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Iris Horstmann ist seit anderthalb Jahren erste Referentin für Diversität im münsterschen Generalvikariat. Was ist Diversität überhaupt? Und wie versteht Iris Horstmann ihre Aufgabe? Auf diese und weitere Fragen, die damit zusammenhängen, antwortet sie im Interview.
Frau Horstmann, Sie sind seit anderthalb Jahren erste Referentin für Diversität im Generalvikariat. Was ist Diversität überhaupt?
Wörtlich übersetzt heißt „Diversität“ nichts anderes als Vielfalt. In der Befassung mit dem Thema geht es um die Pluralität von Menschen und Strukturen. Vor allem geht es um die Frage: Welchen Gewinn hat eine Gesellschaft, haben Gruppen und Organisationen, hat auch die Kirche, durch Diversität? Es geht aber auch um plurale Leitungsmodelle etwa von Pfarreien, kirchlichen Einrichtungen oder divers aufgestellten Teams. Diversität hat oft mit Konkurrenz und mit Ausgrenzung zu tun. Diese Seite der Medaille wird häufig betont, wichtiger erscheint mir aber die andere Seite: Diversität ist Bereicherung.
Warum braucht das Bistum Münster eine solche Referentin? Was sind Ihre Aufgaben?
Das beste Beispiel für einen Mangel an Diversität in der katholischen Kirche ist sicher die Frauenfrage. Viele Wissenschaftler*innen, Initiativen und Basisgruppen kämpfen seit Jahrzehnten in einer von Klerikern dominierten Struktur um Gleichstellung und Beteiligung. Diese Auseinandersetzung hat im Kern mit Diskriminierung und Abwertung zu tun. Andere Gruppen waren in den letzten Jahren weniger im Fokus, haben aber mit ähnlichem Phänomen zu kämpfen. Dazu gehören auch die LSBTI*Q-Menschen. Hier geht es vor allem um Sichtbarkeit und Anerkennung.
Ausgehend von der MHG-Studie und deren Anforderung, das Thema Klerikalismus und Homosexualität in kirchlichen Zusammenhängen mehr zu thematisieren beziehungsweise zu bearbeiten, hat Bischof Felix Genn mich gebeten, mich mit 30 Prozent meines Stellenumfanges um die LSBTI*Q-Fragen zu kümmern. Er selbst hat ja mehrfach von einer Verletzungs- und Schuldgeschichte gesprochen, die die katholische Kirche hier auf Ihre Schultern geladen hat … Da gibt es einiges aufzuarbeiten.
Als Sie im März 2021 Ihre Stelle antraten, hatte kurz zuvor der Vatikan die Segnung homosexueller Paare verboten. Im Mai gab es unter dem Label „liebegewinnt“ bewusst solche Segnungsfeiern. Anfang dieses Jahres folgte „OutInChurch“. Und das Bistum stellt eine Diversitätsbeauftragte ein, dazu eine Referentin für Sexuelle Bildung und einen LSBTIQ*-Beauftragten. Manche nennen solche Aktionen „Pinkwashing“ – also ein Reinwaschen angesichts der erwähnten Verletzungs- und Schuldgeschichte gegenüber queeren Menschen. Was ist da dran?
Die zeitlichen Zusammenfälle waren Zufall. Es geht aber nicht um „Pinkwashing“, dafür ist das Thema viel zu relevant. Klar, es gibt einen klaren Reformstau, etwa was die kirchliche Sexuallehre zur Homosexualität angeht. Darauf hat Bischof Felix ja auch beim Synodalen Weg hingewiesen und entsprechend abgestimmt. Dass vieles noch nicht geht, heißt nicht, dass wir uns hier als Bistum nicht bewegen müssen. Es gilt, einen Spagat auszuhalten, Brücken zwischen den Extremen zu bauen und Wege zu ermöglichen.
Wie nehmen Sie die Skepsis queerer Menschen wahr, dass auf einmal überall Regenbogenfahnen an den Kirchen hingen, während aber nach wie vor längst nicht alles geklärt ist – was die Lehre der Kirche angeht, weiterhin auch ihr Arbeitsrecht und eine Selbstreflexion mit Blick auf ihre Verletzungs- und Schuldgeschichte?
Ich bin auch angetreten, um dicke Bretter zu bohren. Ein Schritt wird eine große Tagung sein, die wir mit Kolleg*innen aus 19 anderen Bistümern im nächsten Jahr zum hoffentlich dann neuen Arbeitsrecht/Grundordnung hier in Münster veranstalten. Natürlich wünschte ich mir manche Reform schneller, und ja, natürlich gehört dazu einiges an Geduld (die viele nicht mehr haben). Doch mein Job ist es, immer wieder Räume der (Selbst-)Reflexion, der Diskussion und des Ringens zu öffnen. Auf diesem Weg wird sich etwas verändern, so hoffe ich es zumindest.
Inwiefern können Sie die Erfahrungen, die Sie mit queeren Personen sammeln, auch an die Verantwortlichen in der Kirche weitervermitteln?
Ich bin mit allen Ausbildungsverantwortlichen in unserem Bistum im Kontakt, hier spielt auch der Prozess zur Arbeitsrechtsreform eine große Rolle. Es gibt ein neues Format im Fortbildungsprogramm für die Pastoralen Mitarbeiter*innen zum Themenfeld LSBTI*Q, wir planen eine Ideenwerkstatt für eine LSBTI*Q-Pastoral, alle diese Schritte sind mit den Verantwortlichen, teilweise mit dem Generalvikar, abgesprochen. Hier fließen ständig die Erfahrungen ein, die ich mit queeren Menschen mache.
