Ulrich Oskamp über steigende Lebensmittelpreise und Herausforderungen der Landwirtschaft

Agrar-Experte: „Der Kampf ums Getreide scheint zu eskalieren“

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Der Krieg in der Ukraine hat Folgen: Knapp 30 Prozent der weltweiten Weizen-Exporte stammen aus Russland und der Ukraine. Der russische Angriff bedroht die Ernährungssicherheit in vielen Ländern. Steigende Lebensmittelpreise – auch hierzulande – sind die Folge. Um dem entgegenzuwirken, hat die EU-Kommission Maßnahmen und Pläne für eine gesteigerte Lebensmittelproduktion vorgestellt. Worauf sich die Verbraucherinnen und Verbraucher einstellen müssen und was das für die heimischen Landwirte bedeutet, erklärt Ulrich Oskamp von der Katholischen Landvolk-Bewegung im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“.

Herr Oskamp, die Preise für Brötchen und Brot steigen, Speiseöle entdeckt man kaum noch in den Regalen der Supermärkte. Für Fleischprodukte müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher immer tiefer in die Tasche greifen. Was verbirgt sich hinter der Kostenexplosion bei den Lebensmitteln?

Die Ursachen für steigende Preise und leere Regale sind vielfältig. Wir leben in einem globalen Markt, in dem Nahrungsgüter in einem hohen Maß gehandelt werden. Beliebt bei den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern ist besonders Sonnenblumenöl, und das beziehen wir zum großen Teil aus der Ukraine. Wenn sich herumspricht, dass ein Produkt knapp werden könnte, neigen wir gern zu Hamsterkäufen. Das Gleiche gilt zum Beispiel für Mehl. Unterm Strich ist die EU, insbesondere bei Getreide, nicht nur Selbstversorger, sondern ein bedeutender Exporteur in Drittländer. Auch bei Ölsaaten wird es keine Knappheit geben. Insbesondere Rapsöl ist eine gute Alternative.

Die Ukraine fällt als sogenannte „Kornkammer der Welt“ praktisch aus. Was bedeutet das für die Ernährungssicherheit?

Ulrich Oskamp ist Diözesanreferent der Katholischen Landvolk-Bewegung (KLB) im Bistum Münster. | Foto: Johannes Bernard
Ulrich Oskamp ist Diözesanreferent der Katholischen Landvolk-Bewegung (KLB) im Bistum Münster. | Foto: Johannes Bernard

Sorgen machen müssen wir uns um die weltweite Versorgungslage mit Getreide. Mit der Ukraine fällt eines der größten Exportländer der Welt kurz- und mittelfristig aus. Hinzu kommt, dass wegen der Hitzewelle in Indien ein weiterer Netto-Exporteur ausfällt. Ausbleibende Regenfälle in Westeuropa lassen auch keine Rekordernte erwarten. Argentinien versucht die galoppierende Inflation im Land mit Exportstopps abzumildern. Das sind nur einige Beispiele dafür, warum die Börsenpreise gerade verrücktspielen. Preissteigerungen von mehr als 50 Prozent auch für die Ernte des nächsten Jahres kann man heute schon sicher vorhersagen. Die Staaten in Nordafrika zum Beispiel sind auf bezahlbare Nahrungsmittel-Importe angewiesen. Hier müssen wir uns große Sorgen machen. Hungerkrisen sind dort vorprogrammiert, wenn die internationale Staatengemeinschaft keine Lösungen findet. Der Kampf ums Getreide scheint zu eskalieren.

Es scheint so zu sein, als ob jeder Hektar Land beackert werden muss, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Welche Flächen könnten oder müssten jetzt zusätzlich genutzt werden?

Langfristig wird eine vierprozentige Stilllegung von Ackerflächen, die die Biodiversität fördern soll, in der EU keine großen Auswirkungen auf die Versorgungslage haben. Kurzfristig ist sie jedoch ein Treiber der Börsenpreise bei Getreide. Hier sollte man sorgfältig abwägen.

Was bedeutet die Kostenexplosion für die Landwirte?

Die aktuelle Knappheit durch die „Spekulation mit der Angst“ ist nur ein Grund für die Kostenexplosionen bei Lebensmitteln. Schon im letzten Jahr sind die Preise für Düngemittel und Nahrungsmittelzusatzstoffe stark gestiegen. Hauptgrund sind die steigenden Energiepreise. Insbesondere die Herstellung von Stickstoffdüngern ist sehr energieaufwendig. Viele Hersteller haben daher die Produktion stark gedrosselt, sodass die Preise sich zeitweise verdoppelt haben. Aber auch hier finden wir eine Abhängigkeit von der Ukraine beziehungsweise Russland, die als bedeutende Exporteure von Düngemitteln ausfallen.

