Ein österlicher Impuls von Andreas Odenthal

Jesus fehlt - die verstörende Grundbedingung unseres Glaubens

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Dass ein Toter zum Leben auferweckt wird, ist an sich schon schwer genug zu glauben. Tatsächlich aber gründet sich unser Glaube darauf, dass Jesus fehlt - wie Maria von Magdala am leeren Grab als Erste erkennen muss. Wenn dann noch ein entscheidender Satz im diesjährigen Oster-Evangelium weggelassen wird, spricht das Bände, meint Andreas Odenthal, Liturgiewissenschaftler in Bonn, in seinem österlichen Impuls.

Es heißt, eine Psychoanalyse sei dann zum Ziel gekommen, wenn der Patient sein Begehren akzeptiert habe. Wohlgemerkt: Nicht, wenn das Begehren gestillt, sondern akzeptiert, als Teil des eigenen Lebens angenommen ist. Das Begehren prägt unser Menschsein so stark, dass bereits die Zehn Gebote einen Rahmen setzen müssen: Es darf nicht begehrt werden, was dem anderen Menschen gehört, sonst wird ein soziales Gefüge empfindlich gestört.

Ostern ist das Fest des Begehrens. Jedenfalls für die erste der Apostel, Maria Magdalena: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Joh 20, 13). Das leere Grab ist für Maria Magdalena zunächst keineswegs Hoffnungszeichen, sondern verstörend. Denn neben dem schmerzvollen Abschied im Tod Jesu ist jetzt auch noch der Ort der Trauer genommen. Der als unverlierbar geglaubte tote Jesus wird nochmals verloren: Das Grab ist leer, und Jesus fehlt. Erst wenn er verloren geht, kann er sich als Auferstandener neu zeigen.

 

Das "Gründungsverschwinden" am Ostermorgen

 

Die Geschichte des Christentums wird von hierher eine ambivalente Geschichte des Begehrens. Es ist das „Gründungsverschwinden“ des Ostermorgens, der Verlust des Körpers Jesu in der Auferstehung, wie der französische Jesuit Michel de Certeau ausführt. Dieser Verlust wird mühsam ersetzt, durch den Glauben und seine Praxis, vor allem durch die Feier des Gottesdienstes: Weil Jesus fehlt, feiert die Kirche seine sakramentliche Gegenwart und erwartet sein Wiederkommen am Ende der Zeiten.

Der Autor
Andreas Odenthal ist Priester des Erzbistums Köln und Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. | Foto: Schafgans (dgph)
Andreas Odenthal ist Priester des Erzbistums Köln und Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. | Foto: Schafgans (dgph)

Ostern ist nicht zuerst ein freudiges, sondern ein verstörendes Ereignis: Das Fehlen des Leichnams Jesu zerbricht die gewohnte Ordnung. Wen wundert es, dass die Jüngerinnen und Jünger mit Furcht und Schrecken reagieren: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon, denn sie fürchteten sich“ (Mk 16, 8).

 

Ein entscheidender Satz fehlt

 

Es ist bemerkenswert, das im Lesejahr B, in dem wir zurzeit sind, dieser Vers im Evangelium der Osternacht weggelassen ist. Die zuständigen Behörden dachten wohl, das passe nicht als adäquate Reaktion auf die Auferstehung. Aber es geht genau darum, die gesamte Ambivalenz der unfasslichen Erstehung Jesu ernst- und wahrzunehmen.

Es geht darum, ernst zu machen damit, dass in der Auferstehung Jesu unser Begehren nicht ans Ziel kommt. Im Gegenteil: Die Sehnsucht nach dem Leben und nach dem Anderen Gottes wird neu angestachelt. Mit den Worten von Michel de Certeau: „Der Gott meines Glaubens hört nicht auf zu betören, und die Sehnsucht, ihn zu fassen, ins Leere laufen zu lassen. Er betört, denn nichts von dem, was ich weiß, ist er. Er lässt ins Leere laufen; denn ich erwarte ihn nicht da, wo er kommt. Begegnungen, Ereignisse, Veränderungen verhüllen und offenbaren ihn. In der Bewegung von so vielen verschiedenen Geschichten ist er derselbe, der darin immer als der andere aufersteht. ... Die Erfahrung des Christen hört nicht auf, dem Fremden mitten in den unvermeidbaren Konflikten und notwendigen historischen Brüchen zu begegnen. Der da gegenwärtig wird, das ist der andere. Er fehlt dem Christen im doppelten Sinn, dass es unmöglich ist, ihn zu besitzen, und dass es ebenso unmöglich ist, ohne ihn zu leben“.

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