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Die Bilder, die eine künstliche Intelligenz zu Szenen der Passionsgeschichte generiert hat, sind gewöhnungsbedürftig. Am Schulzentrum St. Michael in Ahlen sind einige Schüler begeistert, andere irritiert.
Hätte der junge Mann im Mittelpunkt keinen Vollbart und keine langen Haare, würde niemand das Bild von ihm auch nur in der Nähe einer Passionsdarstellung vermuten: Im feinen Anzug, von Menschen umringt, die Mikrofone auf ihn gerichtet. Bedrängt von der Menge, steht ihm die Überforderung und Angst ins Gesicht geschrieben. Ein Politiker beim Pressetermin? Ein Wirtschaftsboss beim Statement? Oder ein Schauspieler auf dem roten Teppich? Mitnichten. Der Mann stellt Jesus dar – bei seiner Verurteilung zum Tode. Nur der Bart und die Haare verweisen auf klassische Darstellungen eines Kreuzwegs.
Die acht Stationen, die derzeit in der Kapelle des Schulzentrums St. Michael in Ahlen gezeigt werden, stammen nicht aus den Händen eines berühmten Künstlers. Sie wurden von künstlicher Intelligenz (KI) geschaffen. Von der City-Pastoral Paderborn in Zusammenarbeit mit dem dort ansässigen Fraunhofer-Institut initiiert, entstanden dabei Bilder, die das biblische Geschehen in aktuelle Kulissen und heutige Lebenssituationen übersetzen.
Wenige Schlagworte, viel künstliche Kreativität
„Es waren wenige Worte, mit denen wir verschiedene KI-Programme gefüttert haben“, sagt Alexandra Boxberger von der Paderborner City-Pastoral. „Für die Umsetzung haben wir der Technik viel Raum für Kreativität gelassen.“ Mit den Begriffen „Jesus“ und „Hinrichtung“ schufen die Programme eine Vielzahl von Bildern. Und eben auch jene Darstellung, in der er auf einem elektrischen Stuhl sitzt. „Jesus“ und „Popstar“ führte zu einem in die Menge jubelnden Jesus vor einer Privatmaschine. Aus „Jesus“, „Weiterbildung“ und „Computer“ generierte ein Programm eine Darstellung vor einem Laptop, an dem eine brennende Wachskerze klemmt.
„Ich bin überfragt, wie genau die KI auf diese Ideen kommt“, sagt Boxberger. „Wie sie die Details findet und zu einer großen Darstellung zusammenfügt.“ Ein riesiger Stapel an Bildern war das Ergebnis, aus dem letztlich die acht Stationen ausgewählt wurden. Ein Merkmal hatten die Bilder aber alle gemeinsam: „Jesus hatte immer einen langen Bart und lange Haare.“ Verwechslungsgefahr ausgeschlossen.
„Unzumutbar“ oder „fantastisch“?
Die Bandbreite der Reaktionen auf solche Exponate ist groß. Sie reichen von „unzumutbar“ bis zu „fantastisch“. Das haben auch die Schulseelsorger am Ahlener Schulzentrum erlebt, seitdem sie die Bilder mit den Schülern thematisieren. „Es ist doch genau das, was zu einer großen Gemeinschaft wie uns passt“, sagt Berufskolleg-Religionslehrer Johannes Gröger. „Nicht der eine Gedanke, das eine Gefühl oder die eine Interpretation zählt.“ Es geht dem Religionslehrer um ein Angebot, das eine Auseinandersetzung anstoßen soll. Mit den begleitenden Texten und Meditationen sollen eigene Vorstellungen gefunden werden. Ohne ein Ergebnis vorzugeben.
Gerade in dem Schulzentrum mit Berufskolleg und Gymnasium sind die Hintergründe vielseitig, mit denen die Schüler in die Ausstellung kommen: Muslime, Jugendliche ohne religiösen Hintergrund, Christen mit und ohne religiöse Vorbildung, orthodoxe und konservative Glaubensrichtungen... „Dieser Kreuzweg ist nicht befremdlich für mich“, sagt etwa Laura Scharnewski. „Die Aussagen der biblischen Geschichte werden durch die Bilder verständlicher, sie wecken meine Fantasie.“ Batrat Basaram hingegen findet die Darstellungen eher respektlos. „Das ist nicht meine Vorstellung von Gott, er ist doch kein Popstar.“
Jesus mit Burnout
Und doch ein Influencer, sagt Stefan Bagert. „In welcher Form auch immer.“ Wenn Jesus in Szenen agiert, die nah an den Lebenswelten und Mediengewohnheiten der jungen Menschen sind, dann kann das in seinen Augen ein entscheidendes Interesse bei ihnen wecken. „Sie können sich mit seiner Situation identifizieren, können nachvollziehen, sich verstanden fühlen.“ Eben wie ein bekannter Akteur in den sozialen Netzwerken.
Das Bild, das die KI aus den Worten „Jesus“ und „Burnout“ generiert hat, zeigt einen völlig ermatteten Gottessohn auf einem Sofa. Station: Jesus fällt das erste Mal unter dem Kreuz. Derzeit laufen im Gymnasium die Abitur-Klausuren. „Ich kann mir vorstellen, dass sich so mancher Schüler nach sechs Stunden Konzentration zuhause ähnlich erschöpft aufs Bett fallen lässt.“