Zusätzlich zu den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs steht uns ein heißer Sommer bevor. Das Regenwasser fehlt. Wie reagieren Landwirte darauf?

Die größte Herausforderung beim Klimawandel wird die Wasserhaltkraft unserer Böden sein, um längere Dürreperioden zu überstehen. Weitere Fruchtfolgen und angepasste Bodenbearbeitung (weniger pflügen) stehen nicht nur in den EU-Förderrichtlinien, sondern sind in den meisten Anbauplänen unserer Bauernfamilien schon enthalten. Eine Gefahr droht bei der Qualitätssicherung der Ernte. Neue Pflanzenkrankheiten und weniger Auswahl bei Pflanzenschutzmittel sind eine große Herausforderung.

Die Verknappung von Nahrungsmitteln könnte den Erzeugern zugutekommen. „Die Lebensmittel sind viel zu günstig“, heißt es immer wieder von denjenigen, die eine Bio-Landwirtschaft favorisieren. Wie günstig dürfen Nahrungsmittel sein, wie teuer müssten sie sein?

Das Niveau der Lebensmittelpreise wird sich dauerhaft erhöhen müssen, um all die Ziele und Erwartungen an die Landwirtschaft erfüllen zu können. Nahrung, Energie, Rohstoffe, Biodiversität, Kulturlandschaft müssen sich in den Preisen widerspiegeln. Darauf müssen sich die Verbraucherinnen und Verbraucher einstellen. Es ist zu hoffen, dass diese nicht durch die Inflation direkt wieder vernichtet werden. Ich weiß, dass sehr viele Verbraucher sich das gestiegene Preisniveau schon heute nicht mehr leisten können. In den letzten Jahren waren wir auf einem guten Weg. Bio und regionale Lebensmittel wurden vermehrt nachgefragt. Diesen guten Weg dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Der Mehrwert regenerativer Landwirtschaft und auch der Biolandwirtschaft muss gesichert werden.

Das Ansehen der Landwirte scheint in dieser Zeit der Krise wieder zu wachsen, nachdem diese in den letzten Jahren viel Kritik einstecken mussten – Stichwort Massentierproduktion, Bienensterben, Einsatz von Pestiziden. Was sind Ihre Beobachtungen?

Mein Eindruck ist, dass die Tierhalter dies erkannt haben und ihre Ställe gern zu Tierwohlställen umbauen wollen, was dann auch zwangsläufig eine Reduzierung der Tierzahlen zur Folge haben wird. Die Verunsicherung ist allerdings sehr groß, und der Glaube an staatliche Unterstützung auf dem Weg dorthin sinkt. Insbesondere Sauenhalter sehen hier kein Licht am Horizont. Strukturbrüche sind vorprogrammiert. Wichtig ist, dass alle Beteiligten im Dialog bleiben und es der Politik gelingt, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen. Das gestiegene Bewusstsein für die Bedeutung der Landwirtschaft ist ein guter Nährboden dafür.

Wie wird die Landwirtschaft in unserer Region in fünf und in zehn Jahren aussehen?

Ich befürchte, dass viele Bauernfamilien, denen wir eine Zukunft bieten möchten, auf der Strecke bleiben. Über gestiegene Boden und Pachtpreise haben wir noch gar nicht gesprochen. Bei einem bin ich mir jedoch sicher: Die Tierhaltung im Münsterland wird deutlich zurückgehen. Das wird Auswirkungen auf den vor- und nachgelagerten Bereich haben. Aktuell ist jeder achte Arbeitsplatz im Münsterland in diesen Sektoren zu finden.

Tagung zur Lage der Landwirtschaft im Franz-Hitze-Haus
Der russische Überfall auf die Ukraine und dessen Auswirkungen auf die weltweite Versorgung mit wichtigen Agrarrohstoffen hat auch die Diskussion um den „European Green Deal“ wieder neu angefacht. Wie können wir in Deutschland und Europa ausreichende Mengen Lebensmittel produzieren und gleichzeitig effektiv Klima und Umwelt schützen? Welche Veränderungen in der Produktion, aber auch bei den Verbraucherinnen und Verbraucher sowie im Groß- und Einzelhandel sind dafür notwendig? Diese Fragen werden im Rahmen einer zweitägigen Tagung am 10. und 11. Juni 2022 in der Katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster diskutiert. Information und Anmeldung unter www.franz-hitze-haus.de.

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