Jüdisches Museum Westfalen zeigt Sonderausstellung

Queer und gläubig! So wollen LGBTIQ*-Menschen ihre Religiosität ausleben

  • Bis zum 13. November 2022 präsentiert das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten eine Fotoausstellung über religiöse LGBTIQ+-Menschen.
  • Die Porträtierten zeigen mit ihren Glaubensansichten Gesicht für eine Gesellschaft, in der Platz für alle ist.
  • Sie geben Zeugnis über ihr jüdisches, christliches und islamisches Leben.

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„Erst durch die Theologie und die Auslegung der Bibel habe ich begriffen, dass mein Geschlecht keine Rolle spielt. Mann, Frau, divers, trans, cis sind nur Labels, die andere uns aufdrücken. Für Gott zählt aber nur eins: Ob ich ihm mein Herz gegeben habe.“ Diese Worte kommen von Julia Monro, einer Trans-Frau.

Sie ist mit einem überlebensgroßen Porträt in der Foto-Ausstellung „This is me – queer und religiös?“ im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten zu sehen. Insgesamt 15 Lebensbilder zeigt die Fotokünstlerin Ceren Saner. Vorgestellt werden LGBTIQ+-Menschen verschiedener Glaubensrichtungen. Die Mitmachenden gewähren Einblick in ihre Biografie, in ihre religiöse Gedankenwelt und in ihr familiäres Umfeld.

Schmerzhaftes Outing

Julia Monro stammt aus einer evangelikalen russland-deutschen Familie. Sie hatte sofort zugestimmt, als für das Foto-Projekt queere Menschen gesucht wurden, die einen religiösen Bezug haben.

„Mein schmerzhaftes Outing lag noch nicht lange zurück, und nachdem ich mich wieder aufgerappelt hatte, war ich voller Tatendrang und wollte die Welt zu einem besseren Ort machen. Bisher wurde im religiösen Kontext oft nur über Homosexualität gesprochen. In diesem Projekt sah ich dann die Gelegenheit, zur Sichtbarkeit von gläubigen trans*-Personen beizutragen“, sagt Julia Monro im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“.

Geschlechtliche Identität und Religion

Muslim Marco
Der Muslim Marco, ein Trans-Mann und angehender Imam, zeigt sich mit der Aussage: „Überall dort, wo ich wertgeschätzte Sichtbarkeit erzeugen kann, möchte ich eben diese Sichtbarkeit für meine Gemeinde und die queer-muslimische Gemeinde schaffen.“ | Foto: Johannes Bernard

Dass die Religion eine Rolle bei der Bewertung der „geschlechtlichen Identität“ spielt, davon ist die Aktivistin, die sich in der Kampagne „Out in Church“ engagiert, überzeugt: „Wenn Menschen ihre tatsächliche Identität gefunden haben und sich outen, um sich von gesellschaftlichen Zwängen freizumachen, dann erleben sie etwas, das man im religiösen Sinn als ‚Wiedergeburt‘ bezeichnen kann“, sagt Julia Monro.

Dieses „Zu sich stehen“ und das damit verbundene Freiheitsgefühl komme bei Trans-Personen auf eine sehr krasse Art zum Ausdruck: „Wenn der Leidensdruck bei Trans-Personen zu groß ist, dann haben sie gar keine andere Wahl, als sich zu offenbaren, wenn sie ihre tatsächliche Identität auch frei leben möchten, denn diese radikale äußere Veränderung ist für jeden Menschen im Umfeld unübersehbar. Wenn Religion es wertschätzen würde, was diese Menschen auf sich nehmen, um endlich ‚frei‘ zu sein, dann kann das dem Gedanken der Wiedergeburt eine ganz neue Richtung verleihen“, meint Julia Monro.

Bistümer bremsen engagierte Menschen oft aus

Bei der Initiative „Out in Church“ habe sie gern mitgemacht, um den wichtigen Diskurs in den Raum der Kirchen zu tragen: „In Gesprächen mit den Bistümern erlebe ich es leider immer wieder, dass man an der Basis sehr gewillt ist, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. Aber wenn sich dort engagierte Menschen um Inklusion von queeren Minderheiten bemühen, dann kriegen sie häufig von der Führungsetage ein Stoppschild vor die Nase gesetzt, und die Projekte verlaufen dann oft im Sand“, so ihre Erfahrung.

Es gebe nur einige wenige, „die sich durchsetzen konnten und die auch gute Arbeit leisten“. Diese seien aber leider oft mehr geduldet als tatsächlich erwünscht.

Ein angehender Imam outet sich

Informationen zur Ausstellung sind auf der Webseite des Jüdischen Museums Westfalen abrufbar: jmw-dorsten.de

Es braucht Mut, sich zu outen. Diese Kraft hat beispielsweise der Muslim Marco, ein Trans-Mann und angehender Imam. Er sagt von sich in der Ausstellung: „Überall dort, wo ich wertgeschätzte Sichtbarkeit erzeugen kann, möchte ich eben diese Sichtbarkeit für meine Gemeinde und die queer-muslimische Gemeinde schaffen.“

Die jüdische und queere Studentin Helene, die Rabbinerin werden möchte, sagt über ihr Mitmachen: „Mit mehr Sichtbarkeit für Minderheiten und dem Willen zum Zuhören seitens der Mehrheitsgesellschaft können wir die Welt jeden Tag ein wenig besser machen.“

Nur wenige religiöse Angebote für queere Menschen 

Studentin Helene
Die jüdische und queere Studentin Helene, die Rabbinerin werden möchte, sagt über ihr Mitmachen in der Ausstellung: „Mit mehr Sichtbarkeit für Minderheiten und dem Willen zum Zuhören seitens der Mehrheitsgesellschaft können wir die Welt jeden Tag ein wenig besser machen.“ | Foto: Johannes Bernard

Die bis zum 13. November gezeigte Präsentation in Dorsten, die vom Jüdischen Museum in Rendsburg entwickelt wurde, will der verbreiteten Vorstellung entgegenwirken, dass queere Menschen nicht religiös beziehungsweise religiöse Menschen nicht queer sein können. Das führt dazu, so die Ausstellungsmacher, dass es für queer-religiöse Menschen nur wenige Räume gibt, in denen sie beide Teile ihrer Identität – Queerness und Religiosität – leben können.

Julia Monro erhofft sich eine Neubewertung queerer Menschen durch die christlichen Kirchen: „Am meisten wünsche ich mir, dass man endlich von diesen Gesetzlichkeiten Abstand nimmt.“ Früher hätten die Pharisäer Jesus immer wieder mit dem Gesetz konfrontiert und ihn gekreuzigt, weil er eine andere Sichtweise mitbrachte und sich den Ausgestoßenen widmete.

Wo bleibt die Nächstenliebe?

„Ich finde es traurig, dass wir 2000 Jahre später immer noch dieselbe Denkweise haben und Menschen erst dann akzeptieren wollen, wenn wir in einer ‚Schlacht der Bibelverse‘ sozusagen ‚beweisen‘ können, dass sie ebenfalls zu Gottes Reich zählen“, sagt die Trans-Frau und bemerkt: „Ich fände es sehr tragisch, wenn Gott noch ein weiteres Kind opfern muss, damit wir Menschen endlich das Prinzip von Nächstenliebe begreifen.“

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