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Neue Einkommensquellen für Landwirte verspricht die Katholische Landvolk-Bewegung (KLB) durch deren ökologische und gemeinwohlorientierte Arbeit. „Richtig rechnen in der Landwirtschaft“ heißt das KLB-Pilotprojekt, an dem sich Höfe im Münsterland beteiligen. Was es damit auf sich hat und auf was sich die Landwirtschaft in naher Zukunft einzustellen hat, erklärt der Diözesanpräses der der KLB und der KLJB im Bistum Münster, Bernd Hante, im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“.
Herr Hante, die Katholische Landvolk-Bewegung (KLB) möchte die ökologischen und sozialen Leistungen von Bauernfamilien bilanzieren, um zeigen zu können, wie eine nachhaltige Landwirtschaft umzusetzen ist. Wie funktioniert das?
Jede Leistung von Landwirtinnen und Landwirten für Ökologie, Soziales und Regionalökonomie erhält mit einer Bilanzierung durch eine Regionalwert-Leistungsrechnung ein Preisschild. Hintergrund und Motivation ist, das Engagement von Landwirtinnen und Landwirten für die Artenvielfalt, den Erhalt der Kulturlandschaften und vieles mehr, was im Sinn der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls ist und sich nicht in betrieblichen Bilanzen wiederfindet, zu berechnen. Dabei wird Wahrnehmung, Denken und Wertschätzung für die dahinterstehenden Leistungen mit Zahlen dokumentiert. Gemeinwohlleistungen und die damit verbundenen Werte für Natur und Gesellschaft werden bisher in keiner Bilanz aufgeführt.
Was steckt hinter der Regionalwert-Leistungsrechnung?
Sie wurde von der Regionalwert-Leistungsrechnungs GmbH in Freiburg entwickelt und basiert auf einem Fragebogen mit etwa 300 Kennzahlen zu den Betriebsdaten, zum Beispiel ökologische Leistungen wie Blühstreifen, Heckenpflege, Einsatz und Herkunft von Düngemitteln, Anzahl der Saisonarbeitskräfte oder Herkunft des Saatgutes, Ausbildung junger Menschen bis hin zum sozialen und kirchlichen Engagement von Bauernfamilien.
Die KLB vertritt die Meinung, dass Gemeinwohlleistungen und die damit verbundenen Werte für Natur und Gesellschaft bisher in keiner Bilanz aufgeführt werden. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Der Markt ist ein Tauschraum, und wir bemessen das Wachstum im Bruttoinlandsprodukt. In dieser Bemessung wird alles in Währung abgebildet. Soziale, ökologische und nachhaltige Standards müssen dann eigens definiert werden, und ihnen muss ein Wert zukommen. Preise für Nahrungsmittel bilden sich im Markt, also bestimmen tagesaktuelle Angebote und Nachfrage den Preis. Er bildet sich in einem internationalen Wettbewerb, in dem die Produktionsstandards, regionale Bedingungen und gesellschaftliche Leistungen nicht beziehungsweise nur unzureichend abgebildet werden. Langfristige Auswirkungen von Produktion auf Klima, Umwelt und auch auf die ländlichen Räume, in denen die sozialen Folgen des Strukturwandels in der Landwirtschaft immer sichtbarer werden, werden nicht erfasst. Regionalmarken oder Bio-Landwirtschaft schaffen das ein wenig. Die Nachfrage nach diesen Produkten steigt nur sehr langsam und kommt, genau betrachtet, nicht aus ihrer Nische heraus.
Sechs landwirtschaftliche Betriebe aus verschiedenen Gegenden des Bistums Münster haben sich bereit erklärt, bei der Auswertung mitzuwirken. Wie bereiten Sie die Betriebe auf das Projekt vor?
Die Bilanzierung der Betriebe ist bereits im Frühjahr durch die Regionalwertleistungerechnungs GmbH erfolgt. Eine erste Auswertung hat auch schon stattgefunden. Wir werden nun mit den Ergebnissen in die Öffentlichkeit gehen, eine stärkere Förderung von Regionalvermarktung einfordern, kirchliche Einrichtungen zum Einkauf von regional gelabelten Produkten sensibilisieren und die Politik auffordern, bei der Förderung landwirtschaftliche Betriebe diese Kennzahlen für Transferzahlungen als Grundlage zu nehmen. Mit den teilnehmenden Betrieben sind wir im Gespräch, ihre Ergebnisse für Gespräche in den Kirchengemeinden vor Ort vorzustellen. Da erarbeiten wir gerade ein Konzept.
Alles hat seinen Preis, heißt es. Was kommt auf die Verbraucher zu, wenn die Landwirte nachhaltiger und ökologischer produzieren?
