Kommentar von Chefredakteurin Annette Saal zum Regierungswechsel in Berlin

Kanzler Scholz' Amtseid ohne Gott - das neue Normal

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Sieben von 16 Ministern der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP haben gestern bei ihrer Vereidigung im Deutschen Bundestag auf die Formel "So wahr mir Gott helfe" verzichtet, ebenso Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das mag man bedauern, sollte aber keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen, sagt Annette Saal, Chefredakteurin Print von "Kirche+Leben", in ihrem Kommentar.

Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Vereidigung auf den Gottesbezug „So wahr mir Gott helfe“ verzichtet. Das mag bei bei manchen kirchen- und traditionsverbundenen Menschen für Enttäuschung bis Entrüstung gesorgt haben. Scholz hat als erster konfessionsloser Regierungschef den Amtseid ohne besagte Formel abgelegt.

Daraus jedoch zu schließen, der neue Kanzler sei ein Kirchenhasser oder erklärter Atheist, wäre unredlich. Er ist konfessionslos, nicht mehr und nicht weniger. Erst vor kurzem hat er deutlich gemacht, die Kirche habe ihm ein Wertegerüst mitgegeben, das ihm wichtig sei und nach dem er seine Entscheidungen ausrichte. Ob man die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens lieber Solidarität nenne oder christliche Nächstenliebe, mache für ihn keinen Unterschied.

Untergang des Abendlandes?

Wie auch immer man es bezeichnet – der Untergang des christlichen Abendlandes ist mit dem Regierungswechsel jedenfalls nicht zu erwarten. Immerhin bildet Nächstenliebe – beziehungsweise Solidarität – die Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens, es ist gleichsam der kleinste gemeinsame Nenner. Anstatt die fehlende Formel zu beklagen, wäre eine nüchterne Betrachtung der Tatsachen notwendig.

Wir alle werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Formel „So wahr mir Gott helfe“ bei Vereidigungen nicht mehr selbstverständlich und erwartbar mitgesprochen wird. Auch bei einigen Mitgliedern des neuen Kabinetts nicht. Religiöse Bezüge verlieren an Bedeutung, sowohl intern als auch bei Außenstehenden.

Frommer Wunsch an Konfessionslosen

Flexibel hat der Hamburger Erzbischof Stefan Heße an den kleinsten gemeinsamen Nenner angeknüpft und Scholz „alles Gute, Mut, Freude an der Aufgabe und einen guten ethisch-moralischen Kompass“ gewünscht.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat in einem Gratulationsschreiben noch „Gottes reichen Segen“ hinzugesetzt. Ob dieser fromme Wunsch dem konfessionslosen neuen Bundeskanzler gefallen hat? Schaden kann es im Hinblick auf die künftigen Anforderungen jedenfalls nicht.

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