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Auch Fremde sind unsere Nächsten, sagt die Katholikin Monika Grütters (CDU), amtierende Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt. In der Obdachlosen- oder Flüchtlingshilfe habe die Kirche das bereits erkannt, an anderen Stellen wünscht Grütters sich noch größere Offenheit und Barmherzigkeit.
Wann haben Sie sich zuletzt fremd gefühlt? Wann hatten Sie in jüngster Zeit den Eindruck, allein dazustehen mit Ihrer Meinung oder Ihrer Lebensweise? Man muss nicht fernab der Heimat leben, um dieses Gefühl zu kennen. Mit anders denkenden, anders sozialisierten Menschen konfrontiert zu sein, gehört zum Alltag in unserer pluralistischen Gesellschaft.
Und doch werden Andersdenkende und Anderslebende von der Mehrheit häufig nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Oft gibt man ihnen zu verstehen, dass ihr Anderssein rechtfertigungsbedürftig, vielleicht gar unerwünscht ist. Die Vielfalt der Kulturen, Weltanschauungen und Lebensentwürfe ist eine Herausforderung – manche empfinden sie sogar als eine Bedrohung.
Barmherzigkeit als Auftrag
Die Fähigkeit, auch im Fremden den Nächsten zu sehen, nennen wir Christen Barmherzigkeit und denken dabei an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. „Geh hin und handle genauso“, heißt es darin. In diesem Sinne leisten Gläubige in den Kirchengemeinden großartige Arbeit, etwa in der Obdachlosen- oder in der Flüchtlingshilfe.
Auch mit ihrer Kulturarbeit bringen sie Menschen einander näher. Kunst kann Verbindendes sichtbar machen, wo das Trennende die Wahrnehmung beherrscht – sie kann Perspektiven verschieben und Vorstellungsräume erweitern und damit auch die Grenzen der Empathie. Als die „irdische Schwester der Religion“ hat der böhmische Dichter Adalbert Stifter die Kunst deshalb einmal bezeichnet.
Auch außerhalb des katholischen Ideals die Nächsten erkennen
Die Fähigkeit, auch im Fremden den Nächsten zu sehen, wünsche ich mir von meiner Kirche für die Zukunft noch mehr als bisher auch im Umgang mit Menschen, deren Lebensweg nicht der katholischen Idealvorstellung entspricht, beispielsweise mit Homosexuellen. Hier würde mehr seelsorgerische Fürsorge gut tun, die viele Priester und Ordensleute zum Glück längst praktizieren, die aber nicht überall den Habitus der Amtskirche prägt.
Es ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften, das Gemeinsame über das Trennende stellen zu können, das Menschliche über Unterscheidungen wie gläubig und nicht gläubig oder homosexuell und heterosexuell. Eine Kirche, die diese Fähigkeit kultiviert, die sich in der Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit bewährt und dabei die Nöte der Menschen ernst nimmt, stiftet nicht nur Zusammenhalt in Vielfalt. Sie wird über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus auch wieder mehr Gehör finden in gesellschaftlichen Debatten.
Die Positionen der Gast-Kommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von "Kirche-und-Leben.de" wider.