Vor kurzem haben Sie an einer Veranstaltung der Münsteraner Queergemeinde über Transsexualität teilgenommen – ein Thema, das die kirchliche Lehre noch gar nicht entdeckt hat, von einigen ablehnenden Äußerungen mancher Verantwortlichen gegen eine Gender-Ideologie mal abgesehen. Was sagen Sie dazu?
Unsere Kirche ist zum Thema Transsexualität oft sprachlos. Hier gibt es in der Tat eine Leerstelle, lehramtlich theologisch ist hier wenig reflektiert. Gleichzeitig stehen wir nicht mit leeren Händen da: Was es gibt und was es immer geben wird, ist die Liebe Gottes zu den Menschen. Wir können auf keinen Fall Gewalt, Diskriminierung und Hass zulassen. Im Gegenteil, wir haben den Auftrag, den Beistand Gottes in dieser Welt spürbar und das heißt gegenwärtig zu machen. Diese Fahne auch in diesem Kontext hochzuhalten, ist wichtig.
Auch die Kirche muss freie Stellen für männliche, weibliche und diverse Menschen ausschreiben. Zugleich hält sie an ihrer Lehre fest, es gebe nur Mann und Frau. Was bedeutet das für ihren Umgang mit non-binären Personen?
Mit diesem neuen Thema ringen auch andere gesellschaftliche Gruppen. Bei uns entsteht vor allem dann ein Problem, wenn wir sagen: Bei uns ist jeder Mensch willkommen, wir sind alle durch die Taufe aufgenommen in die Gemeinschaft der Christ*innen – und gleichzeitig dafür sorgen, dass Homosexualität nicht offen gelebt werden kann. Mehr noch, dass unter bestimmten Umständen LSBTI*Q-Menschen in Anstellungsverhältnissen gekündigt wird. Mit solchen Widersprüchen ist schwer umzugehen, und das hinterlässt viele Verletzungen.
Wie reagieren Sie auf die Kritik, die Kirche dürfe nicht solchen „zeitgeistigen neumodernen“ Entwicklungen hinterherrennen?
Natürlich gibt es auch berechtigte Anfragen an die Moderne und den sogenannten Zeitgeist. Es hat aber nichts mit Zeitgeist zu tun, wenn ich sage, dass Gott alle Menschen liebt und nach seinem Vorbild geschaffen hat, völlig unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität. Auch von daher muss sich die katholische Sexualmoral weiterentwickeln. Kirche hat im Laufe der Geschichte nur überlebt, indem das Evangelium anschlussfähig geblieben ist, das heißt in die jeweilige Zeit übersetzt wurde, ohne dabei seine Identität zu verlieren. Mir geht es nicht darum, die Volkskirche zu retten. Es geht darum, die Menschen von der Frohen Botschaft Jesu Christi zu begeistern. Diese Botschaft ist nicht einengend, sondern befreiend. Auf diesem Weg wird das Evangelium überleben und einen unentbehrlichen Beitrag für unzählige gelingende Biografien leisten, ganz sicher.
Die Familie gilt als Kirche im Kleinen, als Kern des Glaubens – und sie besteht in katholischer Perspektive aus Vater und Mutter in erster, kirchlich geschlossener Ehe und deren Kindern. Wie passt das zur neuen Zuwendung auch zu diversen Lebensformen?
Schwierig wird es, wenn andere Lebensformen apodiktisch abgelehnt werden, weil sie angeblich die wahre Botschaft verfehlen. Kinder brauchen Geborgenheit, verlässliche Bezugspersonen, sichere materielle Rahmenbedingungen und im katholischen Idealfall Vorbilder im Glauben. Menschen in einer Partnerschaft brauchen ein Beziehungefüge, das sie durch die Stürme der Zeit trägt. Neue Familienformen sind schon jetzt Teil der Realität, gleichgeschlechtliche Paare kommen in die Gottesdienste und engagieren sich als Freiwillige. Wir erleben neue Familienformen in Kindergärten und Schulen, genauso wie in der Vorbereitung zur Erstkommunion.
Verschließen wir uns nicht vor dieser Realität, gehen wir vielmehr davon aus, dass uns auch hier ein Gott entgegenkommt, der uns vielleicht unbekannt ist und uns dennoch ruft, neue Wege zu gehen!
Glauben Sie, dass es Ihre Stelle mit den beschriebenen Aufgaben in zehn Jahren noch geben muss oder wird?
Ich hoffe, dass in diesen zehn Jahren sexuelle Vielfalt als naturwissenschaftliche Tatsache eine breitere Anerkennung erfährt. Mit Abwertung und Marginalisierung werden wir uns gerade als Christen sicher noch sehr lange auseinandersetzen müssen. Manche Menschen haben die Neigung, andere kleinzumachen und herablassend mit einem Etikett zu versehen, wenn sie nicht ihrer eigenen Vorstellung oder Lebensweise entsprechen.
Vielleicht ist es unsere Aufgabe als Kirche dafür zu sorgen, dass dies weder mit anderen noch mit uns selbst geschieht. Um der Menschen willen, um Gottes willen sollten wir mit ganzer Kraft an einer Welt arbeiten, die sich durch Respekt auszeichnet und die Gaben der Vielfalt fördert.