Pfarrei St. Sixtus will Bischof Felix Genn zum Handeln ermutigen

Klagemauer und Online-Petition: Haltern hat „genug vom Vertuschen“

  • Die Pfarrei St. Sixtus in Haltern hat eine Petition an Bischof Felix Genn gestartet, er solle die Missbrauchs-Aufarbeitung intensivieren.
  • Klagemauern in den Kirchen der Pfarrei bieten den Menschen die Chance, ihren Protest in Form von Zetteln kundzutun.
  • Zugleich will die Pfarrei vor Ort zeigen, dass eine andere Form von Kirche möglich ist.

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Mehrere hundert Mitglieder der Pfarrei in Haltern haben in den letzten Tagen eine Online-Petition unterzeichnet, in der sie die ungenügende Aufklärung der Kirche bei sexualisierter Gewalt beklagen. Die Petition richtet sich an Bischof Felix Genn und soll ihn ermutigen, an der Seite der Betroffenen zu stehen und diese angemessen zu entschädigen.

Die Petition ist deutlich formuliert: „Wir haben genug von den Vertuschungen, Vertröstungen und dem ständigen Kreisen um den eigenen Schutz. Wir fordern eine konsequente Aufarbeitung im Missbrauchsskandal sowie aktiven Opferschutz und endlich eine angemessene Entschädigung für die Opfer.“

Klagemauer und Klage-Ecken

Weiter heißt es: „Unsere Kirche soll ein Ort des Wohlfühlens, der Offenheit und des Vertrauens sein. Auf dass endlich wieder in den Mittelpunkt rückt, um was es eigentlich geht und was angesichts all der traurigen Entwicklungen oft viel zu sehr aus dem Blick gerät: die Liebe Gottes und die gemeinsame Freude daran.“

Darüber hinaus hat die Pfarrei in ihrer Kirche St. Sixtus eine Klagemauer errichtet, in die Gemeindemitglieder Zettel hineinlegen können, um ihre Wut, ihre Enttäuschung oder die ihre Wünsche zu äußern. Auch in den neun weiteren Kirchen der Pfarrei sind Klage-Ecken errichtet worden.

Pfarrer: Seelsorgerinnen und Seelsorger sind müde geworden

In die Klagemauer können Gemeindemitglieder in Haltern Zettel legen, auf denen sie Enttäuschungen und Wünsche äußern. | Foto: Steffi Biber
In die Klagemauer können Gemeindemitglieder in Haltern Zettel legen, auf denen sie Enttäuschungen und Wünsche äußern. | Foto: Steffi Biber (pd)

Pfarrer Michael Ostholthoff hatte der „Halterner Zeitung“ gesagt: „Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger sind wie unsere Gemeinden müde geworden durch einen nicht enden wollenden Skandal. Es gilt nicht abzustumpfen, sich immer neu bewusst zu machen, wieviel Leid Menschen im Raum der Kirche erfahren haben. Schweigen ist keine Option, doch es darf nicht bei Worten bleiben. Es braucht das Handeln, den Mut zu Veränderung, das Offenlegen von Abhängigkeitsstrukturen.“

Angesichts des Missbrauchsgutachtens im Erzbistums München-Freising und weiterer Entwicklungen hatten Pfarreiratsmitglieder, der Kirchenvorstand und das Pastoralteam zudem eine Stellungnahme verabschiedet, um Solidarität mit den Betroffenen zu bekunden.

"Entschuldigungsversuche genügen nicht"

Gremien und Seelsorgende nehmen auch hier kein Blatt vor den Mund: „Wir sind entsetzt und wütend, dass die Verantwortlichen in den Bistümern selbst nach Jahren keine konsequente Aufarbeitung der Missstände betreiben. Immer noch fehlen Begegnungen mit den Betroffenen, das Aushalten ihrer Vorwürfe und ein beherztes Handeln. Es bleibt bei der ständigen Wiederholung von Entschuldigungsversuchen.“

Die Pfarrei St. Sixtus beklagt, dass „das Interesse am Erhalt der Institution Vorrang hat vor der Aufmerksamkeit für das individuelle Leid und die Bedürfnisse der Opfer“. Nachhaltige strukturelle Reformen würden hinausgezögert.

Gremien: Kirche braucht Hilfe von außen

„Wir sind bestürzt, weil wir als Teil der Institution Kirche mitverantwortlich sind. Viele Menschen haben durch Taten von Priestern und Kirchenmitarbeitern unsägliches Leid erfahren. Wir können verstehen, dass Menschen an der Kirche zweifeln und ihr den Rücken kehren“, heißt es weiter.

Die Kirchenkrise sei längst an der Basis angekommen, wie gestiegene Kirchenaustrittszahlen zeigten. „Wir bedauern sehr, dass auch alle rechtschaffenen Christinnen und Christen mit in eine Krise gezogen wurden, die die Kirche ohne Hilfe von außen nicht bewältigen wird.“

Keine Lethargie

Trotz dieser negativen Entwicklung will die Pfarrei nicht in Lethargie verfallen. „Wir wollen uns für eine Kirche einsetzen, die nicht durch die Sorge um sich selbst gelähmt ist. Mit zahlreichen Initiativen (wie zuletzt #OutInChurch) verbindet uns die Hoffnung, dass auch unser Handeln vor Ort einen Unterschied macht.“

Hoffnungen setzen Gremien und Pastoralteam auf Bischof Felix Genn, den die Pfarrei in Haltern ermutigen möchte, „konsequent zur Aufklärung in unserem Bistum beizutragen und für eine angemessene Entschädigung der Opfer zu sorgen“.

Klagemauer steht bis zum 2. März

Die Klagemauer-Aktion soll bis zum 2. März weitergeführt werden. Alle Zettel werden gesammelt und dokumentiert. Die Pfarrei will überlegen, wie sie weiterhin mit den Gemeindemitgliedern im engen Austausch stehen, sich mit Enttäuschungen und Frust auseinandersetzen kann.

Pfarrer Ostholthoff möchte diesen Dialog starten. In seinen letzten Ansprachen und Predigten sagte er wiederholt: „Ich kann die Menschen nur einladen, gerade in der jetzigen Situation Verantwortung in der Kirche zu übernehmen. Wir haben in Haltern die Chance, neue Wege zu gehen und Kirche neu zu denken.“

UPDATE: Datum geändert im vorletzten Absatz. (22.02.2022, 13:15, mn)

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