Verpflichtend ist erst mal gar nichts. Langfristig helfen nur, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, höhere Lebensmittelpreise, die diese Leistungen tatsächlich widerspiegeln. Der Hebel dazu könnte das Lieferkettengesetz sein, das Einkäufe unter den tatsächlichen Erzeugerpreisen verbietet. In erster Linie geht es uns aber darum, dass Landwirte diese Leistungen dem Staat in Rechnung stellen können und nicht als Dauersubventionsempfänger stigmatisiert werden. Wir erhoffen uns hier gute Argumente in der Reform der nächsten GAP-Runde (Gemeinsame Agrarpolitik der EU). Flächenbezogene Zahlungen, davon bin ich überzeugt, werden der Vergangenheit angehören. Auch weil diese Direktzahlungen nie einen gerechten Ausgleich von kleinen und großen Betrieben verwirklichen.
Es wird heftig darüber gestritten, welche ökologischen Schäden die herkömmliche und konventionelle Landwirtschaft anrichtet. Wie bewerten Sie die Kritik?
Die Debatte um die negativen externen Effekte der Landwirtschaft sind emotional aufgeladen. Vor allem die Bauern stehen oft am Pranger. Scharf kritisiert werden vor allem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die intensive Tierhaltung Doch dafür tragen die Landwirte nicht die alleinige Verantwortung. Maßgeblich für die aktuelle Situation sind auch gesellschaftliche Erwartungen, Politik, Lebensmittelhandel, Gesetzgebung und natürlich wir Konsumenten selbst. Wir alle tragen Verantwortung. In den 1970er und 1980er Jahren ist die Landwirtschaft zum Wachstum und zur Marktorientierung getragen worden. Wachstum war Größe. 50 Jahre später wollen wir eine andere Landwirtschaft. Doch was 50 Jahre ein Konzept war, lässt sich nicht in kurzer Zeit in eine andere Richtung lenken.
Die KLB will die Interessen der Landwirte vertreten. Welche Wünsche haben denn die Bauernfamilien heutzutage?
Ganz einfach: Wertschätzung und Planungssicherheit. Bauerfamilien haben sich immer angepasst und nutzen die neuen Techniken für nachhaltigere Produktionsmethoden. Diese brauchen Zeit. Viele fühlen sich überfordert und zweifeln an der Verlässlichkeit politischer Rahmenbedingungen.
Was tun Sie gegen die immer lauter vorgetragene These, die Landwirtschaft sei mitverantwortlich für den Klimawandel?
Wir alle sind mitverantwortlich für den Klimawandel. Natürlich auch die Landwirtschaft. Insgesamt werden der landwirtschaftlichen Produktion etwa acht Prozent und dem gesamten Sektor 20 Prozent zugrechnet. Den größten Anteil mit über 30 Prozent kann die Landwirtschaft durch eine veränderte Bewirtschaftung bis hin zur Wiedervernässung der Moore erzielen. Ein weiterer Baustein wäre der Umbau der Tierhaltung. Die Politik hat die Landwirtschaft bisher in die andere Richtung gefördert. Der Umbau wird nicht leicht. Ich sehe in der Zukunft die Landwirtschaft als einen entscheidenden Problemlöser in Sachen Klimawandel. Das gilt für auch im Bereich regenerativer Energien.
Wie können Landwirte ein positives Image in der Gesellschaft erreichen?
Ein Bild möchte ich dafür gebrauchen: Runter vom Trecker! Die Traktoren haben eine Größe erreicht, die eine Begegnung auf Augenhöhe gar nicht zulassen. Landwirtschaft sollte die Nähe zur Gesellschaft suchen. Überall, wo Menschen erleben können, welche Gedanken sich ein Bauer oder eine Bäuerin um Natur und Vieh macht, entsteht Nähe und Vertrauen. Letztlich ist jeder Bauer und jede Bäuerin Teil der Öffentlichkeitsarbeit.
Demnächst werden die Ergebnisse Ihres „Richtig-Rechnen-Projekts“ vorgestellt und die Bilanzen veröffentlicht. Werden die Landwirte vom Einkommen her reicher oder ärmer werden?
Schon heute haben diese Nachhaltigkeitsberechnungen einen Wert, denn auch bei den Krediten wird von den Banken auf Nachhaltigkeit geachtet. Mit diesen Nachhaltigkeitsberechnungen könnten die Bauern reicher werden hinsichtlich der Akzeptanz und Wertschätzung. Und wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Nachhaltigkeitsberechnung sich auswirken kann auf staatliche Zahlungen beziehungsweise Abschreibungen.