begraben wurde. Vermutlich der Höhepunkt für eine Franziskanerin?

Leider absolut nicht. Sie müssen sich vorstellen, dass ich ja die ganze Zeit allein gepilgert bin. Als ich dann am Grab des heiligen Franziskus ankam, waren da wahnsinnig viele Menschen, das war so ein Gewusel und Gerede – nein, das war nicht schön. Ich bin Franziskus allein auf dem Weg mehr begegnet. Manchmal hatte ich auf den Straßen von Umbrien regelrecht das Gefühl, als ginge er neben mir. Das war sehr intensiv. Was in Assisi trotzdem wunderbar war: Die Pilger wurden sehr herzlich begrüßt und umsorgt.

Und dann kamen Sie in Rom an, Ihrem Ziel. Wie war das?

Das letzte Stück war nochmal sehr heftig, weil es einfach nicht schön war – durch die Vorstädte und den Tiber entlang, der echt schmutzig ist. Als ich dann in Rom über die Milvische Brücke ging, kam ein dermaßen heftiges Gewitter runter, dass ich klitschnatsch wurde. Und dann waren es locker nochmal sechs Kilometer bis zum Petersdom! Aber als ich dann da war und meine Pilgerurkunde in der Hand hatte, habe ich mich unter die Kollonaden auf dem Petersplatz gesetzt und erstmal eine Runde geweint. Ich hatte es wirklich geschafft – von Kevelaer bis Rom!

Wie schwer war ihr Rucksack – und was war drin?

Der wog ungefähr acht Kilo. Und drin war das Nötigste: zwei Poloshirts, zwei Hosen, etwas Wäsche, Sandalen zum Wechseln, Wanderstöcke, Schlafsack, Seife, Duschgel, ein kleines Tagebuch …

… die Bibel?

Nö, die hatte ich auf meinem Handy. Das Stundengebet auch. Und den Pilgerführer sowieso.

Sie waren tagsüber immer allein unterwegs, sagen Sie. Gab es gefährliche Situationen?

Allerdings, und zwar jetzt bei der letzten Etappe. Das war ja während der massiven Überschwemmungen in Italien. Die Wege waren völlig verschlammt, ich bin mehrere Male hingefallen und sah echt aus wie ein Erdferkel. Immer wieder waren riesige Bäume umgefallen und versperrten die Wege, oder Gewässer traten massiv über die Ufer: Ein Bach zum Beispiel, von dem es im Pilgerführer hieß, dass man da problemlos drüberspringen kann, war zu einem richtigen Fluss angeschwollen. Ein amerikanisches Ehepaar, das als Pilger vor mir gelaufen war, hat an dem Fluss auf mich gewartet, damit wir zusammen dadurchkamen.

War das zugleich die schwerste Erfahrung?

Definitiv! Das schlechte Wetter war echt eine Grenzerfahrung. Ich bin mitten im Wald zum Beispiel in ein Mega-Gewitter geraten, das nächste Dorf war weit weg. Da habe ich ziemlich Angst bekommen. Das alles hat mir derart zugesetzt, dass ich am vierten Tag dachte: Das schaff ich nicht. Ich habe dann mit einer Mitschwester telefoniert – und bin am nächsten Tag einfach weitergelaufen. Das war eine wichtige Erfahrung.

Was war die schönste?

Davon gab es viele kleine. Ein echtes Highlight war, als ich in La Verna ankam, wo Franziskus die Wundmale empfangen haben soll. Das war eine sehr lange Strecke, es war sehr heiß, es ging ordentlich berghoch, und ich war am Ende meiner Kraft. Als ich dann ankam – an einem Sonntag – , begann gerade eine Heilige Messe. Sie glauben gar nicht, wie laut und begeistert und mit Tränen in den Augen ich das Gloria mitgesungen habe!

Wie hat Sie diese Erfahrung verändert?

Ich bin sicherlich kein anderer Mensch geworden. Aber ich glaube, dass ich mich sehr intensiv erlebt habe. Man erlebt seine Ängste sehr intensiv – und genauso die Erfahrungen, diese Tiefen durchschritten zu haben. Mir macht das Mut, wenn wieder schwere Dinge kommen. Abgesehen davon bin ich ein Mensch, der sehr strukturiert ist. Jetzt habe ich erlebt, dass ich spontaner und flexibler geworden bin, weil meine so toll ausgetüftelten Pläne beim Pilgern immer wieder von der Realität durchkreuzt worden sind.

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