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Benedikt Kern ist katholischer Theologe und Mitarbeiter am Institut für Theologie und Politik Münster. Im Netzwerk Kirchenasyl setzt er sich intensiv für die Rechte und Lebenssituation von Migranten ein.
Wie erleben Sie in Ihrem Engagement Fremdenhass und Rassismus, Herr Kern?
Rassismus zeigt sich nicht nur in rechtsextremer Gewalt gegen Menschen und Flüchtlingsunterkünfte, sondern auch in den staatlichen Institutionen: Menschen werden abgeschoben, leben mit Angst vor Perspektivlosigkeit, die nicht selten die Betroffenen (re-)traumatisiert. Doch auch die Lebensbedingungen in Lagern werden von den Betroffenen als rassistische Ausgrenzung und Isolation erlebt. Das wiederum führt mit dazu, dass es zunehmend alltagsrassistisches Verhalten gegenüber Geflüchteten gibt.
Wo beginnt für Sie Rassismus? Ist ein Witz unter Freunden schon zu viel?
Rassismus ist immer ein Herrschaftsverhältnis innerhalb der Gesellschaft. Die Ursache liegt vor allem in unserer kolonialen Geschichte und ist fest in der Gesellschaft verwurzelt: Dies zeigt sich in seiner heftigsten Konsequenz bei den Morden von George Floyd, in Hanau und durch den NSU. Was nach einem von Ihnen angesprochenen Witz unter Freunden klingen mag, hat die Ursache in der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft strukturell rassistisch ist. Rassismus ist aber nicht nur den Einzelnen moralisch anzulasten, sondern es ist wichtig zu verstehen, dass es gesellschaftliche Gründe dafür gibt, die auch nur gesellschaftlich überwunden werden können.
Wie erleben Sie die Wirkung von rassistischen Erlebnissen bei Betroffenen?
Viele Menschen leben mit der täglichen Erfahrung von Rassismus: in ihrem Umfeld, am Arbeitsplatz, in der Schule und Uni, bei der Wohnungssuche, bei Behörden, bei rassistischen Polizeikontrollen an Bahnhöfen und vielem mehr. Das prägt das eigene Selbstbild und kann beispielsweise nach den Morden von Hanau zu dauerhafter Angst führen. Die erlebte Ausgrenzung von Geflüchteten durch Lagerunterbringung und drohende Abschiebungen tragen ebenso dazu bei. Es gibt zum Glück aber auch Protest: von Rassismus Betroffene sprechen öffentlich über ihre Erfahrungen, schließen sich zusammen und benennen die strukturellen Ursachen von Rassismus.
Gibt es in Deutschland einen institutionellen Rassismus?
Wenn die Bundesregierung seit 2015 kontinuierlich das Asylrecht beschneidet und den Zugang zu Arbeit, Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnen einschränkt, dann ist es nicht verwunderlich, dass Ressentiments in der Bevölkerung wachsen und eine Normalisierung rechter Gewalt stattfindet. Auch rassistische Polizeikontrollen tragen dazu bei. Die Kirche ist ein Querschnitt der Gesellschaft, insofern gibt es auch dort rassistische Einstellungen und Ausschlussmechanismen. Deswegen ist es so wichtig, in der Kirche gegen Rassismus einzustehen und beispielsweise gegen die Entrechtung von Geflüchteten zu protestieren.
Was kann Kirche und jeder Einzelne tun?
Jeder Einzelne sollte einen wachen, kritischen Blick für Ungleichheit und Ausschlüsse entwickeln – gerade auch in der Kirche. Rassismus ist aber ein gesellschaftliches Problem und muss deshalb gesellschaftlich überwunden werden. Es muss gemeinsam mit Betroffenen Solidarität organisiert werden. Das Kirchenasyl ist eine Form unter vielen, dies zu tun – aber auch wenn Kirchengemeinden Anliegen von Bewegungen wie die Seebrücke unterstützen, einer internationalen Kooperation für eine gerechte Migration, an der sich auch die Kirchen beteiligen.